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Inhalt archiviert am 2024-04-18

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Myoelektrische Geräte mit sensomotorischer Integration

Eine wichtige Funktion, die bei aktuellen myoelektrischen Prothesen noch fehlt, ist das sensorische Feedback – der Tastsinn, der für die Interaktion mit allem, was uns umgibt, von entscheidender Bedeutung ist. Ein EU-finanziertes Konsortium nahm sich dieser Herausforderung an und bringt bereits neue Geräte auf den Markt.

Im Bereich Forschung und Entwicklung ist der Übergang von akademischer Forschung hin zu vermarktbaren Produkten die schwierigste und entscheidendste Phase. Dies ist insbesondere auf dem Markt für myoelektrische Schnittstellen zu beobachten. Myoelektrische Prothesen zeichnen sich gegenüber ihren herkömmlichen Gegenstücken durch zahlreiche Vorteile aus, etwa durch Ansaugtechnologie und elektronische Sensoren, welche die schwachen elektrischen Signale von Muskeln und Nerven erfassen und in Bewegungen umsetzen. Jedoch sind die kommerziell erhältlichen Geräte noch nicht in der Lage, dem Benutzer eine Sinneswahrnehmung zu liefern. Auf akademischer Ebene sind myoelektrische Schnittstellen mit sensomotorischer Integration bereits möglich. Um diese in verkäufliche Produkte umzusetzen, muss lediglich ein beidseitiger Wissenstransfer zwischen der akademischen Welt und der Industrie stattfinden: Hochschulen könnten Unternehmen über Erkenntnisse aus der neurophysiologischen Grundlagenforschung informieren, während die Industrie die akademische Welt über die klinische und wirtschaftliche Umsetzbarkeit aufklären sollte. Zu diesem Zweck wurde das Projekt MYOSENS (Myoelectric Interfacing with Sensory-Motor Integration) ins Leben gerufen. Unterstützt von einem Konsortium aus international anerkannten europäischen Forschungsteams und Unternehmen arbeitete Prof. Dario Farina von der Universität Göttingen in den vergangenen Jahren an Lösungen, um die sensomotorische Integration mit vermarktbaren myoelektrischen Geräten zu verwirklichen. In dem im März 2016 abgeschlossenen Projekt wurden zwei Themen erstmals erforscht: Übungen, um aktive Kontrolle über Prothesen zu erlangen, und die Rehabilitation von Schlaganfallpatienten mithilfe von Robotik. Diese beiden Gebiete erfordern ein ähnliches technisches Niveau von sensomotorischer Integration und künstlicher neuronaler Plastizität, die notwendig ist, um Bewegungen (neu) zu erlernen. Die Anstrengungen des Konsortiums führen bereits heute neuartigen kommerziell erhältlichen Produkten. Weshalb bieten aktuelle Schnittstellen noch keine sensomotorische Integration? Sensomotorische Integration ist bei kommerziellen und klinischen Schnittstellen noch nicht vorhanden, da die in Forschungseinrichtungen entwickelten Systeme noch nicht ausgereift sind, um in klinische Geräte für den täglichen Einsatz integriert zu werden. Außerdem wurde noch nicht abschließend geklärt, ob sensorisches Feedback bei Reha-Geräten sinnvoll ist. Beispielsweise ist es zwar offensichtlich, dass ein gewisses Feedback für Menschen mit Prothese nützlich ist, wenn alle anderen sensorischen Informationen ausgeblendet werden, jedoch ist unsicher, ob weiteres Feedback funktionell hilfreich ist, wenn Amputierte gleichzeitig andere Reize auf natürlichem Wege wahrnehmen (etwa über das Sehvermögen). Worin bestanden die größten Probleme, und wie konnten Sie sie lösen? Im Projekt vom Typ IAPP wurden an Hochschulen entwickelte Konzepte an die Industrie weitergegeben und umgekehrt. Die größte Herausforderung bestand in der Schaffung experimenteller Paradigmen, um verschiedene Lösungen objektiv zu vergleichen, die Menschen mit Prothese ein künstliches Feedback liefern. Zu den Lösungen zählen verschiedene Feedback-Modalitäten (z. B. elektrische Stimulation, Vibration), unterschiedliche Feedback-Positionen (an einzelnen oder mehreren Punkten), verschiedene Feedback-Variablen (z. B. Intensität, Geschwindigkeit) usw. Es ist eine große Herausforderung, die beste Kombination dieser Variablen empirisch festzustellen, da sie bei jedem Menschen anders ist. Daher wurde ein theoretisches Modell entwickelt, mit dem das Ergebnis auf Grundlage passender Parameter unter einigen experimentellen Bedingungen vorhergesagt werden konnte. Sie haben sich speziell für myoelektrisch gesteuerte Prothesen und die Wiederherstellung der Bewegungsfähigkeit von Schlaganfallpatienten als Anwendungen entschieden. Warum das? Es gibt zwei wichtige Bereiche für klinisch anwendbare Rehabilitationstechnologien. Durch myoelektrische Signale gesteuerte Prothesen sind bereits auf dem Markt (wenn auch ohne sensorisches Feedback), und auch robotische Reha-Geräte sind für Patienten verfügbar, die wiederum nicht myoelektrisch gesteuert werden können. Doch die beiden Technologien haben sich bisher nicht gegenseitig um sensorisches Feedback bzw. Muskelsteuerung ergänzt und waren daher für die dargelegten Probleme repräsentativ. Sind sie mit den bisher erzielten Fortschritten zufrieden? Die Projektergebnisse sind äußerst zufriedenstellend. Am wichtigsten ist wahrscheinlich die Markteinführung eines Robotergeräts durch Tyromotion, einem an MYOSENS beteiligten Unternehmen. Mit diesem Gerät wird die im Projekt entwickelte myoelektrische Steuerung angewendet. Dies könnte sich stark auf die translationale Forschung auswirken. Ein weiteres im Projekt entwickeltes System, mit dem Phantomschmerz für Amputierte durch sensorisches Feedback gelindert werden soll, wird derzeit patentiert. Außerdem wurden wichtige Erkenntnisse zur Rolle künstlichen sensorischen Feedbacks bei Prothesen gesammelt, die bei der Umsetzung effektiver und praktischer Feedback-Schnittstellen als Leitlinien genutzt werden könnten. Zusätzlich zu diesen Ergebnissen zu den direkten Auswirkungen auf den Markt und die Patienten wurden im Projekt zahlreiche spezialisierte Publikationen verfasst, fünf erfolgreiche Workshops organisiert und 11 Stipendiaten weitergebildet, von denen drei im kommenden Jahr ihren Doktorgrad erlangen werden. Haben Sie ihre beiden Geräte bereits an Patienten getestet? Ja, im Projekt fand eine robuste klinische Prüfung statt. Zu diesem Zweck zählte auch ein klinischer Partner, das Krankenhaus San Camillo in Venedig, zum Konsortium. Dank diesem Partner konnten klinische Studien für alle im Projekt entwickelten Systeme durchgeführt werden. Wie haben potentiell interessierte Marktakteure bisher reagiert? Wie bereits erwähnt vermarktet Tyromotion seit kurzem ein neues über die Muskeln gesteuertes Robotergerät. Außerdem war auch Otto Bock HealthCare teil des Konsortiums, ein Marktführer im Bereich der Neurotechnologien. Diese Firmengruppe ist an gemeinsamen Patenten und an der Entwicklung eines neuen Systems für sensorisches Feedback, das auf den Ergebnissen von MYOSENS basiert, interessiert. Das Projekt wurde im März abgeschlossen. Möchten Sie auf den gesammelten Erkenntnissen weiter aufbauen? Zwar wurden sämtliche übergeordneten Ziele erreicht, dennoch sind alle Konsortiumsmitglieder daran interessiert, die Arbeit im Rahmen eines zweiten EU-finanzierten Projekts fortzusetzen. MYOSENS Finanziert unter FP7-PEOPLE. Projektseite auf CORDIS Projektwebseite von MYOSENS

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