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Civic community and public space in the ancient Near East. The case of Hittite Anatolia at the end of the Late Bronze Age (14th-13th centuries BCE).

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Die Macht des Volkes im Reich der Hethiter

Eine italienische Archäologin hat mit modernen Techniken die antike Hafenstadt Ugarit im heutigen Syrien analysiert. Ihre Forschungsarbeiten im Rahmen des EU-Projekts COMPUS widersprechen der bisherigen Annahme, dass die Bevölkerung der Spätbronzezeit nichts als unglückselige Opfer ihrer despotischen Könige gewesen wären.

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Unser modernes Bild von den Reichen, die in der Spätbronzezeit den Mittelmeerraum und den Nahen Osten beherrschten, wurde seit etwa 1850 durch Ausgrabungen von Tempeln, Palästen und deren Schätzen geprägt. Doch nach dem zweijährigen EU-Projekt COMPUS wissen wir, dass man sich auch die übrige Architektur genauer ansehen sollte. „So bekommen wir ein besseres Verständnis für diese antiken Gesellschaften und die überraschende politische Rolle der einfachen Bevölkerung im Einflussgebiet des Hethiterreiches“, sagt die italienische Archäologin Professor Alessandra Gilibert. Mit Förderung durch das Marie-Curie-Programm hat Prof. Gilibert, die als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Venedig tätig ist, die erste eingehende Analyse des öffentlichen Raumes in der antiken Hafenstadt Ugarit durchgeführt, die im heutigen Syrien liegt. Mithilfe neuartiger Techniken wollte sie herausfinden, wie die Bevölkerung der Spätbronzezeit – zwischen 1550 und 1200 v. Chr. – sich an solchen Orten, wie zum Beispiel Plätzen, versammelten. Sie schlussfolgerte, dass die Herrscher sich bei der Gestaltung öffentlicher Räume immens anstrengten, um sich so die Loyalität ihrer Untertanen zu sichern. „Die Wissenschaft geht immer noch davon aus, dass der öffentliche Raum in den Städten des antiken Nahen Ostens keine wichtige Rolle gespielt hat,“, so Prof. Gilibert. „Meine Forschung beweist, dass diese Annahme nicht stimmt.“ Prof. Gilibert analysierte Objekte, die seit 1928, als die Stadt zufällig entdeckt wurde, bei Ausgrabungen auf Plätzen in Ugarit gefunden wurden. Per Computermodellierung berechnete sie die Bewegungen der Bevölkerung und bewertete die Bedeutung des öffentlichen Raumes danach, ob in dessen Umgebung bedeutsame Bauwerke vorhanden waren oder nicht. Die Bevölkerung hat eine Wahl Sie geht davon aus, dass ihre integrierte Methode, mit der Städte „gelesen“ werden, andere Wissenschaftler, die an komparativer Stadtpolitik interessiert sind, inspirieren wird. „Die bisherige allgemeine Annahme, dass es in antiken Städten im Nahen Osten keine Bürger, sondern nur passive Untertanen despotischer Regierungen gab, werden sie sich nun kritisch anschauen“, sagt sie. Die Arbeiten von Prof. Gilibert stützen vorhandene schriftliche Belege, die darauf schließen lassen, dass die Bevölkerung durch formelle Versammlungen Einfluss ausgeübt haben könnte, bei denen sie ihre Meinungen kundtaten, sowie durch weniger formelle Treffen bei religiösen Festen oder in Tavernen. „In der Spätbronzezeit kamen die Menschen mit verschiedenen Regierungsformen in Berührung, weil es neben den großen Reichen auch Monarchien, Oligarchien, Häuptlingstümer und sogar in gewisser Weise Semidemokratien gab“, erklärt Prof. Gilibert. „Die Stadtbewohner waren zwar in ihrer politischen Freiheit eingeschränkt, aber sie hatten eine gewisse Macht, weil sie die Wahl hatten, in eine andere Stadt zu ziehen oder Veränderungen in ihrer Heimatstadt voranzubringen.“ Wenn man die Städte der Hethiter insgesamt anschaut, lässt sich das Überleben der Hethiter unter den damaligen Großmächten erklären, zu denen auch die Rivalen Babylon, Ägypten und Assyrien gehörten. Darin könnten zudem Hinweise für den Untergang des Regimes verborgen liegen, als Städte in andere Regierungsformen integriert wurden oder ganz verschwanden. Auch heutige Regierungen, bei denen die Unzufriedenheit der Bevölkerung wächst, könnten daraus einiges lernen. „Wenn wir untersuchen, wie Krisen und Veränderungen bisher vor sich gingen, können wir tiefgreifende Erkenntnisse darüber gewinnen, wie man politischen Wandel verstehen, vorhersagen, steuern und entsprechend auf ihn reagieren kann“, so Prof. Gilibert. „Aus dem Übergang von der Spätbronzezeit zur Eisenzeit lernen wir unter anderem, dass städtische Plätze ein mächtiges politisches Instrument und eine kritische Bühne für politische Verhandlungen sind.“

Schlüsselbegriffe

COMPUS, Hethiter, Spätbronzezeit, Ugarit, komparative Stadtpolitik, öffentlicher Raum, Plätze

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