Dem Geruchssinn von Mäusen auf der Spur
Sinneswahrnehmung ist ein aktiver Prozess. Aktive Wahrnehmung bedeutet, dass die Umwelt abgetastet und anschließend auf das wichtigste Ziel aufmerksam gemacht wird. Ähnlich wie schnelle Augenbewegungen der Fixierung auf einen bestimmten Punkt vorangehen, ermöglicht das Beschnuppern der Umgebung die Selektion einer bestimmten Geruchsspur in der Luft oder einer Fährte auf einer Oberfläche. ACTIVE SNIFFING: Revolutionäre Erforschung des Mäuseverhaltens Bei Nagetieren erfolgt das Schnuppern, also das freiwillige Inhalieren, bis zu viermal schneller als die Grundatmung. Das Tier entscheidet, wann und wo es einen Raum abtastet und damit eine verinnerlichte Darstellung seiner Umgebung aktualisiert, von der sein Verhalten letztlich abhängt. Im Gegensatz zur visuellen und auditiven Wahrnehmung, bei der die Abgabe von Stimuli recht einfach ist (z. B. über Monitore oder Lautsprecher), gestaltet sich die gezielte Stimulation durch Gerüche jedoch noch schwierig. Mit Fördermitteln der EU hat das Projekt ACTIVE SNIFFING die aktive Wahrnehmung im Zusammenhang mit der Verfolgung olfaktorischer Spuren bei Mäusen und ihrer neuronalen Basis untersucht. Dafür haben die Forscher „ein Experimentalsystem mit hohem Durchsatz entwickelt, das Geruchsspuren über eine Inkjetdruck-Technologie in Echtzeit an ein Band abgibt“, erläutert Projektkoordinator Professor Matthias Bethge. Die Ergebnisse zeigten, dass Mäuse nach einer kurzen Eingewöhnungsphase den gedruckten Geruchsspuren folgen, und zwar sogar über einen langen Zeitraum, wenn in unregelmäßigen Zeitabständen eine Belohnung an das Band abgegeben wird. „Diese Arbeit wird derzeit im Murthy Lab der Universität Harvard ebenfalls mit dem Ziel weitergeführt, das Verhalten von Mäusen bei der Spurverfolgung zu analysieren, um eine Charakterisierung ihres Spurverfolgungsverhaltens zu ermöglichen.“ Gemeinsam mit Kooperationspartnern konnten die Forscher von ACTIVE SNIFFING außerdem „Deep Learning“-Ansätze erarbeiten, um mittels Videografie die Bewegungen verschiedener Körperteile, insbesondere der Schnauze, bei der Spurverfolgung genau zu rekonstruieren. Damit konnten sie die Bewegungen der Schnauze präzise messen, ohne den natürlichen Bewegungsablauf der Mäuse zu stören. Die Ergebnisse sind als Vorauflage bei der Cornell University Library(öffnet in neuem Fenster) erschienen. Der Geruchsspur nachspüren Der Aufbau ist schlicht, aber effektiv. Papier mit einer Breite von bis zu einem Meter wird von einer Zuführspule über einen Tisch gezogen und läuft schließlich auf eine Sammelspule mit einem leistungsstarken Elektromotorantrieb. Das Papier gewährleistet, dass das Substrat für die Geruchsspuren sauber bleibt. Über Inkjetdrucker mit speziell angefertigten Controllern werden Geruchsspuren auf dem Papier abgegeben. Die Mäuse können sich innerhalb einer transparenten, aufgehängten Verhaltensbox frei auf dem Papier bewegen. Diese Box befindet sich in einer großen Kammer, die vor Schall und Licht geschützt ist. Die meisten Experimente werden unter Infrarotlicht durchgeführt, das von den Mäusen nicht erkannt wird. Diese Maßnahmen dienen dazu, dass sich die Mäuse nicht von visuellen oder akustischen Signalen leiten lassen. Mehr als nur ein Geruchssinn Der Geruchssinn intensiviert viele Alltagserfahrungen und kann als Warnsystem dienen, das uns auf Gefahren hinweist (verdorbene Nahrung, Feuer, Gasleck). Olfaktorische Störungen können ein Hinweis auf andere gesundheitliche Probleme sein. „Durch diesen Aufbau und das Spürverhalten, das wir damit untersuchen können, ist es unserer Ansicht nach möglich, den Geruchssinn in bislang unerreichtem Ausmaß zu entschlüsseln.“ Ein solches Grundverständnis darüber zu erhalten, wie sensorische Informationen im Gehirn verarbeitet und repräsentiert werden, gehört zu den zentralen Forschungszielen der Neurowissenschaft. Professor Murthy erklärt dazu: „Dieses Verständnis ist von entscheidender Bedeutung, wenn es darum geht, Störungen der Sinnesverarbeitung bei neurologischen oder psychischen Erkrankungen wie Alzheimer, Parkinson und Autismus zu entschlüsseln.“ Neue Erkenntnisse darüber, wie makrosmatische Tiere mit einem hoch entwickelten Geruchssinn, wie Mäuse und Hunde, Geruchsspuren algorithmisch gesehen folgen, könnten für bionische Anwendungen von Interesse sein. Dadurch aufgezeigte Parameter dieser hocheffizienten Spürfähigkeiten könnten sich in Robotern zur Verfolgung von Geruchsspuren umsetzen lassen. Das Team analysiert derzeit noch die Daten und untersucht, welche Strategien Mäuse unter verschiedenen Bedingungen zur Verfolgung von Duftspuren einsetzen. Die Forscher haben außerdem während des Spürverhaltens Daten zur Nervenaktivität aufgezeichnet und arbeiten daran, den neuronalen Code dieses Verhaltens zu entschlüsseln. Zwei wissenschaftliche Artikel wurden bereits in der renommierten Zeitschrift Neuron(öffnet in neuem Fenster) veröffentlicht, fünf weitere in anderen Fachzeitschriften.
Schlüsselbegriffe
ACTIVE SNIFFING, Mäuse, Geruchsspur, Spurverfolgung, Schnuppern, Geruch