Mit neuen mathematischen Modellen Unvorhersehbares vorhersehen
Noch bis zur Finanzkrise 2008 wurden die Finanzmodelle unter Einbeziehung von Annahmen vereinfacht, die als relativ unrealistisch betrachtet wurden. Der Kompromiss bestand in der Generierung von Modellen, die einfacher und schneller anzuwenden waren, aber Daten enthielten, die eher Annäherungen als richtig genau waren. Die Anwendung der statistischen und Wahrscheinlichkeitstheorie auf Aspekte der Finanzkrise verdeutlichten, dass jene Ereignisse, die als extrem und daher eher unwahrscheinlich galten, tatsächlich häufiger sind, als das in bisherigen Modellen angenommen wurde. Konsequenz dessen ist, dass die neuere finanzielle mathematische Modellierung an rechnerischer Komplexität zugenommen hat. Aus diesen Modellen das Beste herauszuholen, war die Hauptantriebskraft des EU-finanzierten STRIKE-Projekts. STRIKE folgte dieser Zielstellung mit der Erschaffung eines Netzwerks speziell ausgebildeter junger europäischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Mehr als nur nackte Zahlen Eine der zentralen Herausforderungen, die STRIKE zu bewältigen hatte, war die Kombination verschiedener Methoden und Ansätze auf eine Weise, dass sie einander ergänzen. Dieses kuratierte Training beinhaltete mathematische Analysen, ausgeklügelte numerische Methoden, stochastische Simulationsmethoden, Finanzmodellierung (anhand von tiefgehenden qualitativen und quantitativen Finanzmarktdaten), optimale Kontrollverfahren und Modellvalidierungsverfahren. Es ging außerdem über das bloße Verständnis der Zahlen hinaus, um eine bessere Berücksichtigung ihrer potenziellen sozialen Auswirkungen zu realisieren. Das theoretische Rahmenwerk für die Forschung war die europäische Reaktion auf die Finanzkrise, welche Merkmale bezeugt, die als „Contagion“ (Ansteckung) und „Herding“ (Herdenverhalten) beschrieben werden und über die Standardmodelle (wie etwa das Modell von Black-Scholes-Merton als Investmentinstrument, insbesondere für Derivate) hinausgehen. Die Entwicklung eines neuen, robusteren, nichtlinearen (oder nicht-Gaußschen) Modells sollte auf aussagekräftigen Vorgaben beruhen und so wurden die Daten für das Projekt von Unternehmen und Banken bereitgestellt. Wie es Projektkoordinator Professor Matthias Ehrhardt erklärt: „Auf diese Weise konnten wir Simulationsergebnisse mit echten Daten aus der Geschichte vergleichen. Die Daten waren natürlich auch eine gute Hilfestellung beim Kalibrieren der Modelle.“ Diese Modelle wurden dann in die STRIKE Computational Finance Toolbox eingeordnet. Professor Ehrhardt erläutert weiterhin: „Auf diese Weise werden Testläufe und eine Dokumentation mit Hintergrundinformationen ermöglicht, wodurch Änderungen der Vorgaben und dann die Beobachtung der daraus resultierenden, durch diese Einstellungen verursachten Auswirkungen gestattet sind. Mehrere Implementierungen nutzten außerdem die Rechenleistung von grafischen Parallelverarbeitungseinheiten, wie sie zum Beispiel bei Computerspielen eingesetzt werden, um Simulationen zu beschleunigen.“ Und was kann der Czexit aus der Quantentheorie lernen? Im Zusammenhang mit der weiteren Verfeinerung der Verwendbarkeit des Toolkits fordert Professor Ehrhardt ein Verständnis von Finanzsystemen, das dem der Evolution der Physik nachfolgt, der es gelungen ist, sich über lineare Kausalitätsannahmen hinauszubewegen. Zusammenfassend äußert er dazu: „Mit Hilfe von STRIKE können Ergebnissicherung und Risikoanalyse zuverlässiger erfolgen bzw. Annahmen stärker und rechtzeitig angepasst werden.“ Getreu dem Ziels, nützliche Entscheidungsfindungsinstrumente und ein wissenszentriertes Kooperationsnetzwerk zu erschaffen, hat man im Rahmen von STRIKE Modelle entwickelt, die auf reale Situationen und Probleme anwendbar sind. Professor Ehrhardt hebt ein Beispiel für eine Aussage genau zum rechten Zeitpunkt hervor, wenn man sich daran erinnert, dass „ein spezielles Beispiel für unsere Modellierung jene Situation war, in der ein Land der EU beitreten wollte, und wir die zeitliche Entwicklung des Zinssatzes richtig einschätzen konnten.“ Er führt näher aus, dass „nun ein ähnliches Verfahren angewandt werden kann, wenn ein Land die EU verlässt oder seine Währung vom Euro entkoppelt. Diese Situation tritt mit dem sogenannten ’Czexit‘ ein, im Zuge dessen die Tschechische Republik im April 2017 beschlossen hat, die tschechische Krone vom Euro abzukoppeln.“ Für die von STRIKE entwickelten Algorithmen gibt es weitreichende Anwendungen in der realen Welt, inklusive Apps, welche den Kunden Börsenempfehlungen oder Energiemarktpreisinformationen zur Verfügung stellen, um den Bürgern Hilfestellung bei Konsumentscheidungen zu geben. Neben der Aufrechterhaltung des Forschungskonsortiums wird das Projekt nun überdies ein Buch über die Forschungsergebnisse veröffentlichen und seine Serie der alle zwei Jahre stattfindenden International Conference on Computational Finance weiterentwickeln.
Schlüsselbegriffe
STRIKE, Finanzmodellierung, Finanzkrise, Währungsentkopplung, Zinssätze, Finanzalgorithmus, Risikoanalyse, Risikobewertung, Entscheidungsfindungs-Baukasten