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Inhalt archiviert am 2023-04-13

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Wie entsteht Bewusstsein aus der Struktur und den Funktionen des Gehirns?

Die Definition und das Verständnis von „Bewusstsein“ waren über die Jahrhunderte immer wieder Kampfschauplatz von Philosophen und in letzter Zeit auch von Neurowissenschaftlern. Um das alles noch besser zu verstehen, modelliert das HBP den neurologischen „Wald und die Bäume“ gleichzeitig.

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Wenn wir das Bewusstsein weit gefasst als Erfahrung unseres Selbst und der Außenwelt definieren, dann scheint es zu kommen und zu gehen. Im traumlosen Schlaf ist es verschwunden, erscheint bei lebhaften Träumen scheinbar wieder und ist beim Aufwachen ganz da. Aber wie das Gehirn zwischen diesen Zuständen hin und her wechselt, ist weitgehend unklar. Unter der Annahme, dass in der Neurowissenschaft Antworten zu finden sind, ist eines der Ziele des Human Brain Project (HBP), ein komplexes Modell mit realistischer Vernetzung, detailgenauer neuronaler Dynamik und Lernregeln zu entwickeln; denn der Mensch löst multiple kognitive Aufgaben, indem er verschiedene Regionen der Hirnrinde einbezieht. Grundaktivität und kognitive Aufgaben replizieren Das Programm „Netzwerkmodelle des Bewusstseins“ im Rahmen des HBP sollte das Verhältnis zwischen Struktur und Funktion im Gehirn herausarbeiten, um die Entstehung der komplexen Netzwerkdynamiken zu erklären, die für Wahrnehmung, Vorhersagen, zielorientiertes Verhalten und weitere höhere kognitive Funktionen notwendig sind. „Wie kann es sein, dass ein- und dieselbe anatomische Struktur, nämlich das komplizierte Netzwerk in unserem Gehirn, das wir ‚Konnektom‘ nennen, manchmal die ganze Komplexität des Bewusstseins beherbergt und manchmal nur nutzlose Masse zu sein scheint? Das ist eines der größten Mysterien der Biologie oder sogar der Physik“, so Projektforscher Prof. Marcello Massimini. Wenn man ein realistisches, datengestütztes Modell des Bewusstseins bauen will, das mehrere Aufgaben gleichzeitig erfüllen kann, steht man unter anderem vor der Herausforderung, die richtigen strukturellen und funktionalen Modellparameter zu finden, mit der sich die Entstehung ausgewogener und komplexer Aktivitätsmuster replizieren lässt. „Die gängigen Modelle replizieren entweder bestimmte kognitive Funktionen oder globale Zustände des Gehirns, können aber nicht beides verarbeiten. Dieses Gleichgewicht von Differenzierung und Einheit macht das Gehirn im Bezug auf das Bewusstsein so besonders“, sagt Prof. Massimini. Das Programm kann aus der einzigartigen Bandbreite von Expertise im HBP schöpfen, um ein Modell auf Basis einer aus verschiedenen Quellen zusammengestellten gemeinsamen Infrastruktur zu bauen. Zu den Quellen gehören unter anderem: Atlanten, Neuroinformatik, Gehirnsimulation, Hochleistungsanalytik und -datenverarbeitung, medizinische Informatik und neuromorphe Berechnungen. Dieses „Rückgrat“ sammelt, kuratiert und integriert strukturelle und funktionale Daten vom einzelnen Neuron bis hin zum gesamten Gehirn. Ein wesentlicher Schritt wird sein, sowohl komplexe, großskalige Modelle zu integrieren, die die Dynamik des gesamten Gehirns replizieren (von oben nach unten), als auch detaillierte, biophysikalische Modelle von realistischen neuronalen Mechanismen (von unten nach oben). Bedeutung für die Medizin und darüber hinaus Die Ergebnisse des Projekts geben zusammen mit anderen aus dem HBP ein kohärenteres Bild ab. Empirische Forschung an Nagetieren hat zum Beispiel einen wichtigen neuronalen Mechanismus für die bewusste Wahrnehmung von sensorischen Reizen ausgemacht. Dieser Prozess, der als „apikale dendritische Verstärkung“ bezeichnet wird, wurde auch im visuellen System des Menschen gefunden und kann in Computersimulationen sowie in neuromorphen Chips nachgeahmt werden, um die Bilderkennung zu verbessern. Parallel dazu konnten diese Forschungsaktivitäten die Mechanismen erklären, durch die beim Einschlafen wiederkehrende, komplexe kortikale Interaktionen unterbrochen werden, wodurch die Neuronen die eingehenden Informationen nicht mehr verfolgen können. „Dank unserer gemeinsamen Infrastruktur könnten schon bald zwei Forschungslinien einen verbindenden Mechanismus aufgreifen, mit dem sich sowohl die sensorische Wahrnehmung spezifischer Inhalte als auch globale Zustandsänderungen im Gehirn klären lassen“, sagt Prof. Massimini. Aus diesen Arbeiten lassen sich wichtige medizinische Schlussfolgerungen für die Bewertung des Bewusstseins von Patienten und die Behandlung von Störungen ziehen, was besonders für die klinische Patientenbeobachtung bei Verlust und Wiedergewinnung des Bewusstseins im Schlaf, unter Anästhesie, im Koma oder in ähnlichen Zuständen von Bedeutung ist. Momentan gibt es kaum klare gehirnbasierte Verhaltensrichtlinien, die aber für die Intensivmedizin äußerst wichtig wären. Die Ergebnisse sind außerdem für Hirn-Maschine-Schnittstellen wie beispielsweise bei der Wiederherstellung von Sinnesfunktionen sowie für zukünftige KI Architekturen relevant.

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