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Vom Baum des Lebens zum skalenfreien Netzwerk: Ein neuer Blick auf die Evolution der Bakterien

Forscher des Europäschen Bioinformatik-Instituts (EBI) haben ein neues Muster der genetischen Beziehungen zwischen Mikroben entdeckt, das unser traditionelles Bild von vier Milliarden Jahren bakterieller Evolution verändert. Das EBI-Team unter der Leitung von Christos Ouzoun...

Forscher des Europäschen Bioinformatik-Instituts (EBI) haben ein neues Muster der genetischen Beziehungen zwischen Mikroben entdeckt, das unser traditionelles Bild von vier Milliarden Jahren bakterieller Evolution verändert. Das EBI-Team unter der Leitung von Christos Ouzounis hat Hinweise darauf gefunden, dass Genfamilien nicht nur vertikal transferiert werden, also von einem Organismus zu dessen Nachkommen, sondern auch horizontal, das heißt durch den Austausch von genetischem Material zwischen entfernt verwandten Organismen. Dieses neue Bild des Baums des Lebens könnte den Forschern helfen, besser zu verstehen, warum bakterielle Krankheiten so schwer zu bekämpfen sind - weil es den Bakterien immer wieder gelingt, antibiotikaresistente Stämme zu bilden, wodurch sie der pharmazeutischen Entwicklung immer einen Schritt voraus sind. Die evolutionären Beziehungen zwischen Organismen werden seit Darwins Zeiten als Baum dargestellt, an dem die gemeinsamen Vorfahren an der Wurzel des Baumstamms und die jüngsten Arten auf den Spitzen der Zweige angesiedelt sind. Mikrobiologen vertreten schon seit langem die Ansicht, dass diese Darstellung nicht auf Mikroben passt, da diese oft Gene zwischen unterschiedlichen Arten austauschen. Die Evolution der Mikroben, so die Experten, könnte man besser als Netz darstellen. Das Problem dabei war bis jetzt die Frage, wo in dem Netz die horizontalen Linien verlaufen sollen. Victor Kunin, einem ehemaligen Doktoranden aus Dr. Ouzounis Team, ist es jetzt zusammen mit Kollegen gelungen, eine Karte der mikrobiellen Evolution zu erstellen, die Milliarden von Jahre bis zu dem ersten universellen gemeinsamen Urahn zurückgeht. Diese Karte enthält zum ersten Mal auch die horizontalen Linien. "Beruhigenderweise sehen alle Evolutionsbäume, auch wenn sie durch viele voneinander unabhängige Methoden und von unterschiedlichen Forschergruppen erstellt wurden, auffallend ähnlich aus. Sie erzählen alle dieselbe Geschichte. Wir haben diese Bäume als Gerüst des Netzes verwendet. Dort haben wir dann Beweise für horizontal übertragene Gene gesucht", erklärt der Forscher. Die Methode, die zum Nachweis des horizontalen Gentransfers verwendet wurde, GeneTrace, war vorher von Dr. Ouzouni und seinem Team entwickelt worden. GeneTrace leitet den horizontalen Transfer aus der lückenhaften Präsenz einer Genfamilie in entfernt verwandten Organismen ab. Anhand der von GeneTrace generierten Daten konnten die Forscher "Ranken" auf dem Baum einzeichnen, die horizontale Gentransferereignisse darstellen und die Zweige des Evolutionsbaums miteinander verbinden. Insgesamt wurden mehr als 600.000 vertikale Transfers beobachtet, 90.000 Genverluste und etwa 40.000 horizontale Gentransfers. Auch wenn sich die Verteilung der meisten heute existierenden Genfamilien anhand der klassischen Abstammungstheorie nachvollziehen lässt, so können die Abweichungen von diesem Muster durch den seltener auftretenden horizontalen Austausch erklärt werden. Um den Einfluss des horizontalen Gentransfers auf den Baum des Lebens der Mikroben besser zu verstehen, konzentrierte sich das Team auf das Netz der Ranken, die sich um die Zweige der Bäume schlingen. Dieses Netz scheint sich skalenfrei zu verhalten. Dieser Begriff wurde von dem Physiker Albert-Laszlo Barabasi und seinen Kollegen an der Universität Notre Dame, Indiana, USA, geprägt. 1998 bildeten sie die Verbindungen des World Wide Web ab und fanden zu ihrer Überraschung heraus, dass das Web keinen gleichmäßigen Verknüpfungsgrad aufweist, sondern dass einige wenige Knotenpunkte (so genannte Hubs) stärker verlinkt sind als andere. Eine Eigenschaft von skalenfreien Netzwerken ist das so genannte Small World-Phänomen: Es bedeutet, dass die Reise von einem Knotenpunkt zum anderen sehr schnell geht. Weitere bekannte Beispiele von Small World-Netzwerken sind soziale Netzwerke und Flugverbindungen. Diese Eigenschaften ermöglichen es den Hubs, als eine Art bakterielle Genbanken zu fungieren, das heißt, sie bieten ein Medium zur Aufnahme und Weiterverteilung von Genen in Mikroben-Gemeinschaften. Dieses Muster, so Christos Ouzounis, hat wichtige Auswirkungen auf das Verständnis des horizontalen Gentransfers, da in Small World-Netzwerken der kürzeste Weg zwischen zwei beliebigen Knotenpunkten verhältnismäßig schnell zu überwinden ist. In anderen Worten: "Ein Gen kann schnell von Organismus zu Organismus übertragen werden, durch sehr wenige horizontale Gentransferereignisse", erklärt der Wissenschaftler. Einige Arten, einschließlich der nützlichen stickstoffbindenden Bodenbakterien, scheinen besonders wichtig für den horizontalen Gentransfer zu sein. "Es ist sehr gut möglich, dass scheinbar harmlose Organismen in aller Stille und direkt unter unseren Füßen Antibiotika-Resistenz verbreiten", schlussfolgert Christos Ouzounis.

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