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The Western European Acheulian Project

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Nutzung und Herstellung von Werkzeugen erklären Wanderungsmuster durch Westeuropa im Mittelpleistozän

Trotz einiger strittiger Punkte in der Out-of-Africa-Theorie über die Besiedlung Europas durch Hominini, lassen sich die Migrationsmuster durch zyklische Klimaänderungen auf dem Kontinent erklären. Das Projekt WEAP liefert genauere Daten, indem es die Herstellung von Werkzeugen in den Regionen untersucht.

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Eine der schwierigsten Debatten über die frühzeitliche Entwicklung des Menschen dreht sich um die Migration aus Afrika, der Wiege der Menschheit, aus der sich die Besiedlung Europas ergeben haben soll (Out-of-Africa-Theorie). In den letzten zehn Jahren hat sich gezeigt, dass die ersten Siedlungsströme Richtung Nordwesteuropa etwa vor einer Million Jahren von der iberischen Halbinsel und Südfrankreich begonnen haben und entlang der Atlantikküste verlaufen sein müssen. Auf dieser Route sollten sich also Nachweise für Verknüpfungen der nördlichen und südlichen Kulturen finden lassen. Im EU-finanzierten Projekt WEAP, das am British Museum in London angesiedelt ist, wurde die Anwesenheit des Menschen in Europa im Mittelpleistozän, also im Zeitraum von vor 700 000 bis 250 000 Jahren, untersucht. Dazu wurde Technologie von zehn verschiedenen archäologischen Ausgrabungsstätten aus dem Acheuléen analysiert. Bis dato wurden zur Analyse und Kategorisierung unterschiedliche Systeme verwendet. Dadurch wurde der Datenvergleich zwischen einzelnen Ländern erschwert und die Vergleichsergebnisse der größten westeuropäischen Stätten blieben zwangsläufig oberflächlich. WEAP nutzte neue Technologien und einen übergreifenden methodischen Ansatz, um genauere Vergleiche der Steinwerkzeuge dieser Stätten zu ermöglichen, und konnte dadurch mehrere technologische Identitäten für das westeuropäische Acheuléen belegen.

Was Faustkeile erzählen

Anfang des Acheuléen-Zeitalters (vor 1,7 bis vor 1,5 Mio. Jahren in Afrika) begann die Herstellung neuer Werkzeuge. Besonders nennenswert ist dabei wohl der Faustkeil – das erste zweiseitig bearbeitete Gerät, das als erster wichtiger Hinweis auf entwickeltes menschliches Denken gilt. In Europa gibt es keine Nachweise von Faustkeilen von vor einer Million Jahren und auch ab dem Zeitraum vor 700 000 Jahren nur sporadisch. Doch durch ihre Vielfalt lassen sie sich verschiedenen Herstellungstraditionen zuordnen und damit auch Wanderungsmustern der Hominini. „WEAP hat lokale Faktoren, wie verfügbare Rohstoffe, untersucht, die Einfluss auf die Gestaltung des Faustkeils gehabt haben könnten. So bekommen wir eine stärker regional ausgerichtete Perspektive, die über die Eigenschaften einzelner Stätten hinausgeht“, erklärt die Marie Skłodowska-Curie-Stipendiatin Paula García-Medrano. Mithilfe von 3D-Oberflächenmessung konnte WEAP die Morphometrie der Werkzeuge abbilden. Analysiert wurden Proben aus einem großen Zeitraum von vor 700 000 Jahren bis vor 250 000 Jahren von zehn Ausgrabungsstätten in Westeuropa, genauer dem Vereinigten Königreich (Brandon Fields, Boxgrove, Elveden, Swanscombe-UMG) und Frankreich (La Noira, Cagny La Garenne, Saint Pierre und Menez Dregan). Die Ergebnisse untermauern frühere Forschungsarbeiten, denen zufolge die Überlebenschancen des Menschen in Europa von Umweltveränderungen beeinflusst worden waren. Dies spiegelt sich in den Migrationsmustern wider. Im Zeitraum von vor 1,2 bis 0,9 Mio. Jahren gab es zum Beispiel Klimaänderungen verschiedener Dauer und Intensität. Durch die relativ humiden Bedingungen, besonders im Mittelmeerraum und in Westeuropa, gab es mehr Möglichkeiten für Lebens- und Wanderungsräume. Die vor 900 000 Jahren einsetzenden längeren und stabileren Zwischeneiszeiten ermöglichten eine dauerhaftere Besiedlung Nordwesteuropas, doch als sich das Klima abkühlte, zog sich der Mensch zurück oder konnte an einzelnen Orten nicht überleben. Vor 0,6 Mio. Jahren begann nachweislich eine langfristigere Besiedlung der nördlichen Breiten, da bei Ausgrabungen große Mengen an Steinwerkzeugen mit Innovationen wie dem Faustkeil gefunden wurden. „Die Ergebnisse aus WEAP ergänzen die klassische Interpretation der europäischen Besiedlungsgeschichte um neue Details. Eine Technologie ist immer auch ein Spiegel ihrer Herstellungsweise. Darum lassen Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den Eigenschaften, wie ovale oder spitz zulaufende Formen, auf die Wanderungsbewegungen des Menschen im Acheuléen schließen“, so García-Medrano.

Ideen werden Realität

Durch WEAP wird klarer, wie sich der frühe Mensch an das kühlere europäische Klima angepasst und sich auf dem Kontinent verbreitet hat. Anhand der Unterschiede in der Werkzeugherstellung lässt sich auch untermauern, dass die Hominini in der Lage waren, mithilfe eines „mentalen Modells“ Ideen in die Realität umzusetzen. Im nächsten Schritt soll die WEAP-Methodologie in weiteren Stätten auf der iberischen Halbinsel, in Italien und Nordafrika zum Einsatz kommen. Sobald die zeitlichen und räumlichen Verbindungen zwischen den Technologien bestimmt sind, soll geklärt werden, welche Routen die Hominini genutzt haben könnten, um diesen Teil des Kontinents zu besiedeln.

Schlüsselbegriffe

WEAP, Hominini, Faustkeil, Acheuléen, Mittelpleistozän, Migration, Wanderung, Zwischeneiszeit, Interglazial, Klima, 3D-Scan, 3D-Oberflächenmessung

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