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Inhalt archiviert am 2024-04-23

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Feature Stories - Vom elektronischen Gehirn zur Kraft der Gedanken ...

Seit dem Beginn des Siebten Rahmenprogramms der EU (RP7) hat die EU mehr als 1,9 Mrd. EUR für die Hirnforschung zur Verfügung gestellt. Damit wurden mehr als 1200 Projekte mit über 1500 Teilnehmern aus der EU und darüber hinaus finanziert. Rückblickend auf den http://ec.europa.eu/research/conferences/2013/brain-month/index_en.cfm?pg=home ("Europäischen Monat des Gehirns") im Mai schauen wir uns an, welche Hirnforschungsprojekte die EU im Themenbereich "Informations-und Kommunikationstechnologien" (IKT) fördert.

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Bereits seit langer Zeit stehen Informationstechnologien im Zusammenhang mit dem menschlichen Gehirn: die alte einfache Erklärung eines Computers war, dass dieser eine Art elektronisches Gehirn sei. Aber Computer sind sehr schnell so allgegenwärtig geworden, dass heutzutage Anfänger das Gehirn oftmals als eine Art biologischen Computer beschreiben. In ihrem Kommentar zur diesjährigen Ankündigung der 150 Mio. EUR für die Finanzierung von IKT-Forschungsprojekten im Zusammenhang mit dem Gehirn sagte Neelie Kroes, Vizepräsidentin der Europäischen Kommission und zuständig für die Digitale Agenda für Europa: "Trotz großer Fortschritte in den letzten Jahrzehnten bleibt noch viel zu entdecken: von Computern, die wie unser Gehirn denken - etwa Computernetzwerke, die die Struktur des Gehirns replizieren, um "Big Data" besser zu bewältigen - bis hin zur Erkennung und Heilung von Störungen des Gehirns, an denen bis zu einem Drittel der Europäer jedes Jahr erkranken, von Alzheimer und Autismus bis hin zu Schizophrenie." Die Gehirnbox Das menschliche Gehirn zu verstehen, ist daher eine der größten Herausforderungen der Wissenschaft des 21. Jahrhunderts. Ambitionierte neue Projekte in der EU wie das Programm Neue und zukünftige Technologie (Future and Emerging Technology, FET , das 'Human Brain Projekt ' (HBP), und in den USA das BRAIN-Projekt, versuchen nun, dieser Herausforderung gerecht zu werden, mit der Hoffnung, tiefe Einblicke in das zu gewinnen, was uns zu Menschen macht, neue Therapien für Erkrankungen des Gehirns zu entwickeln und revolutionäre neue Rechnertechnologien aufzubauen. Das erste Ziel des HBP ist es, ein integriertes System IKT-basierter Forschungsplattformen aufzubauen, wodurch Neurowissenschaftler, Mediziner und Technologieentwickler Zugang zu innovativen Tools und Diensten erhalten, die ihre Forschungsarbeiten drastisch beschleunigen könnten. Das Projekt wird über einen Zeitraum von 10 Jahren Finanzmittel in Höhe von rund 1 Mrd. EUR erhalten und eng mit Präsident Obamas neuer Initiative zum Thema "Brain Activity Mapping" (BAM), im Wert von 100 Millionen Dollar im ersten Jahr allein, zusammenarbeiten. Das zweite Ziel des HBP ist es daher, eine globale Zusammenarbeit zu initiieren und zu leiten, bei der mit Hilfe dieser Plattformen grundsätzliche Fragen der Neurowissenschaften, Medizin und des Computing angegangen werden. Im Endergebnis sollte dabei nicht nur ein neues Verständnis des Gehirns, sondern auch transformative neue IKT herauskommen. Zum Beispiel verwaltet das Gehirn Milliarden von Recheneinheiten, die über Kilometer von Fasern und Billionen von Synapsen verbunden sind, während es nicht mehr Strom als eine Glühbirne verbraucht. Dieses zu verstehen, könnte unsere Rechenleistung transformieren und zu einer neuen IKT-Infrastruktur beitragen. Gehirnboxen: Menschen helfen Computern Wir alle wissen, dass das moderne Leben uns eine verwirrende Palette von Informationen präsentiert, vom Supermarkt bis zur Online-Werbung, und in belebten Straßen oder Geschäften oft nach schnellen Entscheidungen verlangt. Überraschenderweise haben diese Herausforderungen Ähnlichkeiten in einer Reihe von Wissenschaften wie Astronomie, Neurowissenschaften, Archäologie, Geschichte und Wirtschaft. In diesen Bereichen müssen Experten aus sehr großen und komplexen Datenmengen einen Sinn herausfinden. Das Projekt CEEDS arbeitet an neuen Werkzeugen für die "Mensch-Computer-Interaktion" (human-computer interaction, HCI), die sowohl der täglichen Entscheidungsfindung als auch der wissenschaftlichen Analyse von Informationen dienen sollen. Der neue Ansatz, den das Team verfolgt, nutzt Systeme der "synthetischen Realität" (SR), um Menschen bei der bewussten Durchsuchung großer Datenmengen zu helfen, während auch die Kraft und das Potenzial des Unterbewusstseins genutzt werden. Wir kennen nur einen kleinen Teil der Informationen, die wir von unseren Sinnen erhalten, aber unser Gehirn verarbeitet auch den Rest - und wir sind sehr gut im Erkennen unbewusster Muster. CEEDS will daher nach Anzeichen für Entdeckung oder Überraschung in diesen unbewussten Prozessen Ausschau halten, wobei auf dem Körper tragbare Technologien verwendet werden, die die Reaktionen der Probanden auf Visualisierungen großer Datenmengen in SR-Umgebungen messen. Das System wird dann die Benutzer zu Bereichen von potenziellem Interesse in den Visualisierungen führen und ihre Entdeckung von Mustern und Bedeutung in den Datensätzen leiten. Die Freisetzung der Kraft des Unterbewusstseins wird CEEDS Benutzern helfen, Muster oder Signale, die in großen Datenmengen versteckt sind, herauszufinden. Diese neue "konfluente Technologie" - bei der der Computer und die Benutzer Bestandteile eines Systems sind - könnte sogar mehrere Benutzer miteinander verknüpfen und ein kollektives Entdeckungssystem schaffen. CEEDS hilft Computern und Menschen bei der Zusammenarbeit, aber das Projekt BrainScaleS hilft Computern dabei, mehr wie Menschen zu denken. Unsere Gehirne arbeiten auf verschiedenen Ebenen gleichzeitig: von einzelnen Neuronen bis hin zu großen Bereichen, die für bestimmte Funktionen zuständig sind, wie Sehen oder Riechen, und von Millisekunden (körperliche Reaktionen) bis hin zu Stunden oder Tagen (Lernen). Das Projektteam wird mit Simulationen auf ultraschnellen Supercomputern "eine künstliche Darstellung kortikalähnlicher kognitiver Fähigkeiten" erarbeiten und entwickelt eine "Nicht-von-Neumann-Hardware-Architektur". Traditionelle Computer basieren auf der "von Neumann"-Architektur, die wir aus dem Umgang mit unseren PCs kennen, bei der getrennte Speicher und Recheneinheiten eingesetzt werden. Aber mit Strukturen, die die mehrskalige Funktion des menschlichen Gehirns nachahmen, hat das Team einen Nicht-von-Neumann-Rechner konzipiert. Die Arbeit des BRAINSCALES-Projekts, die auch Anwendungen außerhalb der Gehirnwissenschaften hat, hat zur Vorbereitung des FET Human Brain Projekts beigetragen. Gleichermaßen zielt das Projekt REALNET auf die Entwicklung des ersten realistischen Echtzeitmodells des "Kleinhirns" - dem Teil des Gehirns, der eine wichtige Rolle bei der motorischen Steuerung spielt und an kognitiven Funktionen wie Aufmerksamkeit und Sprache beteiligt ist. Das Team wird spezifische Chips und bildgebende Verfahren entwickeln, um neurophysiologische Aufnahmen von Neuronen im Kleinhirn zu machen. Das Endergebnis wird ein realistisches neuronales Netz sein, das auf anatomischen und physiologischen Daten gründet, die sowohl mit simulierten als auch realen Robotern verbunden sind, um die Funktionsweise zu beurteilen. REALNET will eine radikal neue Sicht über die Rechenvorgängen in zentralen Hirnschaltkreisen liefern - und damit die Basis für neue technologische Anwendungen in Sensorik, Motorsteuerung und kognitiven Systemen legen. Bewusstseinskontrolle: Computer helfen Menschen IKT-Hirnforschung befasst sich nicht nur mit der Funktionsweise des Gehirns und kopiert diese, sondern arbeitet auch an einer anderen Herausforderung, einem alten Traum der Menschheit: die Steuerung der physischen Welt allein durch den Verstand - Objekte durch Gedanken bewegen. Einer der größten Beiträge der Hirnforschung wäre es, Menschen zu helfen, die aufgrund von Verkehrsunfällen an den Rollstuhl gefesselt sind oder Menschen mit Ganzkörper-Lähmung oder dem Locked-in-Syndrom. Millionen Europäer haben irgendeine Form motorischer Behinderung, die ihre Fähigkeit sich zu bewegen, interagieren oder mit anderen zu kommunizieren beeinträchtigt. Das Projekt BrainAble ist eine Drei-Jahres-Initiative, die mit Finanzmitteln in Höhe von 2,3 Millionen EUR unterstützt wird, um fortschrittliche "Gehirn-Computer-Schnittstellen" (brain-computer interface, BCI), Umgebungsintelligenz, virtuelle Realität und andere Technologien zu unterstützen, die, wenn sie in Kombination benutzt werden, beispiellose Autonomie für Menschen mit Behinderungen versprechen. "Unser Ziel ist es, Menschen mit motorischen Behinderungen so viel Autonomie zu geben, wie die Technologie es derzeit erlaubt und im Gegenzug ihre Lebensqualität erheblich zu verbessern", sagt Felip Miralles am Digital Technology Centre in Barcelona, einem spanischen IKT-Forschungszentraum, welches das Projekt koordiniert. Durch die Kombination von BCI und anderen unterstützenden Technologien können Anwender einen Roboter fernsteuern und diesen rund um das Haus manövrieren. Weiterhin haben die Forscher die Kommunikationsfähigkeit dieser Menschen verbessert. Die Forscher von BRAINABLE überwinden nun die langsamen Reaktionsgeschwindigkeiten bisheriger Systeme durch die Einbettung von Intelligenz in ihre Plattform, sodass das System den Kontext und die Gewohnheiten des Benutzers versteht und proaktiv handeln kann. Die Plattform ermöglicht sogar einen vereinfachten Zugang zu Social-Networking-Plattformen wie Twitter und Facebook, die sich zu immer wichtigeren Werkzeugen entwickeln, um behinderten Menschen aus der sozialen Isolation zu helfen. Durch die intensive Anwendung von BCI-Technologie könnte das Projekt MINDWALKER Tausenden von Menschen mit Rückenmarkverletzung in Europa helfen. Das gedankengesteuerte Roboter-Exoskelett des Projekts sollte diesen Patienten helfen, wieder zu gehen. Es könnte auch bei der Rehabilitation von Schlaganfallopfern oder Astronauten eingesetzt werden, die ihre Muskeln nach längerem Weltraumaufenthalt wieder aufbauen müssen. Die meisten BCI-Systeme sind entweder invasiv, wobei Elektroden direkt ins Hirngewebe eingepflanzt werden, oder der Benutzer muss eine "nasse" Mütze auf dem Kopf tragen, wobei spezielle Gels verwendet werden, um den elektrischen Widerstand zu verringern. MINDWALTER setzt eine "trockene" Technologie mit Elektronik ein, um die Gehirnsignale zu verstärken und zu optimieren. "Der Proband kann sich die trockene EEG-Haube selbst in weniger als einer Minute, wie eine Badekappe, über den Kopf ziehen", erklärt Michel Ilzkovitz, Projektkoordinator bei Space Applications Services in Belgien. Darüber hinaus hat das Projektteam eine neue Laufstrategie entwickelt, die sich von den meisten früheren Exoskeletten unterscheidet. Diese sind so gestaltet, dass sie beim Stehen auf der Stelle trippeln müssen, um im Gleichgewicht zu sein. MIDWALKER setzt einen kontrollierten Gleichgewichtsverlust in Laufrichtung ein, der die Art und Weise, wie Menschen tatsächlich gehen, repliziert. "Dieser Ansatz wird "limit-cycle walking" genannt und wurde unter Verwendung von "Model-predictive Control" implementiert, um das Verhalten des Benutzers und des Exoskeletts vorherzusagen und das Exoskelett während des Gehens zu steuern", so Ilzkovitz. Höhere Effizienz bedeutet, dass das Exoskelett eine größere Reichweite und leichtere Akkus hat. Körperliche Behinderungen schränken nicht nur die Beweglichkeit ein, sondern können auch zu sozialer Isolation führen, wodurch der Mensch nicht in der Lage ist, die moderne vernetzte Welt zu nutzen. Das Projekt ASTERICS hat eine Plattform entwickelt, die die Kommunikation für Menschen mit motorischen Behinderungen in ihren oberen Gliedmaßen durch eine Kombination von BCI und Computer Vision mit Grundantrieb, um einen Computer zu steuern, verbessert. Zum Projektende im Dezember 2012 hatte das Projekt ein Produkt entwickelt, mit dem der Zugang zu verschiedenen Geräten wie PCs, Mobiltelefonen und Smart-Home-Geräten - möglich ist. Dabei sind alle Funktionalitäten in einer Plattform integriert, die an jeden Benutzer angepasst werden kann integriert. Es ist als Open-Source-Software und als vorkonfiguriertes Gerät, das über den Handel bezogen werden kann, erhältlich. Diese Arten von Prothesen könnten das Leben tausender Menschen zu verbessern. Im zweiten Teil dieses Artikels werden wir auf einige der anderen medizinischen Anwendungen des Gehirns im Zusammenhang mit der von der Europäischen Union finanzierten IKT-Forschung eingehen. Die in diesem Artikel vorgestellten Projekte wurden vom Programm zur Unterstützung der IKT-Politik des Programms für Wettbewerbsfähigkeit und Innovation (CIP) oder dem Siebten Rahmenprogramm (RP7) für Forschung unterstützt. Link zu einem Projekt auf CORDIS: - RP7 auf CORDIS - CEEDS Projektdatenblatt auf CORDIS - BRAINSCALES Projektdatenblatt auf CORDIS - REALNET Projektdatenblatt auf CORDIS - BRAINABLE Projektdatenblatt auf CORDIS - Mindwalker Projektdatenblatt auf CORDIS - ASTERICS Projektdatenblatt auf CORDIS Link zur Projekt-Website: - Website des Human Brain Project - Website des Projekts 'Collective experience of empathic data systems' - Website des Projekts 'Brain-inspired multiscale computation in neuromorphic hybrid systems' - Website des Projekts 'Realistic real-time networks: computation dynamics in the cerebellum' - Website des Projekts 'Autonomy and social inclusion through mixed reality "brain-computer interfaces": Connecting the disabled to their physical and social world' - Website des Projekts 'Mind controlled orthosis and VR training environment for walk empowering' - Website des Projekts 'Assistive technology rapid integration and construction set' Links zu verwandten Nachrichten und Artikeln: - Commissioner Kroes' blog post on the European Month of the Brain: 'the EU and US putting our grey matter together' - EK Pressemitteilung: 150 Mio. EUR für die Hirnforschung zu Beginn des "European Month of the Brain" - Q&A Memo der EK: Questions and answers on 'European Month of the Brain' - Website der EK zum 'Europäischen Monat des Gehirns', Mai 2013 - Veranstaltungen zum 'Europäischen Monat des Gehirns', Mai 2013 - "Verbesserte Gehirn-Computer-Schnittstelle verspricht neue Ebene der Selbstständigkeit für Behinderte" - "Gedankengesteuertes Exoskelett, mit dem behinderte Menschen wieder gehen lernen" Weitere Links: - Website der Europäischen Kommission zur Digitalen Agenda