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Inhalt archiviert am 2024-04-18

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Bessere toxikologische Vorhersagen mit hochmoderner Datenmodellierung

Prof.  Elmar Heinzle spricht über die neuen im NOTOX-Projekt entwickelten Tools und ihren Beitrag zu verbesserten toxikologischen Vorhersagen.

Für heutige moderne Verfahren, welche toxikologische In-vivo-Versuche ersetzen sollen, kommen die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Anwendung. Die Notwendigkeit von Tierversuchen konnte jedoch noch nicht vollkommen überwunden werden. Zur Verbesserung toxikologischer Vorhersagen müssen wir von Datenmodellierung Gebrauch machen und darüber hinausdenken, was aktuell technisch möglich ist. Dies ist das Thema des fünfjährigen NOTOX-Projekts. Die Forscher des Projekts NOTOX (Predicting long-term toxic effects using computer models based on systems characterization of organotypic cultures) nutzten die fortschrittlichsten aktuell verfügbaren alternativen Methoden als Ausgangspunkt, um das Problem der toxikologischen Beurteilung mit einem „systembiologischen Ansatz“ zu behandeln. Unter Projektkoordinator Prof.  Elmar Heinzle aus der Arbeitsgruppe Technische Biochemie der Universität des Saarlandes kombinierte das Team leistungsfähige Verfahren für In-vitro-Kultivierung und -Exposition mit multi-omischen Messungen und mechanistischer Multiskalen-Modellierung, um die toxikologische Vorhersage zu verbessern. Dabei entwickelten die NOTOX-Forscher ein ganzes Spektrum systembiologischer Tools, darunter experimentelle und rechnergestützte Verfahren zur Erstellung kausaler Vorhersagemodelle. Das Ergebnis besteht in einer besseren Vorhersage der langfristigen Toxizität. Nur wenige Monate vor Abschluss des Projekts sprach Prof.  Heinzle exklusiv mit research*eu Ergebnisse über den NOTOX-Ansatz, die neuen im Projekt entwickelten Tools und ihren Beitrag zu einer besseren Giftigkeitsvorhersage. Den Kern des NOTOX-Ansatzes bildet der „typische systembiologische Aufbau“. Was bedeutet das, und warum ist das wichtig? Unser systembiologischer Ansatz kombiniert (i) organotypische Kultivierungen von Leberzellen, für die HepaRG-Zellen in 2D- und 3D-Kulturen teilweise zusammen mit anderen Typen von Leberzellen genutzt werden mit (ii) umfassender -omischer Analyse (Epigenomik, Transkriptomik, Proteomik, Metabolomik und Fluxomik) mit umfassender bioinformatischer Analyse und (iii) verschiedenen Arten von Computermodellierung, die von der einfachen PBPK-Modellierung bis hin zur agentenbasierten Multiskalenmodellierung reichen. Daten aus neu entwickelten humanen In-vitro-Zellsystemen, die über lange Zeiträume hohen Dosen ausgesetzt waren, verbesserten die Vorhersage der langfristigen Toxizität. Konnte das Team erfolgreich prädiktive Computermodelle für die langfristige Toxizität entwickeln? Für verschiedene Goldverbindungen, die durch das SEURAT-Konsortium ausgewählt wurden (ein Cluster von Projekten, die systematische toxikologische Tierversuche mit wiederholter Dosenverabreichung durch alternative Verfahren ersetzen sollen), konnten auf Basis von Viabilitätsassays bei langfristigen Kultivierungen äußerst präzise Vorhersagen der langfristigen Toxizität oraler Äquivalentdosen (OED) getroffen werden. Die OED wurden selbst mit simplen Modellen erfolgreich vorhergesagt. Diese Modelle sind bereits für den Endnutzer anwendbar. Mechanistische Modelle liefern ein realistischeres Bild der Wirkungsweisen. Detailliertere Modelle konzentrieren sich auf den Wirkmechanismus bei „Adverse Outcome Pathways“. Wir glauben, dass sich die meisten toxischen Wirkungen auf eine begrenzte Anzahl von Mechanismen zurückführen lassen. Daher ist es wichtig, solche detaillierten mechanistischen Modelle zu entwickeln, z. B. zur Lipidakkumulation (Fettleber) oder zu oxidativem Stress, welche später für viele andere Fälle eingesetzt werden können. In PBPK-Modelle integrierte mechanistische Modelle ermöglichen bereits eine bessere Vorhersage. Einige dieser Modelle sind über unseren industriellen Partner, Insilico Biotechnology, bereits verfügbar. Mit mechanistischen Modellen können zudem wichtige Biomarker identifiziert werden, die mit der Wirkungsweise mechanistisch in Verbindung stehen. Was sind andere bedeutende Ergebnisse des Projekts? NOTOX demonstrierte die erfolgreiche Anwendung der In-vitro-Kultivierungsverfahren für die langfristige Prüfung der Lebertoxizität anhand der Hepatocyt-Zelllinie HepaRG in 2D- und 3D-Formaten, um eine physiologisch aussagekräftige Giftigkeitsvorhersage zu erreichen. Wir zeigten darüber hinaus, dass die aus diesen Kulturen gewonnenen Daten die Vorhersage der OED ermöglichen, die bei langanhaltender Exposition beim Menschen mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Vergiftungen führen würde. Im Allgemeinen konnten wir belegen, dass mit großangelegten multi-omischen Versuchen der Wirkmechanismus erklärt werden kann, anhand dessen mechanistische Modelle mit verbesserter Produktivität erstellt werden können. Abschließend konnten wir zeigen, dass eine stoffwechselinduzierte Giftigkeit mit kultivierten Kardiomyocyten, die aus menschlichen Stammzellen gewonnen wurden, untersucht und modelliert werden kann. Dies ist auch für andere Forscher von Bedeutung. In NOTOX wurde ein Film produziert, der Ihre Arbeit näher erklärt. Wie wichtig war der Kommunikationsaspekt des Projekts? Die Information der allgemeinen Öffentlichkeit über die Fortschritte in diesem Forschungsbereich war ein sehr wichtiger Bestandteil des NOTOX-Projekts. Im Laufe des Projekts wurden der NOTOX-Film produziert und zielgerichtete Pressekampagnen gestartet, etwa anlässlich des Welttierschutztags. So wurde auf bedeutende Errungenschaften aufmerksam gemacht, etwa Verbote für Tierversuche und für die Vermarktung von Kosmetika, deren Inhaltsstoffe an Tieren getestet wurden. Letztendlich wurden auch auf die Anstrengungen des NOTOX-Konsortiums zur Entwicklung alternativer Verfahren hingewiesen. Wir waren sehr glücklich darüber, dass viele verschiedene Interessengruppen – darunter die Industrie, Tierschutzgruppierungen und öffentliche Fernsehsender – Interesse an unserem Projekt sowie seinen Motivationen und Zielen zeigten und uns dabei unterstützten, Informationen über NOTOX zu verbreiten. Welche Reaktion erhielten Sie von den verschiedenen Gruppen, die von Ihrer Arbeit betroffen sein werden (Interessengruppen, Verbraucher, regulierende Stellen und Hersteller)? Über das gesamte Projekt hinweg standen wir mit Vertretern aus der Industrie in Kontakt, die sehr interessiert an neuen Sicherheitsbeurteilungsverfahren sind, die Tierversuche ersetzen können. Seit März 2013 dürfen Kosmetika und deren Inhaltsstoffe, die an Tieren getestet wurden, in der EU nicht mehr verkauft werden. Daher besteht heute ein echter Bedarf für wirksame Alternativen. Des Weiteren ist die Entwicklung neuer Verbindungen, deren Sicherheit mit einer Reihe zuverlässiger Computermodelle und anderer Verfahren anstatt mit Ratten und Mäusen geprüft werden kann, äußerst attraktiv. Dies gilt auch für Verbraucher, die, sofern sie überzeugt davon sind, dass alternative Prüfverfahren mindestens die gleiche Sicherheit wie herkömmliche Tierversuche bieten, höchstwahrscheinlich Produkte bevorzugen würden, die nicht an Tieren getestet wurden. Was werden die nächsten Schritte des NOTOX-Teams sein? Obwohl das Projekt im Dezember offiziell abgeschlossen wird, werden die Projektpartner ihre Arbeit selbstverständlich auf Grundlage der NOTOX-Ergebnisse fortsetzen. Die nächsten Schritte des NOTOX-Teams werden darin bestehen, großangelegte Fallstudien zu oxidativem Stress und Steatose (Fettleber) durchzuführen; die Auswirkungen intensiver zu erforschen, die unter dem Elektronenmikroskop bei typischen Leberstrukturen zu beobachten sind; und eine Studie zur kombinierten Anwendung von Hepatocyten und Kardiomyocyten zur Erkennung stoffwechselinduzierter Kardiotoxizität abzuschließen. Welche Auswirkungen wird das Projekt Ihrer Erwartung nach haben? Die Konzepte und Ergebnisse von NOTOX unterstützen einen molekularen und systembiologischen Ansatz für toxikologische Beurteilungen durch die Kombination leistungsfähiger Verfahren für In-vitro-Kultivierung und -Exposition mit multi-omischen Messungen und mechanistischer Multiskalen-Modellierung. Das Projekt wird somit weitreichende Auswirkungen haben, sowohl in wissenschaftlicher, ethischer und sozialer als auch in wirtschaftlicher Hinsicht. Die toxikologische In-vitro-Beurteilung konzentriert sich zunehmend auf menschliche Zellen und auf praktikable Kultivierungsverfahren, die auch langfristige Untersuchungen ermöglichen. Wir haben die Anwendung von 3D-Kultivierungen der HepaRG-Zelllinie stark gefördert, um zuverlässige Ergebnisse zu erzielen. Dies trägt erheblich dazu bei, die Anzahl erforderlicher Tierversuche zu senken oder sie sogar vollkommen zu vermeiden. In NOTOX entwickelten wir Systeme, um adverse Effekte bei einer virtuellen Population von Menschen mit ihren unterschiedlichen Stoffwechselkapazitäten und Empfindlichkeiten vorherzusagen. Wir befassten uns auch mit der Ausbildung der nächsten Forschergeneration, die unsere Grundlagenforschung zur Anwendung führen wird. Durch NOTOX werden Tierversuche weiter durch In-vitro-Prüfverfahren ersetzt, welche direkt auf mathematische Modelle und zuverlässige Computermodelle zurückgreifen. Dies wird letztendlich den Bedarf der Chemie- und Pharmaindustrie für Tierversuche erheblich senken. Weitere Informationen erhalten Sie unter: NOTOX-Projektwebsite

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