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Inhalt archiviert am 2023-03-02

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Kohlenstoff-Nanoröhrchen: "intelligentes" Material zur Behandlung von Gehirnverletzungen

EU-finanzierte Wissenschaftler aus Italien und der Schweiz haben bewiesen, dass Kohlenstoff-Nanoröhrchen das Reizantwortverhalten von Nerven verbessern. Das macht sie zu potenziellen Anwärtern für die Gestaltung "intelligenter Materialien" für biomedizinische Anwendungen wie d...

EU-finanzierte Wissenschaftler aus Italien und der Schweiz haben bewiesen, dass Kohlenstoff-Nanoröhrchen das Reizantwortverhalten von Nerven verbessern. Das macht sie zu potenziellen Anwärtern für die Gestaltung "intelligenter Materialien" für biomedizinische Anwendungen wie die Behandlung von Hirnkrankheiten und -verletzungen. Die in der Fachzeitschrift "Nature Nanotechnology" veröffentlichte Studie wurde teilweise über das Sechste Rahmenprogramm (RP6) als Teil des NEURONANO-Projekts ("Towards new generations of neuro-implantable devices: engineering neurons/carbon nanotubes integrated functional units") finanziert. NEURONANO wurde mit ungefähr 1,8 Millionen Euro unter dem Themenbereich "Nanotechnologien und Nanowissenschaften" des RP6 finanziert. Die Hauptaufgabe des Projekts bestand in der Integration von Kohlenstoff-Nanoröhrchen in andere Technologien, um bei der Wiederherstellung verletzter Gewebe des Zentralnervensystems hilfreiche Biochips zu entwickeln. Kohlenstoff existiert in vielen Formen, am bekanntesten sind Diamant und Grafit. In letzter Zeit haben Kohlenstoff-Nanoröhrchen viel Aufmerksamkeit erregt. Sie sind außergewöhnlich stabile zylindrische Kohlenstoffmoleküle mit einzigartigen elektrischen Eigenschaften. In neuesten Forschungen betrachteten die Wissenschaftler das Verhältnis zwischen den elektrischen Eigenschaften der Kohlenstoff-Nanoröhrchen und der Art, wie Nerven im Zentralnervensystem angeregt werden. Sie maßen die elektrische Aktivität einzelner Nervenzellen, setzten Elektronenmikroskop-Analysen ein und wandten theoretische Modelle an, um den Einfluss von Nanoröhrchen auf die Nervenreaktion zu betrachten. Die Ergebnisse zeigen, das Kohlenstoff-Nanoröhrchen das Reizantwortverhalten der Nervenzelle tatsächlich verbessern. Die Kohlenstoff-Nanoröhrchen, so die Autoren, bilden enge Kontakte mit den Membranen der Nervenzellen. Dies gestattet die Erzeugung "elektrischer Kurzschlüsse" zwischen zwei Enden der Nervenzelle, was eine schnellere Reizleitung ermöglicht. Ein von den Forschern vorgeschlagenes mathematisches Modell erläutert das Phänomen und zeigt seine Folgen. Die Ergebnisse sind Aufsehen erregend, da sie einen bedeutenden Fortschritt bei der Überwindung der Probleme darstellen, die Dr. Henry Markram von der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne (ETH) in der Schweiz als die "drei grundlegenden Hindernisse bei der Entwicklung zuverlässiger Neuroprothesen" bezeichnet: Erzeugen einer Schnittstelle zwischen Nervengewebe und einem Gerät; Verstehen, wie das Nervengewebe am besten zu stimulieren ist; und Herausfinden, welche Nervensignale mithilfe des Geräts aufgezeichnet werden sollten, sodass eine automatische und passende Entscheidung getroffen werden kann. "Die neu erforschte Schnittstellen-Technologie auf der Basis von Kohlenstoff-Nanoröhrchen bildet gemeinsam mit Simulationen von Hirn-Maschine-Schnittstellen nach neuestem Stand der Technik den Schlüssel zur Entwicklung aller Arten von Neuroprothesen zur Behebung von Seh-, Hör-, Geschmacks- und Bewegungsstörungen, zur Unterbrechung epileptischer Anfälle, für spinale Bypässe sowie zur Wiederherstellung und sogar Verbesserung kognitiver Funktionen", so Dr. Markram. Wie Dr. Michele Giugliano von der ETH (nun an der Universität Antwerpen, Belgien) erklärte, sei "dieses Ergebnis äußerst wichtig für das aufstrebende Gebiet der Neurowissenschaften und Neuroprothesen." Dr. Giugliano und die Koautorin Dr. Laura Ballerini von der Universität Triest, Italien, gehen davon aus, dass die Nanoröhrchen als ein Baustein für zukünftige "elektrische Bypass"-Systeme verwendet werden könnten. Diese können bei der Behandlung traumatischer Hirnverletzungen oder als neuartige Elektroden zum Einsatz kommen, die bei gegenwärtig zur Behandlung der Parkinsonschen Erkrankung und bei schwerer Depression verwendeten Geräten zur Tiefenhirnstimulation Metallteile ersetzen würden. Kohlenstoff-Nanoröhrchen sind in jüngster Zeit bei der Realisierung eines mechanischen Speichers, von elektrischen Motoren in Nano-Größenordnung, eines Wasserstoffsensors sowie Touchscreens und flexiblen Bildschirmen eingesetzt worden. 2007 wurde ein Radio entwickelt, das aus einem einzigen Nanoröhrchen besteht. 2008 wurde eine Folie aus Nanoröhrchen benutzt, um einen Lautsprecher zu betreiben. Die Erforschung ihres Einsatzes bei der Energiespeicherung hat gleichfalls interessante Ergebnisse erbracht. Den Autoren zufolge sind die genauen Mechanismen der Wirkung der Nanoröhrchen bei Nervenzellen noch nicht völlig klar; die Erkenntnisse zeigen jedoch, dass die Nanoröhrchen offensichtlich in die neuronale Informationsverarbeitung eingreifen. Sie kommen zu dem Schluss, dass "diese Überlegungen in vereinfachter Weise den ersten Ansatz zur Verbindung elektrischer Phänomene bei Nanomaterialien mit neuronaler Reizverarbeitung darstellen und eine Vorhersage oder technische Verwertung der Wechselwirkungen zwischen Nanomaterialien und Nervenzellen gestatten."

Länder

Schweiz, Italien

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