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Inhalt archiviert am 2022-12-07

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Ein kleiner Schritt für den Menschen - ein großer Schritt für die Forschung

Einem europäischen Forschungskonsortium ist ein medizinischer Durchbruch gelungen. Es konnte einem Querschnittsgelähmten ermöglichen, aus seinem Rollstuhl aufzustehen und zu gehen, obwohl er seit zehn Jahren gelähmt ist. Die Forscher und ihre Patienten wurden vom EU-Kommissar ...

Einem europäischen Forschungskonsortium ist ein medizinischer Durchbruch gelungen. Es konnte einem Querschnittsgelähmten ermöglichen, aus seinem Rollstuhl aufzustehen und zu gehen, obwohl er seit zehn Jahren gelähmt ist. Die Forscher und ihre Patienten wurden vom EU-Kommissar für Forschung, Philippe Busquin, und einer Reihe von Journalisten aus ganz Europa begrüßt, als sie in Brüssel zusammentrafen, um ihre Ergebnisse zu erörtern und darüber zu diskutieren, wie die Forschung noch einen Schritt weiter gebracht werden kann. In einer emotionalen Rede dankte Marc Merger - der erste Patient, dem Implantate eingesetzt wurden, die es ihm ermöglichten aufzustehen und zu gehen - den Wissenschaftlern: "Ich bin nicht stolz auf mich selbst, aber ich möchte mich im Namen aller Querschnittsgelähmten, die in Zukunft von dieser Forschung profitieren werden, bedanken. Ich möchte auch dem gesamten Forschungsteam, Herrn Busquin persönlich und der Europäischen Kommission dafür danken, daß sie dies möglich gemacht haben", so sagte er. Bisher gab es für querschnittsgelähmte Patienten keine Hoffnung, daß sie jemals wieder gehen könnten. Aber das Projekt mit dem Titel "Stand up and walk" (SUAW - Steh auf und geh) hat Querschnittsgelähmten auf der ganzen Welt neue Hoffnung gegeben. Am 14. Februar 2000 operierten Wissenschaftler der Universität Montpellier erfolgreich den Franzosen Marc Merger. Sie setzten ihm ein Implantat ein, das es ihm ermöglicht, das im Projekttitel definierte Ziel zu erreichen. Ungefähr 300.000 Europäer sind gelähmt. Das Durchschnittsalter einer querschnittsgelähmten Person ist 31 und die meisten (ca. 65 Prozent) sitzen aufgrund eines Autounfalls im Rollstuhl (Herr Merger zählt zu dieser Gruppe). Für weitere zehn Prozent war ein Sportunfall die Ursache für die Lähmung. Mehr als die Hälfte aller gelähmten Menschen sind an den Rollstuhl gefesselt, weil bei einem Unfall die Nerven im Rückenmark, die ihre Beine kontrollieren, durchschnitten wurden. Der Schaden kann nicht wiedergutgemacht werden. Aber bei solchen Unfällen leben die Muskeln unterhalb der beschädigten Nerven noch und sind durch Nerven mit dem Rückenmark verbunden. Diese Muskeln ziehen sich zusammen und werden hart, weil sie nicht mehr mit dem Gehirn verbunden sind. Einige Zeit lang haben Wissenschaftler die Theorie entwickelt, daß ein Patient seine Glieder teilweise wieder benutzen könnte, wenn die Befehle, den Muskel zu bewegen, generiert werden könnten. Die Theorie führte zur Entwicklung von "Elektrostimulationstechniken". Zwei auf der Haut angebrachte Elektroden stimulieren die darunter liegenden Muskeln und bringen sie dazu, sich zusammenzuziehen. Doch das europäische Forschungsteam war der Ansicht, es sei besser für einen Patienten ein Implantat zu haben, das von einer Antenne gesteuert wird, die ihm Funksignale überträgt. Patienten, deren untere Körperteile gelähmt sind, könnten zwei Krücken oder einen Gehrahmen verwenden, in die bzw. in den ein Programmiergerät von der Größe eines Walkmans mit Steuerungsknöpfen eingebaut ist. Mit diesen Steuerungsknöpfen könnte man z.B. die Befehle "los", "langsamer", "schneller" oder "Richtung ändern" eingeben. "Stand up and walk" war eines der ersten Demonstrationsprojekte, das im Rahmen des BIOMED II-Programms der Europäischen Kommission im Juli 1996 gefördert wurde. Das Konsortium umfaßt Forschungsinstituten in Dänemark, Frankreich, Deutschland, Italien, den Niederlanden und dem Vereinigten Königreich. 50 Prozent der Projektkosten wurden von der EU finanziert. "Ohne die Förderung der EU hätte das Projekt von Anfang an keine Früchte tragen können", so der Koordinator des Konsortiums Professor Rabischong. Die Forscher hatten zum Ziel, gleichzeitig sechs Patienten aus sechs europäischen Ländern Implantate einzusetzen und ihre Fortschritte über einen sechsmonatigen Zeitraum hinweg zu beobachten. Doch aufgrund technischer Schwierigkeiten (die bei einem Demonstrationsprojekt nicht ungewöhnlich sind) ließ sich der Zeitplan nicht einhalten. Daher ist Herr Merger bisher der einzige Patient, der Implantate bekommen hat. Der Franzose kann jetzt seine Beine strecken, aufstehen und gehen, wenn die Muskeln unterhalb der Verletzung mit elektrischen Strömen stimuliert werden. Eine solche Stimulation wurde zwar von einigen Projektpartnern - und auch anderen Forschungsteams - bereits durchgeführt, doch ist dieser Ansatz bisher nicht sehr praktisch gewesen, da der Körper des Patienten mit Elektroden besetzt sein mußte, die mit einem stationären Computer und einer Stromquelle verbunden sind. Daher richteten Forscher 1992 ein europäisches Rehabilitationsnetz ein. Ziel war es, die klinischen Protokolle in Übereinstimmung mit den fünf Phasen des Projekts zu bestimmen. Bei diesen Phasen handelt es sich um: Auswahl der Patienten, Übungen vor der Operation (um die Muskeln wieder an die Stimulation zu gewöhnen), Implantation beim Patienten und tägliche Übungen nach der Operation. Während des Demonstrationsprojekts selbst bauten die Forscher die Implantate (einschließlich der Feineinstellung und des Gehäuses) und entwarfen ein tragbares Programmiergerät, das am Gürtel des Patienten angebracht werden und Anweisungen an das Implantat übertragen soll. Gleichzeitig wählte das Team die Patienten aus (die ein vorbereitendes Training erhielten), wählte die Elektroden und stimmte deren Feineinstellung ab. Herr Merger erhielt sein Implantat schließlich im Dezember 1999. Technische Probleme mit der Interferenz zwischen den beiden Typen von Elektroden verursachten einen Rückfall in dieser Phase, aber nach erneuter sorgfältiger Eichung und einer zweiten Operation am 14. Februar 2000 konnte Herr Merger am 3. März seine ersten Schritte tun. Seine Rehabilitation wird durch ein sorgfältig geplantes Physiotherapie-Programm unterstützt, das von einem Netz von Rehabilitationszentren namens CALIES entwickelt und von dem niederländischen Partner Roessingh getestet wurde. Der elektronische Chip und das Signalübermittlungssystem wurden von den Industriepartnern IBM und Thomson-CSF entwickelt. Die Entwicklung der zehn Elektroden wurde vom Fraunhofer-Institut für Biomedizintechnik übernommen und das gesamte Implantat wurde von dem neuen Spin-off-Unternehmen "Neuromedics" mit Sitz in Montpellier zusammengebaut. Bei seinem Vortrag in Brüssel im Namen des Forschungsteams erklärte der Projektkoordinator, Professor Rabischong, Herr Merger sei mehr als nur ein "Patient": "Marc ist extrem motiviert", so der Professor. "Er war sich über das Risiko bewußt. Er ist unser 'Testpilot'. Er ist ein echter Forschungspartner und Mitglied dieses Teams." Er betonte die Bedeutung internationaler Zusammenarbeit für das Projekt und fuhr fort: "Diese Arbeit hätte nie allein von einem Forschungsteam durchgeführt werden können. Die Muskeln des Patienten mußten vorbereitet, die Elektroden und der Sender entworfen und die Operation selbst mußte vorgenommen werden. Ein multidisziplinärer Ansatz der besten Forscher in Europa war erforderlich." Im Namen der Europäischen Kommission unterstrich Herr Busquin die Bedeutung der Förderung von Projekten wie SUAW. "Dieses Projekt bringt tatsächliche Ergebnisse und spezifischen Nutzen", so erläuterte er. "Es ist nicht abstrakt, sondern bezieht Menschen aus der ganzen Welt ein." Professor Rabischong unterstützte die Meinung Herrn Busquins in bezug auf einen Europäischen Forschungsraum und erklärte, inwiefern die Arbeit seines Teams ein hervorragendes Beispiel dafür ist, was Europa tun kann. "Europäische Förderung ermöglicht eine Zusammenarbeit der Forscher", erklärte er und betonte die Notwendigkeit anhaltender öffentlicher Förderung und Unterstützung. Das europäische Projekt ist auch wegweisend für das Projekt "Free hand" in Cleveland, USA, wo Forscher versuchen, vollständig Gelähmten zu helfen, ihren Oberkörper zu bewegen. "Vollständig Gelähmten das Gehen wieder zu ermöglichen, ist extrem schwierig", so Professor Rabischong, "denn man benötigt Arme, die stark genug sind, um das Gehen zu unterstützen. Zur Zeit ist das nicht durchführbar." Herr Merger bewegt sich wackelig mit Hilfe eines Gehrahmens. Obwohl er nie mehr so gehen wird, wie vor seinem Unfall, so hat er zumindest die Möglichkeit, überhaupt wieder gehen zu lernen. Leider wird nicht jede behinderte Person von der neuen Technologie profitieren können, denn viele gelähmte Patienten haben keine Muskeln. Außerdem müssen die Patienten nicht nur insgesamt über eine gute Gesundheit verfügen, sondern die Verletzung muß sich auch zwischen dem vierten und dem elften Wirbel ereignet haben, und das restliche Nervensystem des Patienten muß intakt sein. Auch aufgrund der Kosten der Behandlung sind Einschränkungen zu machen. Jedes Implantat, so deutete Professor Rabischong an, koste etwa FF 200.000 (30.489 Euro). Um die Behandlung für Patienten möglich zu machen, die sie sich nicht leisten können, schlug der Professor die Schaffung eines europäischen Fonds für Implantate vor. "Sie sehen das Endergebnis und es war schwierig und mühevoll, bis hierher zu gelangen. Sie haben auf EU-Ebene die Mittel, uns [den Querschnittsgelähmten] zu helfen und das ist es, was Sie tun", so Herr Merger. Die Förderungsphase für das Projekt durch die Gemeinschaft geht am 31. März 2000 zu Ende. Das SUAW-Team hofft, die Kommission davon zu überzeugen, die Förderung ihrer Arbeit unter dem Fünften Rahmenprogramm fortzusetzen.