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Inhalt archiviert am 2023-03-01

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Spanischer Forscher entdeckt Ursache für Unterschiede bei eineiigen Zwillingen

Jahrzehntelang haben sich die Genetiker den Kopf darüber zerbrochen, wie es möglich ist, dass eineiige Zwillinge, die genetisch völlig identisch sind, dennoch genetische Unterschiede aufweisen können. Ein Forscherteam des spanischen Nationalen Krebszentrums (CNIO) hat mit sein...

Jahrzehntelang haben sich die Genetiker den Kopf darüber zerbrochen, wie es möglich ist, dass eineiige Zwillinge, die genetisch völlig identisch sind, dennoch genetische Unterschiede aufweisen können. Ein Forscherteam des spanischen Nationalen Krebszentrums (CNIO) hat mit seiner neuen Studie nun das Rätsel gelüftet. Zwillinge sind Mehrlinge, die zur selben Zeit empfangen werden, sich in einem Mutterleib entwickeln und gleichzeitig zur Welt kommen. Es gibt verschiedene Arten von Zwillingen: zweieiige und eineiige. Zweieiige oder dizygote Zwillinge unterscheiden sich in ihren genetischen Merkmalen, während eineiige oder monozygote Zwillinge mit dem gleichen Erbgut ausgestattet sind. Monozygotische Zwillinge entwickeln sich aus ein und derselben Eizelle. Daher sind ihre Erbinformationen identisch. Sowohl ihr Geschlecht als auch ihre Gene und Chromosomen sind immer identisch, und sie sind sich normalerweise in ihren körperlichen und geistigen Merkmalen sehr ähnlich. Die Wissenschaftler grübelten also darüber nach, wie es möglich ist, dass bei eineiigen Zwillingen mit gleicher Genetik beispielsweise bei einem Zwilling bipolare Störungen oder Schizophrenie auftreten können und bei dem anderen nicht? Oder warum bei weiblichen Zwillingen mit der gleichen Variante des Gens BRCA1 eine Schwester im Alter von 25 an Brustkrebs erkrankt und die andere mit 70? In Wirklichkeit sind die meisten monozygoten Zwillingspaare nicht identisch - sie weisen eine so genannte phänotypische Varianz auf, d. h. unterschiedliche körperliche Merkmale oder stärkere Ausprägung eines spezifischen Charakterzugs. Beispiele dafür sind eine unterschiedliche Anfälligkeit für Krankheiten und ein breites Spektrum anthromorpher Merkmale. Diese Beobachtungen lassen sich in verschiedener Weise erklären: Eine Möglichkeit beruht auf epigenetischen Unterschieden, also auf Unterschieden bei der Genomexpression. Die DNA besteht nicht aus reinen Molekülen in der Zelle: Vielmehr ist sie mit Proteinen - so genannten Histonen - verbunden, mit denen sie eine komplexe Substanz bildet, das so genannte Chromatin. Chemische Änderungen an der DNA oder den Histonen verändern die Struktur des Chromatins, ohne dabei die Nukleotidsequenz der DNA zu ändern. Solche Änderungen werden als epigenetische Änderungen bezeichnet. Auf der Suche nach der Lösung zu diesem Rätsel untersuchten Mario F. Fraga und seine Kollegen im Epigenetik-Labor des spanischen Nationalen Krebszentrums 160 monozygote Zwillinge im Alter zwischen drei und 74 Jahren. Für die Studie arbeitete das spanische Team mit Forschungsinstituten in Dänemark, Schweden, Großbritannien und den Vereinigten Staaten zusammen. Ihre Forschung konzentrierte sich auf zwei biologische Mechanismen, die die Genaktivität beeinflussen. Bei einem dieser Mechanismen, der DNA-Methylierung, hängen Enzyme in einer Zelle ein winziges Molekül an ein Gen an und deaktivieren es dadurch. Bei dem anderen Mechanismus, der so genannten Histonacetylierung, wird ein inaktives Gen reaktiviert. Diese veränderten genetischen Einstellungen können ein Leben lang bestehen bleiben - wenngleich sie nicht an die Nachkommen weitergegeben werden - und können von wesentlicher Bedeutung sein, beispielsweise wenn ein deaktiviertes Gen dasjenige ist, das vor einer Krebserkrankung schützt. Bisher war unklar, in welchem Maße epigenetische Änderungen von Geburt an vorprogrammiert sind oder durch äußere Faktoren ausgelöst werden. Das Forscherteam stellte fest, dass Zwillinge zu Beginn des Lebens in der Art ihrer Genexpression nicht zu unterscheiden sind. Bei älteren Zwillingen zeigten sich jedoch bei 35 Prozent der Testgruppe deutliche Unterschiede in der Genexpression. Als besonderen Durchbruch betrachten die Wissenschaftler die Erkenntnis, dass darüber hinaus die epigenetischen Profile von Zwillingen, die voneinander getrennt aufgewachsen sind oder sehr verschiedene Lebenserfahrungen gemacht haben - beispielsweise in der Ernährungsweise, Krankheitsgeschichte, körperlichen Betätigung sowie hinsichtlich Tabak-, Alkohol- und Drogenkonsum -, größere Unterschiede aufweisen als die von Zwillingen, die längere Zeit zusammengelebt oder ein ähnliches Umfeld gehabt und ähnliche Erfahrungen gesammelt haben. Nach Ansicht der Forscher untermauern die Ergebnisse die Theorie, dass Umweltfaktoren wie Rauchen, Ernährung und körperliche Betätigung Einfluss auf die Genaktivität eines Menschen nehmen können und liefern damit die Erklärung dafür, warum bei eineiigen Zwillingen ein unterschiedliches Krankheitsrisiko auftreten kann. Kleinere epigenetische Vorfälle vor der Geburt sind möglicherweise für viele der geringfügigen Unterschiede des körperlichen Erscheinungsbilds, der Persönlichkeit und des allgemeinen Gesundheitszustands jüngerer Zwillinge verantwortlich. Im Laufe der Zeit prägen weitere epigenetische Veränderungen die Individualität allmählich weiter aus. Abgesehen von ihrer potenziellen Bedeutung für das Verständnis der Unterschiede bei eineiigen Zwillingen könnte die Epigenetik viele Schicksalswendungen bei Einlingen erklären - beispielsweise warum eine Person an Krebs erkrankt und eine andere nicht, obwohl bei keiner von beiden in der DNA eine Krebs verursachende Veränderung vorliegt. Diese Erkenntnisse könnten zu weit reichenden Offenbarungen darüber führen, wie unsere Umgebung bei uns eine Veranlagung für zahlreiche Krankheiten wie Diabetes, Krebs und Herzerkrankungen schafft. Epigenetische Veränderungen ändern nicht unsere Erbmasse, können jedoch die Ursache für ebenso viele Krebserkrankungen und andere Krankheiten sein wie ausgeprägte Genmutationen. Wissenschaftler versuchen nun, die epigenetischen Veränderungen zu erkennen, die auf spezifische Umwelteinflüsse wie Ernährung, Umweltgifte oder nuanciertere Einflüsse wie Dauerstress zurückzuführen sind, und Medikamente zur Umkehrung dieser Änderungen zu entwickeln.

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