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Architectural replicas in the scramble for the past: Politics of identity in Istanbul, Athens, Skopje

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Nachbildungen vom Ruhm vergangener Tage sorgen für Gegenwartskontroversen

Eine Nachbildung von ehemaligem nationalem Erbe nach einem traumatischen Verlust von kulturellen Schätzen kann wünschenswert sein. Doch Repliken müssen laut den Erkenntnissen des REPLICIAS-Projekts hohen Standards folgen, um nicht von Regierungen missbräuchlich verwendet zu werden.

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Technologische Fortschritte und bessere Kenntnisse über die Geschichte ermöglichen es immer häufiger, Gebäude und Schätze der Vergangenheit für die Gegenwart wiederherzustellen. Doch es gilt sorgfältig darauf zu achten, wie wir jetzt und in Zukunft den Blick der Menschen auf die Vergangenheit gestalten. REPLICAS-Forschungsbeauftragte Kalliopi Amygdalou erforschte mit Unterstützung durch das Marie-Skłodowska-Curie-Programm Beispiele für historische Repliken in Athen (Griechenland), Skopje (Republik Nordmazedonien) und Istanbul (Türkei). Sie untersuchte, wie die Nachbildung von Gebäuden wie dem Nationaltheater und der Offiziersmesse in Skopje mit anderen architektonischen Sanierungsarbeiten zusammenpasste, die von der vorherigen Regierung durchgeführt wurden, um die urbane Identität der gesamten Stadt neu zu definieren. Amygdalou analysierte zudem die Restauration ausgewählter ottomanischer Gebäude wie beispielsweise die Medrese der Hagia Sophia. In einem kleineren Maßstab untersuchte die Forscherin die Nachbildung von Museumsartefakten wie dem Alexandersarkophagen in Istanbul und dessen Nachbildung in Skopje sowie die Parthenon-Marmore in London und die Nachbildungen der Marmorskulpturen in Athen. „Durch Rekonstruktionen entstehen neue Sachverhalte und neue Indizien, die auf wenigen Informationen basieren, sodass diese sehr manipulations- oder verzerrungsanfällig sind“, stellte Amygdalou fest. „Sie können im Vergleich zu archäologischer oder Restaurierungsarbeit einfach einer breiten Öffentlichkeit präsentiert werden. Sie sind daher in den Händen populistischer Politiker, von denen heute viele an der Macht sind, von größerem Nutzen.“

Identitätspolitik

Amygdalou untersuchte das Verhältnis zwischen Architektur und Nationenbildung in Südosteuropa, doch da sie 2013 während der Proteste im Gezi-Park in der Türkei lebte, stellte sie fest, dass Nachbildungen zu einem Bestandteil von Identitätsdebatten wurden. Bei den Protesten, die sich über die ganze Türkei ausbreiteten, starben laut Angaben eines türkischen Ärzteverbandes, der in The Guardian zitiert wurde, mindestens acht Menschen und 8 000 Menschen wurden verletzt. Der Auslöser sei die Rekonstruktion der ottomanischen Baracken auf dem Taksim-Platz in Istanbul gewesen, erinnert sich Amygdalou: „Das war das erste Beispiel, das mich dazu brachte, darüber nachzudenken, was Rekonstruktion für die Befürworter und Gegner bedeutet. Währenddessen gab es in meinem Heimatland Griechenland eine intensive Meinungsverschiedenheit mit Nordmazedonien über den Anspruch auf das antike makedonische Erbe.“ Über die Hellenic Foundation for European and Foreign Policy führte Amygdalou unter der Aufsicht von Thanos Veremis, Professor Emeritus für Politikgeschichte an der Universität Athen, zum einen Feldarbeit durch, befragte Architekten und Kulturschaffende und untersuchte zum anderen Archive. Sie widmete sich der Erforschung der Politisierung von Nachbildungen in einer Region, in der Imperien wie das makedonische, römische, byzantinische und ottomanische Reich letztlich durch Nationalstaaten ersetzt wurden. Diese spielten auch in turbulenten Zeiten eine Rolle. Die Ergebnisse von Amygdalou waren Bestandteil einer Ausstellung in Skopje mit dem Titel „The Future as a Project, Doxiadis in Skopje“, für die sie in Athen als Kokuratorin fungierte und die in einem Dokumentarfilm präsentiert wird. Das kulturelle Erbe kann nie neutral sein; Politik spielt dabei immer eine Rolle – dies ist die Schlussfolgerung des REPLICIAS-Projekts. Doch hierüber sollte auf transparente Weise, unter Miteinbeziehung von ausgebildeten Sachverständigen diskutiert und debattiert werden. Die Forscherin verweist auf die Leitlinien der Charta von Venedig für bedeutsame, akzeptable Restaurierungen und zitiert die Frauenkirche in Dresden (Deutschland) und die Brücke von Mostar (Bosnien) als gute Beispiele. „Die Standards sind so strikt wie bei einer archäologischen Ausgrabung und der Prozess kann viele Jahre dauern. Er ist nicht dafür bestimmt, rechtzeitig für den visuellen Konsum auf politischen Postern fertiggestellt zu werden“, lautet das Fazit von Amygdalou.

Schlüsselbegriffe

REPLICIAS, Identitätspolitik, Nachbildungen, Rekonstruktionen, Athen, Skopje, Istanbul

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