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The Effects of Marketization on Societies: The Case of Europe

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Die Vermarktlichung Europas durchschauen

EU-finanzierte Forscher zeigen auf, wie Europas Binnenmarkt zu einer Intensivierung der Vermarktlichung geführt hat, was eine Reihe von Folgen für die Gesellschaft hat.

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Dem von der EU finanzierten TEMS-Projekt zufolge stellt das Streben der Europäischen Union nach einem integrierten Binnenmarkt ein Experiment zur vom Staat durchgesetzten Vermarktlichung in bislang unbekanntem Umfang dar. „Vermarktlichung oder die Einführung und Intensivierung des Preiswettbewerbs ist kein neues Konzept, sondern ist in Europa von nahezu geisterhafter Präsenz“, zeigt sich Forschungsleiter Professor Ian Greer überzeugt. „Es gab auf europäischer Ebene jahrzehntelang andauernde Bemühungen, den freien Verkehr von Waren, Dienstleistungen, Kapital und Arbeit zu fördern – und das alles hat die Disziplinierungsmacht der Märkte über die Bürgerinnen und Bürger vergrößert.“ Das TEMS-Projekt soll dazu beitragen, die beabsichtigten und unbeabsichtigten Konsequenzen der Vermarktlichung besser zu erkennen. Im Rahmen des Projekts fragt man nach, ob es einen Zusammenhang zwischen Vermarktlichung und wachsender Ungleichheit gibt. Und wenn dieser vorhanden ist: Worin besteht sein Charakter? „Obgleich es so erscheinen mag, als ob unsere Arbeit weit außerhalb der EU-Mainstream-Politik liegt, besteht unsere Hoffnung darin, dass wir durch ein genaueres Verständnis des Konzepts in der Lage sein werden, seine gesellschaftlichen Konsequenzen besser zu thematisieren.“ Auf Grundlage einer Reihe von Interviews und Datenanalysen haben die TEMS-Forscher eine Variation im Grad der Vermarktlichung festgestellt, die in Europa vor sich geht. „Trotz jahrzehntelanger Anstrengungen, mehr Wettbewerb über die europäischen Grenzen hinweg zu fördern, bleibt der extreme Wettbewerb eher die Ausnahme als die Regel“, sagt Greer. „Wir beobachten jedoch intensive Vermarktlichung in bestimmten Gruppen, wie etwa bei Live-Musikern, verbunden mit einer stufenweise zunehmenden Vermarktlichung in vielen Gesundheitssystemen und Systemen zur sozialen Absicherung.“ Wo sind die Grenzen einer auferlegten Vermarktlichung? Greer zufolge sind die Forscher Grenzen der Vermarktlichung auf der Spur, die Widersprüche in der europäischen Mainstream-Wirtschaftspolitik widerspiegeln, obgleich es ein Spektrum politischer Anliegen, gesellschaftlicher Bewegungen und bestimmter Interessengruppen gibt, die auf unterschiedliche Weise die Gestaltung von Märkten (Market Making) behindern. Beispielsweise bedeuten Sparmaßnahmen Grenzen für die Vermarktlichung. „Der griechische öffentliche Sektor kann somit nicht in dem Sinne vermarktet werden, wie wir es in Nord- und Westeuropa sehen, da die Verwaltungsautonomie erheblich eingeschränkt wurde, um Kosten zu senken“, erläutert Greer. „Wenn unsere Analyse fertiggestellt ist, könnten wir durchaus feststellen, dass die Beschränkung der öffentlichen Ausgaben in zahlreichen Bereichen die Entwicklung des europäischen Binnenmarktes verlangsamt.“ Andererseits weisen Bereiche mit einem hohen Grad an Vermarktlichung ein relativ geringes Vermögen der Gesellschaft zur Gestaltung ihrer Wirkungen auf. So können im vom Staat dominierten staatlichen Gesundheitsdienst des Vereinigten Königreichs die Gewerkschaften und Patientengruppen weitaus wirkungsvoller Privatisierungen verhindern, als das bei den stärker vermarktlichten kommunalen Krankenhaussystemen in Deutschland der Fall ist, auch wenn Greer zufolge die deutschen Aktivisten „besser organisiert“ seien. „Unsere Erkenntnis besteht nicht darin, dass die Zivilgesellschaft durch Vermarktlichung stillgelegt wird, sondern darin, dass Gewerkschaften und andere Kräfte innerhalb der Zivilgesellschaft geschwächt werden und es mit existenziellen Risiken zu tun bekommen, wenn sie sich nicht zur Wehr setzen“, betont Greer. Destruktive Aspekte der Vermarktlichung bekämpfen Und genau hierin liegt die Komplexität der Situation verborgen. Während sich die EU der Entwicklung eines Binnenmarkts verpflichtet fühlt, ist diese Entwicklung gleichermaßen für die sozialen Folgen der Vermarktlichung verantwortlich. Dennoch ist es gerade diese paradoxe Situation, welche die Bedeutung der Finanzierung von Forschung wie TEMS unterstreicht, da erst sie es allen Akteuren ermöglicht, die Konsequenzen der Vermarktlichung in Europa besser zu verstehen und dort anzusetzen. „Das TEMS-Team steht bereit, um jenen in den EU-Institutionen Arbeitenden zu helfen, die die gesellschaftlich destruktiven Aspekte der Vermarktlichung identifizieren und bekämpfen wollen“, ergänzt Greer.

Schlüsselbegriffe

TEMS, Ökonomik, Wirtschaftswissenschaft, Binnenmarkt, europäischer Binnenmarkt, Vermarktlichung, Marktbildung in standardisierter Form, Sozialfürsorge, soziale Absicherung

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