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Inhalt archiviert am 2022-12-07

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Experten für Kernfusion fordern Weiterführung der Finanzierung mit öffentlichen Mitteln

Die Fusionsforschung ist Wissenschaft in großem Stil. Für diesen Forschungszweig werden umfangreiche Mittel benötigt, Versuchsreaktoren haben gigantische Ausmaße; die Konstruktion, der Bau und die Nutzung solcher Anlagen erfordern viel Zeit, und die Aufgabe, Förderstellen von ...

Die Fusionsforschung ist Wissenschaft in großem Stil. Für diesen Forschungszweig werden umfangreiche Mittel benötigt, Versuchsreaktoren haben gigantische Ausmaße; die Konstruktion, der Bau und die Nutzung solcher Anlagen erfordern viel Zeit, und die Aufgabe, Förderstellen von der Notwendigkeit der Kernfusionsforschung zu überzeugen, ist nicht minder riesig. Darüber hinaus steht Großes auf dem Spiel. "Die Bedeutung der Energie, die in immer größerem Umfang benötigt wird, ökologische Bedenken und die begrenzten Vorkommen vorhandener Energieträger treiben die Suche nach neuen Energiequellen voran, die eine fundierte Antwort auf den künftigen weltweiten Bedarf geben könnten", so die Externe Beratergruppe zur Leitaktion "Kontrollierte Kernfusion" der Europäischen Kommission (EBG für Kernfusion). Andererseits wurden in den letzten Jahrzehnten auch beeindruckende Fortschritte bei der Fusionsforschung erzielt, die ebenfalls als riesig einzustufen sind. Ein Beispiel dafür ist die Erzeugung von 16 MW Fusionsenergie im JET Joint Undertaking - dem Joint European Torus (UK) im Jahre 1997. Angesichts der wissenschaftlichen und technologischen Errungenschaften und der Strategie des europäischen Kernfusionsprogramms ist eine der Schlüsselbotschaften aus der Arbeit der EBG für Kernfusion, daß die Europäische Union die Fusionsforschung auch weiterhin fördern muß. Die EBG sagte in ihrer Stellungnahme vom 13. Januar 1999, daß "ein globaler Anstieg des Energiebedarfs, insbesondere des Strombedarfs, nur schwer abzudecken sein wird, bei gleichzeitiger Berücksichtigung der schwerwiegenden Bedenken angesichts der Auswirkungen auf die Umwelt." Die EBG vertritt die Ansicht, daß die Fusionsenergie in Zukunft möglicherweise einen wesentlichen Beitrag zur Stromerzeugung leisten könnte und daß ihre Entwicklung von der Europäischen Union weiterverfolgt werden sollte. Das europäische Fusionsprogramm bildet eine der beiden Leitaktionen des Euratom-Rahmenprogramms (1998 - 2002) und wird im Rahmen des Programms für Energie, Umwelt und nachhaltige Entwicklung betreut. Die Leitaktion "Kernfusion" unterscheidet sich insofern von den anderen 22 Leitaktionen des RP5, als deren Arbeit von der Europäischen Kommission nicht mit Aufrufen zur Angebotsabgabe verbunden ist. Das europäische Kernfusionsprogramm integriert in vollem Umfang sämtliche Aktivitäten der Fusion durch magnetischen Einschluß in den Mitgliedsländern, der Schweiz und den sieben zum RP5 neu assoziierten Ländern Osteuropas. Zur Bestimmung der Forschungs- und Projektbereiche, die am dringendsten auf eine Gemeinschaftsförderung angewiesen sind, wird eine effiziente Bottom-up-Strategie verwendet. Im Mittelpunkt der Diskussion bei den Mitgliedern der EBG für Kernfusion steht die Umsetzung und Orientierung des Programms und dessen mögliche künftige Rolle als Energieoption. Wie sie betonen, liege bei langfristigen Bemühungen wie bei FTE im Bereich Kernfusion der Erfolg des Programms zum Teil auch in der dauerhaften Förderung und Unterstützung, die den Bau und Betrieb des JET sowie die Beteiligung an der internationalen Kooperation bei den Konstruktionsaktivitäten für den Internationalen Thermonuklearen Versuchsreaktor (ITER) ermöglicht hat. In ihrer Stellungnahme vom Januar 1999 "unterstreicht die EBG die allgemeine Orientierung des europäischen Fusionsprogramms mit dem übergeordneten Ziel, die für den künftigen Bau eines Versuchsreaktors als Nächsten Schritt erforderliche Basis zu entwickeln. Um in der zweiten Hälfte des nächsten Jahrhunderts zur Grundlast-Stromerzeugung beitragen zu können, muß die Kernfusion ausreichend unterstützt werden, um diese Orientierung auf den Versuchsreaktor aufrechterhalten zu können." Ein weiteres wichtiges Ziel des FTE-Energie-Programms der EU besteht darin, neue Konzepte zu erschließen, die für Wohlstand und Wirtschaftswachstum wichtig sind und die eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit, Wirtschaftsentwicklung, Sicherheit und Wettbewerbsfähigkeit fördern. Indirekte Aktionen im Hinblick auf eine kontrollierte Kernfusion werden unter anderem im Rahmen zahlreicher multilateraler Verträge durchgeführt, darunter die Verträge der Euratom-Fusion Associations, der EFDA-Vertrag und die internationale Kooperationsvereinbarung zwischen der Europäischen Gemeinschaft, Japan und der Russischen Föderation (und bis Juli 1999 auch mit den USA) im Zusammenhang mit ITER-Konstruktionsaktivitäten. ITER ist der "Nächste Schritt" der internationalen Fusionskreise zur Beantwortung der Frage, wie die Wärme aus derselben Reaktion genutzt werden kann, mit der Sonne und Sterne mit Energie versorgt werden. Das Konzept beruht auf dem Einsatz starker magnetischer Kräfte und elektrischer Ströme zum Einschluß von Lichtatomkernen und deren Erwärmung mit internen und externen Mitteln, bis sie in Kernreaktionen miteinander verschmelzen und dabei Energie freisetzen. Kernfusionsexperten wie der Vizepräsident der EBG Kernfusion, Professor D'haeseleer, vertreten den Standpunkt, daß sich die Stromerzeugung aus Fusionsreaktionen (bei der keine Treibhausgase freigesetzt werden) zu einer Energiequelle entwickeln könnte - in einer Zukunft, in der fossile Brennstoffe knapper werden und das Ökosystem der Erde möglicherweise noch stärker durch den Treibhauseffekt belastet sein könnte. Seit 1986 arbeiten Wissenschaftler und Ingenieure aus Europa, Japan, Rußland und den Vereinigten Staaten höchst erfolgreich in einzigartigem Umfang an der Konstruktion von ITER. Doch in jüngster Zeit leidet das Projekt unter politischen Diskussionen über seine umfangreichen finanziellen Mittel. Wissenschaftler und Ingenieure schätzten, daß für den Bau einer vollständigen ITER-Version ca. 6 Milliarden Euro benötigt würden. Doch sowohl die ehemalige Sowjetunion als auch Japan litten unter nationalen Wirtschaftskrisen, und die Vereinigten Staaten sind Mitte des vergangenen Jahres aus ITER ausgestiegen. Als Reaktion hat die internationale Fusionsgemeinschaft zu einer Neuentwicklung von ITER aufgerufen, um auf diese Weise auf bescheidenerer Ebene fortfahren zu können. Die von ihnen empfohlene Alternative heißt ITER-FEAT. Diese Versuchsanlage koste nur etwa die Hälfte und versuche auf niedrigerer Ebene, den "Nächsten Schritt" zu erreichen, würde jedoch - trotz Reduzierung der technischen Zielsetzungen - noch immer das programmatische Gesamtziel verfolgen, nämlich nachzuweisen, daß es wissenschaftlich und technologisch möglich ist, mit Hilfe der Kernfusion Energie für friedliche Zwecke zu erzeugen. "In der Fusionsforschung ist Europa weltweit führend, und aus diesem Grund ist in Europa genügend Know-how für den Bau einer solchen Anlage vorhanden", so Professor D'haeseleer. Doch die endgültige Entscheidung über den Bau von ITER-FEAT und die Standortfrage wird sich auch auf finanzielle und politische Erwägungen stützen. "Die Fusionsforschung in Europa wird zwar sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene gefördert, aber es ist die Gemeinschaftsfinanzierung, durch die die Kohäsion und Koordination gestärkt und die Forschungsanstrengungen der Europäischen Gemeinschaft vorangetrieben werden", so Professor D'haeseleer. "Diese Unterstützung muß fortgeführt werden", fordert er. "Wenn Energie ein Thema ist - und viele Leute sind der Ansicht, daß dies der Fall ist, und die Fusionsforschung beschäftigt sich mit der Energieerzeugung - sind die Kosten dieser Anlage nicht übertrieben hoch. Niemand kann die Zukunft vorhersagen, und es wäre unverantwortlich, einen möglicherweise erfolgreichen Forschungszweig zu kappen." Es sei schwierig, der breiten Öffentlichkeit die Option der Fusionsenergie näher zu bringen. "Die Fusion ist ein komplexes Konzept, das sich nicht leicht verkaufen läßt, nicht zuletzt wegen der damit verbundenen sehr abstrakten Fusionsplasmaphysik", stimmt Dr. Steinmetz zu, der als Koordinator zwischen der EBG für Kernfusion und der Europäischen Kommission fungiert. Professor D'haeseleer sagt, daß die EBG für Kernfusion darüber hinaus auch eingehende Überlegungen anstellt, wie die Kommunikation zwischen Fusionsexperten, Entscheidungsträgern und der breiten Öffentlichkeit verbessert werden kann. Ein inhärentes Thema der Fusionsforschung ist der mit ihr verbundene enorme Zeitaufwand. Wegen der relativ langen Konstruktions- und Bauphasen solcher Anlagen können mehrere Jahre vergehen, bis sich substantielle Ergebnisse aus neuen Großversuchen abzeichnen. In den fünfziger Jahren glaubten die Wissenschaftler noch, daß sie innerhalb der nächsten Jahrzehnte in der Lage sein würden, aus der Kernfusion Energie gewinnen zu können. Dieser Fall ist jedoch definitiv nicht eingetreten. "Doch die Fusionsforscher haben in den letzten 20 Jahren enorme Fortschritte erzielt", betont Professor D'haeseleer und verweist auf die Erfolge der Wissenschaftler mit der JET-Versuchsanlage im britischen Abingdon. Die 1983 errichtete JET-Anlage ist die größte Kernfusionsanlage weltweit und ermöglichte die Kettenreaktion bei der Kernfusion, bei der sehr große Energiemengen erzeugt wurden, die allerdings geringer als die Energiemenge waren, die zur Einleitung der Reaktion eingesetzt werden mußten. Auch japanische Forscher waren kürzlich mit einer ähnlich konzipierten Anlage sehr erfolgreich. Um eine größere Strommenge freizusetzen als eingesetzt wird und um zu demonstrieren, daß ein Fusionskraftwerk realisierbar ist, brauchen die Wissenschaftler eine größere und leistungsfähigere Anlage als JET. Sie muß brennendem Plasma aus fusionserzeugendem Material über einen Zeitraum von mindestens 10 Minuten standhalten. ITER-FEAT wäre eine solche Anlage - der "Nächste Schritt". "Um eine solche Anlage zu bauen, bedarf es einer Verbindung zwischen Technologie und Fusionsplasmaphysik", so Professor D'haeseleer, "und für die Entwicklung der Fusion als tragfähige Energieoption ist die kontinuierliche Reaktororientierung des Programms sehr wichtig." Derzeit bereitet die EBG Fusion ihren Antrag auf Fördermittel für das nächste Rahmenprogramm vor. "Wenn seitens der internationalen Fusionsgemeinschaft die Entscheidung zugunsten des Baus von ITER fällt, könnte in drei bis vier Jahren mit den Konstruktionsarbeiten begonnen werden", so Professor D'haeseleer. Das fiele ins nächste Rahmenprogramm. ITER-FEAT wäre fast 20 Meter breit und 15 Meter hoch und würde in einem Komplex untergebracht, der etwa wie ein Stromkraftwerk aussieht. Der Bau würde ca. zehn Jahre und die Phase bis zur Nutzung ca. weitere zehn Jahre dauern. Erst dann könnten Pläne für ein Demonstrationsprojekt fertiggestellt werden. "Es ist unwahrscheinlich, daß innerhalb der nächsten 50 Jahren Fusionsenergie auf den Strommarkt gebracht wird", so der Vizepräsident der EBG. "Und diese Frist könnte wohl einzig und allein durch eine größere Energiekrise verkürzt werden." Die EBG für Kernfusion werde den Bau von ITER-FEAT, vorzugsweise in Europa, jedoch in vollem Umfang unterstützen, damit sichergestellt werden könne, daß das Fachwissen im Bereich der Fusionsforschung nicht verloren geht. "Wenn keine ausreichenden Gemeinschaftsfördermittel für die Fusionstechnik bereitstehen, könnten einige Mitgliedstaaten ihre Anstrengungen möglicherweise einstellen, und junge Forscher werden es sich zweimal überlegen, ob sie eine Laufbahn einschlagen, die keine Aussicht auf einen Arbeitsplatz bietet. Sie werden abwandern, und die wissenschaftliche Kompetenz wird verloren gehen", so die Befürchtung von Professor D'haeseleer. "Die Fusionsforschung kann man nicht einfach auf Eis legen, denn die Leute werden ihr Wissen verlieren", so Professor D'haeseleer. "Eine Neuentwicklung der Fusionstechnik wäre mit erheblichen Kosten verbunden." Zum gegenwärtigen Zeitpunkt zeigt sich die EBG für Kernfusion jedoch über die veröffentlichten Forschungsergebnisse, die durch das Rahmenprogramm finanziert wurden, durchaus erfreut. "Die europäischen Fusionsforscher haben hervorragende Arbeit geleistet, wenn man bedenkt, wie komplex dieses Gebiet ist", so der Vizepräsident. Derzeit besteht die größte Herausforderung der Fusionsexperten darin, die Förderstellen und die Öffentlichkeit davon zu überzeugen, daß eine dauerhafte intensive Unterstützung für ihre Arbeit erforderlich ist. Die Deregulierung des Gas- und Strommarktes hat zu einer Senkung der Strompreise geführt und kaschiert zugleich den tatsächlichen gigantischen Ressourcenverbrauch, und es gibt viele Befürworter einer künftigen Deckung des gesamten Energiebedarfs mit alternativen Energieträgern wie Windkraftturbinen und Solarenergie. Diese extreme Meinung teilen Professor D'haeseleer und seine Kollegen jedoch nicht. "Die EBG vertritt die Ansicht, daß in sämtliche potentielle Energieoptionen investiert werden sollte und daß die Fusionstechnik einen wichtigen Beitrag zur künftigen Grundlast-Stromerzeugung leisten kann. Wir fordern eine europäische Energiepolitik, die die Fusionstechnik als künftige Energieoption mit einschließt", so Professor D'haeseleer.