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Inhalt archiviert am 2023-03-07

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Wissenschaftlern verkünden: Lesen ist gut für das Gehirn

Schon im Kindesalter werden wir zum Lesen ermutigt und immer wieder wird uns gesagt, Lesen sei gut für das Gehirn. Was genau jedoch bewirkt das Lesen im Gehirn? Ein internationales Team aus Neurowissenschaftlern hatte sich vorgenommen, diese Frage zu beantworten und fand herau...

Schon im Kindesalter werden wir zum Lesen ermutigt und immer wieder wird uns gesagt, Lesen sei gut für das Gehirn. Was genau jedoch bewirkt das Lesen im Gehirn? Ein internationales Team aus Neurowissenschaftlern hatte sich vorgenommen, diese Frage zu beantworten und fand heraus, dass Menschen, die lesen können, unabhängig davon, ob sie es als Kind oder erst im Erwachsenenalter erlernt haben, in verschiedenen Teilen des Gehirns heftigere Reaktionen auf geschriebene Worte zeigten. Die Ergebnisse wurden kürzlich im Fachjournal Science veröffentlicht. Die Wissenschaftler aus Belgien, Brasilien, Frankreich und Portugal unter der Leitung des kognitiven Neurowissenschaftlers Stanislas Dehaene vom Institut National de la Santé et de la Recherche Médicale (INSERM) in Gif-sur-Yvette, Frankreich, erforschten, ob Lesen die Gehirnfunktion verbessert und ob sie auch Verluste mit sich bringt. Mithilfe der Magnetresonanztomografie maßen sie die Gehirnreaktionen von 63 portugiesischen und brasilianischen Teilnehmern auf gesprochene und geschriebene Sprache, auf Gesichter, Häuser und verschiedene Werkzeuge. 10 der Freiwilligen waren Analphabeten, 22 haben erst im Erwachsenenalter lesen gelernt und 31 bereits in der Kindheit. Die Ergebnisse zeigten bei allen, dass unterschiedliche Bereiche des Gehirns, in denen wir das Gesehene verarbeiten, auf geschriebene Worte heftiger reagieren. Bei den Alphabeten, nicht jedoch bei den Analphabeten, lösten geschriebene Worte darüber hinaus Gehirnaktivitäten im Bereich des linken Temporallappens aus, der auf die gesprochene Sprache reagiert. Laut Aussage des Teams bedeutet dies, dass wir beim Lesen Gehirnbereiche verwenden, die für die gesprochene Sprache zuständig sind, eine viel ältere Innovation der menschlichen Kommunikation. Das Lesen ist eine relativ neue Erfindung in der menschlichen Geschichte; Schrift gibt es erst seit rund 5.000 Jahren. "Die Fähigkeit zu lesen, ob sie nun als Kind oder erst im Erwachsenenalter erworben wurde, verbessert die Gehirnreaktionen auf mindestens drei verschiedene Arten", schreiben die Autoren in ihrer Abhandlung. Ihrer Erklärung nach wird durch das Lesen "die Organisation des visuellen Cortex angekurbelt", der Teil des Gehirns, der Impulse von den optischen Nerven erhält und verarbeitet. Lesen bewirkt dies "insbesondere durch das Hervorrufen einer verbesserten Reaktion auf das bekannte Skript an der VWFA [visual word form area]-Seite im linken occipitotemporalen Cortex, sowie durch die Verstärkung der frühen visuellen Reaktionen im occipitalen Cortex auf eine teils retinotipische Art", führen sie weiter aus. Darüber hinaus ermöglicht das Lesen nach Aussage der Wissenschaftler, "dass praktisch das gesamte Netzwerk der linken Hemisphäre durch gesprochene Sätze aktiviert wird. Somit kommt das Lesen, eine späte kulturelle Erfindung, nahe an die Effizienz des am weitesten entwickelten Kommunikationskanals der menschlichen Spezies heran, nämlich die Sprache." Ferner hätten die Forschungen der Wissenschaftler bewiesen, dass "Lesen die Verarbeitung der gesprochenen Sprache verfeinert, indem es eine phonologische Region, das Planum temporale, verbessert und einen orthographischen Code von oben nach unten verfügbar macht." Diese zusätzliche Hirnaktivität hat jedoch womöglich auch einen Nachteil. Die Forscher fanden heraus, dass bei Menschen, die früh Lesen gelernt haben, eine kleinere Region des linken occipitaltemporalen Cortex auf Bilder von Gesichtern reagiert als bei den Analphabeten. "Diese weitgehend positiven Veränderungen sollen nicht verbergen, dass die Fähigkeit des Lesens, wie jede Form von Können, auch in Konkurrenz zu anderen Leistungen des visuellen Cortex steht", betonen die Autoren. "Auf der VWFA-Seite wurde eine erheblich reduzierte Aktivität auf Schachbretter und Gesichter festgestellt.“ Ihrer Ansicht nach werden jedoch weitere Forschungen nötig sein, um zu bestimmen, was genau diese Verschlechterung der Fähigkeit, Gesichter zu erkennen, bewirkt. Die Wichtigkeit des Lesens für das Gehirn wurde nicht das erste Mal hervorgehoben. Letztes Jahr fand Manuel Carreiras vom Basque Center on Cognition, Brain and Language in San Sebastian in Spanien heraus, dass sich die Gehirne von Menschen, die als Erwachsene lesen gelernt haben, in ihrer Struktur von den Gehirnen von Analphabeten unterscheiden.

Länder

Belgien, Brasilien, Spanien, Frankreich, Portugal