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Inhalt archiviert am 2024-04-18

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Die lange Suche nach einem Heilmittel für Chorea Huntington

Derzeit fehlt es an wirksamen Behandlungen für Chorea Huntington, weshalb einer von 10 000 Menschen unter schwer zu ertragenden Symptomen leiden muss. Dazu zählen Schwierigkeiten bei der Muskelbewegung, Nahrungsaufnahme und Kommunikation sowie psychische Probleme. Die Forscher eines EU-Konsortium sind überzeugt, das lange gesuchte Heilverfahren gefunden zu haben und es sehr bald in ersten präklinischen Studien erproben zu können.

Wenn Sie in letzter Zeit die Forschung in Bezug auf Chorea Huntington (Huntington's Disease; HD) verfolgt haben, ist Ihnen der Begriff „Zinkfinger“ möglicherweise schon einmal zu Ohren gekommen. Im Jahr 2012 zog eine Gruppe von Forschern aus Spanien die Aufmerksamkeit relevanter Interessengruppen auf sich, als sie öffentlich erklärten, synthetische Zinkfinger – d. h. Zinkproteine, mit denen Zellen das Aktivitätsniveau verschiedener Gene in unserer DNA regulieren – erfolgreich im Kampf gegen HD angewendet zu haben. Die Zinkfinger wurden mit genetisch modifizierten Zellen, Zellen von HD-Patienten und Gehirnzellen HD-kranker Mäuse getestet. Bei letzteren konnten sie die Aktivität einer Mutation des Gens „Huntingtin“ ohne feststellbare Nebenwirkungen um 50 % reduzieren. Und im Gegensatz zu standardmäßigem Gen-Silencing wirkt dieses Verfahren direkt auf die DNA anstatt auf das RNA-Botenmolekül. Die Mitglieder des Projekts FINGERS4CURE (Zinc finger gene therapy in the brain for treating Huntington's disease) führten diese Forschungsarbeit fort, indem sie versuchten, die Zinkfingerexpression ausreichend lange aufrechtzuerhalten, um eine Langzeittherapie mit einmaligem Eingriff für menschliche Patienten zu ermöglichen. Dr. Mark Isalan, Dozent für Gene Network Engineering am Imperial College London und Koordinator von FINGERS4CURE, spricht wenige Wochen vor Abschluss des Projekts über die erzielten Ergebnisse. Warum gibt es derzeit noch kein Heilmittel für HD? Derzeit wird an mehreren Behandlungsverfahren gearbeitet, doch klinische Studien und Sicherheitsprüfungen nehmen leider viel Zeit in Anspruch. Und mit vielversprechend verlaufenden klinischen Studien fängt die Entwicklung einer Behandlung gerade erst an. HD ist eine sehr spezielle Erkrankung, was bei der Entwicklung von Behandlungsverfahren sowohl mit Vor- als auch mit Nachteilen verbunden ist. Im Vergleich zu anderen neurodegenerativen Erkrankungen besteht ein großer Vorteil darin, dass nur ein einzelnes Gen betroffen ist. Erste Versuche mit Mäusen belegen eindeutig, dass der Krankheitsverlauf aufgehalten und rückgängig gemacht werden kann, indem lediglich die Expression des mutierten Huntingtin-Gens vermindert wird, durch das sich toxisches Protein im Gehirn ansammelt. Die Schwierigkeiten bestehen darin, dass das Huntingtin-Gen in vielen Zelltypen exprimiert wird und dass es während des ganzen Lebens des Patienten unterdrückt werden muss. Zudem verfügen Patienten über ein zweites, nicht mutiertes Exemplar des Gens, welches durch die Behandlung möglichst nicht beschädigt werden sollte. Auf welche Weise das mutierte Huntingtin-Gen die Erkrankung verursacht, ist noch nicht abschließend geklärt. Das bedeutet, dass ein Heilverfahren das Problem idealerweise dort beheben würde, wo es entsteht, indem es die Expression des unerwünschten Gens in den Zellen von vornherein verhindert. Welche Lösung schlagen Sie im Rahmen des Projekts vor? In den letzten zehn Jahren haben wir einen genetischen Mechanismus, den sogenannten Zinkfinger, entwickelt, der spezifisch auf das mutierte Huntingtin-Gen wirkt. Der Zinkfinger heftet sich an die DNA und unterbindet die Genexpression. Im Jahr 2012 waren wir die ersten, die den Zinkfinger effizient Mäusen verabreichen und das unerwünschte Gen zielgerichtet deaktivieren konnten. Interessanterweise konnte eine Injektion die neurologischen Symptome bei HD-kranken Mäusen für einige Wochen lindern. Die Wirkung des Zinkfingers hielt damals allerdings noch nicht sonderlich lange an. Das Projekt FINGERS4CURE wurde ins Leben gerufen, um dieses Problem zu beheben. Sie haben diese neue Gentherapie an Mäusen getestet. Sind Sie mit den Ergebnissen zufrieden? Wir sind von unseren neuesten Ergebnissen sogar begeistert: Im FINGERS4CURE-Projekt wollten wir den spezifischen Aufbau unseres Zinkfingers optimieren, um ihn für das Immunsystem des Wirtsorganismus unsichtbar zu machen und die Genexpression für einen längeren Zeitraum aufrechtzuerhalten. In Kürze werden wir eine wissenschaftliche Arbeit zu diesem Thema einreichen, in dem wir erläutern, wie wir das mutierte Huntingtin-Gen mit einer einzigen Injektion mindestens 6 Monate lang unterdrücken können. Andere Behandlungsstrategien, etwa mit Antosense-Oligonukleotiden oder siRNA, wirken auf die RNA – eine Ebene über der DNA – und machen häufigere Infusionen erforderlich. Die langfristige Unterdrückung, welche die Genexpression an ihrer Quelle unterbindet, ist ein gewaltiger Fortschritt, der mit aufwändiger Forschungsarbeit nach dem Prinzip „Trial and Error“ erreicht wurde. Wann könnte dieses Behandlungsverfahren am Menschen erprobt werden? Mit den neuesten Entwürfen stehen wir bereits kurz vor diesem Punkt. Wir sind auch dem richtigen Weg, um bald mit groß angelegten präklinischen Studien zu beginnen. In diesen werden Faktoren wie Sicherheit und Toxikologie bewertet sowie die Häufigkeit der Verabreichung und die ideale Dosis bestimmt, um die gewünschte Dauer und Intensität der Unterdrückung zu erreichen. Auf dieser Grundlage könnten wir dann klinische Studien mit Patienten definieren und durchführen. Das größte Hindernis besteht nun darin, die erforderlichen Geldmittel für diese umfassenden Studien zu sichern und einen Partner aus der Industrie zu finden, der die Translation, Produktentwicklung und weitere, fortgeschrittene klinische Studien unterstützt. Apropos, wie geht es mit der Suche nach diesem industriellen Partner voran? Im Laufe dieser Arbeit wechselte ich vom Centre for Genomic Regulation (CRG) in Barcelona in mein aktuelles Labor am Imperial College London. Nun, da wir diese neuen Erfolge vorweisen können, arbeiten die Stellen für Technologietransfer beider Einrichtungen (die TBDO am CRG und „Imperial Innovations“ am Imperial College) zusammen und gehen auf potenzielle Partner zu. Da wir langfristige Wirkungen in vivo erreichten können, sind wir überzeugt, dass wir eine bahnbrechende neue Therapie anzubieten haben. Wie lang wird es ihrer Einschätzung noch dauern, bis Patienten von den Projektergebnissen profitieren können? Dies können wir kaum früh genug erreichen. Ich bin mir im Klaren, welch unvorstellbares Leid sowohl Patienten als auch ihre Familien ertragen müssen. Der formale Entwicklungsprozess schreitet häufig frustrierend langsam voran, dies ist jedoch kaum zu vermeiden, da Sicherheit und Wirksamkeit gewährleistet werden müssen. Ich kann nur versprechen, die Arbeit so schnell wie irgend möglich voranzutreiben. FINGERS4CURE Gefördert unter ERC-POC CORDIS-Projektseite

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