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Ökologischer Kernkraftansatz

Jetzt, da die Kernkraft nach den Worten des britischen Premierministers Tony Blair "mit voller Kraft zurück auf die Tagesordnung" gebracht wurde, sprach Dr. Georges Van Goethem von der GD Forschung der Europäischen Kommission, die für Kernspaltung und Strahlenschutz verantwort...

Jetzt, da die Kernkraft nach den Worten des britischen Premierministers Tony Blair "mit voller Kraft zurück auf die Tagesordnung" gebracht wurde, sprach Dr. Georges Van Goethem von der GD Forschung der Europäischen Kommission, die für Kernspaltung und Strahlenschutz verantwortlich ist, mit CORDIS-Nachrichten über die neuen Sicherheitskonzepte in Entwürfen für Kernspaltungskraftwerke. Er gab einige erstaunliche Einblicke in die grünen Referenzen der Kernreaktoren der vierten Generation, die bereits im Jahr 2020 als Prototypen in Betrieb genommen werden sollen. "Die europäische Kernsicherheit wird seit 1957, seit dem EURATOM-Vertrag, erforscht", so Dr. Van Goethem. Der EURATOM-Vertrag war selbst eine der Grundlagen der Europäischen Union, sodass die beiden seit fast 50 Jahren zusammengewachsen sind. "In den 1950er und 1960er Jahren basierten die Grundlagen der Kernsicherheit auf dem 'Defence in Depth'-Konzept. Der beste Vergleich sind russische Puppen oder Zwiebelschichten", sagt er. Die Reaktoren waren in drei versiegelten Wänden untergebracht, wobei es sich bei der letzten um die große gewölbte Struktur handelt, die normalerweise mit einem Kernkraftwerk assoziiert wird. "Der Ansatz bestand in der Suche nach 'Unfällen aufgrund des Entwurfs' und dem Schutz vor diesen", sagt er. "Es ist ein deterministischer Ansatz, der gegen hypothetische Ereignisse entworfen wurde", erklärt er. Durch die Verwendung ausfallsicherer Systeme zur Gewährleistung der Sicherheit hat die Kernkraft viel mit der Luftfahrt gemeinsam. "Aber wir gehen weiter, um das radioaktive Material zu schützen. In jeder Schicht gibt es Redundanz und Diversität. Beispielsweise hydraulische und elektrische Systeme, aber dieser Ansatz ist immer noch sehr deterministisch." In den 1970er Jahren verschob sich die Sicherheit zu einem gemischten "deterministischen-probabilistischen Ansatz", "da nicht alle schlimmstmöglichen Ereignisse vorhersehbar sind. Dies bedeutet die Zerlegung von Bereichen in kleine Teile und die Fragestellung 'was wenn' jeder Teil versagt. Es gibt eine weitere interessante Entwicklung im Kernsicherheitsentwurf - Prävention und Abmilderung. Bis Tschernobyl war der Entwurf auf Prävention ausgerichtet. Jetzt gehen wir weiter und richten die Entwürfe auf die Abmilderung der Folgen aus. Somit ergänzen wir technische Merkmale, um 'praktisch' alle denkbaren schlimmstmögliche Konsequenzen zu eliminieren", sagt er. Dr. Van Goethem stellt einen Vergleich zur Automobilindustrie her. "In den 1950er und 1960er Jahren war die Sicherheit der Autos nicht so schlecht, aber jetzt gibt es mehr Dinge - ABS, Airbags, Sicherheitsgurte - die allesamt die Folgen eines Fehlers abmildern. Das System muss jetzt für uns inhärente passive Sicherheit enthalten. Beispielsweise können im Fall einer Art schwerer Zerstörung des Kerns im Rahmen aktiver Kontrollen mehrere Millionen Liter Wasser zur Flutung des Kerns verwendet werden. Passive Kontrollen nehmen dieses Merkmal vom Betreiber oder dem ausfallsicheren System weg und lassen diese Reservoirs automatisch fluten, was bedeutet, dass keine Intervention oder elektrischen Systeme erforderlich sind. Es wird lediglich die Schwerkraft genutzt - dies ist passive Sicherheit." Andere passive Systeme könnten komprimiertes Gas oder Federn zum Betreiben der Systeme verwenden. Vor allem dürfen sie keine menschliche Intervention oder externe Energieversorgung umfassen. Hier wird die Kernsicherheit plötzlich aktuell und Schutz überschneidet sich mit Sicherheit, da diese passiven Systeme im Falle eines absichtlichen Angriffs effektiv sein werden. Bei sämtlichen Diskussionen über Kernsicherheit darf das Schreckgespenst von Tschernobyl nicht ignoriert werden. Dr. Van Goethem möchte unbedingt ansprechen, warum aus Tschernobyl umfangreiche Lehren gezogen wurden. "In Tschernobyl gab es zwei wesentliche Entwurfsfehler - der erste bestand darin, dass es keine dritte Barriere gab, was in allen EU- und sonstigen Entwürfen Standard ist. Im Jahr 1979 ereignete sich in Three Mile Island in den USA ebenfalls ein schwerer Unfall, aber der Entwurf umfasste die dritte Barriere (das Containment-Gebäude aus Beton), und das radioaktive Material wurde zurückgehalten - es ist nichts ausgetreten. "Der zweite Nachteil bestand darin, dass Tschernobyl mit einer positiven Rückkopplungsschleife arbeitete. Fast alle Industriemaschinen arbeiten mit einer negativen Rückkopplungsschleife, das heißt sie stoppen, wenn man sie allein lässt." Dies ist mit dem Fahrradfahren vergleichbar - wenn man nicht mehr in die Pedale tritt, wird das Fahrrad schließlich anhalten und man wird herunterfallen. Dasselbe sollte in dem Reaktor passieren - wenn nichts getan wird, schaltet er ab. In Tschernobyl war das Gegenteil der Fall und der Kern beschleunigte. Der Tschernobyl-Entwurf brauchte Bremsen. Die Entwürfe für eine negative Rückkopplung umfassen eine Art natürlicher Bremse im Falle einer Störung. Dieses einfache Merkmal - die Reduzierung der Leistung, wenn ein Reaktor alleingelassen wird - ist Standard bei allen EU- und sonstigen Entwürfen. "Alle alten sowjetischen RBMK-Reaktoren [im Tschernobyl-Stil] wurden jetzt nachgebessert und die anderen sowjetischen Entwürfe sind sicher. Der Ansatz der negativen Rückkopplung ist ebenfalls effektiv gegen absichtliche Angriffe, da dies die Chancen für den Eintritt von Katastrophen verringert", sagt er. Dr. Van Goethem besteht darauf, dass die Kernkraft heute sicher ist. "Aber sie sollte immer verbessert werden. Die Menschen fragen immer, warum Verbesserungen nötig sind - ist sie nicht sicher genug? In jeder Industrie müssen ständige Verbesserungen in Bezug auf Schutz, Leistungsfähigkeit, Sicherheit und Entwurf erfolgen." Die Sicherheit für Nuklearmaterial wird von der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) geregelt. Die IAEA konzeptionierte Ideen wie "Defence in Depth", das Sicherheitsmodell der 1950er Jahre. In Bezug auf spaltbares Material "gibt es technische Maßnahmen im Kraftwerksentwurf plus politische und rechtliche Mittel. Der IAEA-Vertrag enthält die rechtlichen Maßnahmen", so Dr. Van Goethem. Der Atomwaffensperrvertrag wurde erstmals im Jahr 1968 unterzeichnet. Heute haben 188 Länder den Vertrag unterzeichnet, der im Jahr 1995 ohne Bedingungen seitens der VN unbegrenzt ausgeweitet wurde. Ziel des Vertrags ist die Begrenzung der Verbreitung von Kernwaffen und die Begrenzung der Zahl der aktuellen Waffen durch schrittweise Abrüstung. Er reguliert außerdem Material, das zur Herstellung weiterer Waffen verwendet werden könnte. "Die IAEA-Inspekteure können dann jederzeit zu Kontrollen kommen, um sicherzustellen, dass das Material nur für friedliche Zwecke genutzt wird. Dieser Rechtsrahmen gewährleistet, dass das Kernkraftwerk sicher ist und keine Bedrohung von ihm ausgeht", so Dr. Van Goethem. Seit dem 11. September 2001 steht die Sicherheit von radiotoxischem Material plötzlich ganz oben auf der Tagesordnung. "Wir müssen derartiges Material sicher machen, damit niemand es erhalten kann, einschließlich Terroristen. Bei der standardgemäßen Wiederaufarbeitung verbrauchter Brennstoffe werden Uran und Plutonium extrahiert und getrennt. Dies wird nicht mehr akzeptiert, da es im Interesse der Terroristen wäre. In Zukunft wird es keine Trennung von Aktiniden geben. Wenn alle Aktiniden im Brennstoff verbleiben, dann kann der Brennstoff nicht für Waffen verwendet werden. Dies erfordert neue Entwürfe für die Brennstoff-Wiederaufarbeitung und -Herstellung." Hier findet vielleicht der faszinierendste Schritt im Bemühen um Kernkraft statt. Es gibt weltweit noch ein paar Kernreaktoren der ersten Generation - die in den 1950er Jahren entworfen wurden und deren Laufzeit sich größtenteils dem Ende zuneigt. Der Großteil sind Reaktoren der zweiten Generation - die in den 1970er Jahren als Reaktion auf die Ölkrise entwickelt wurden. Sie sind sicherer und auch wesentlich effizienter. In Europa erhielten zwei Reaktoren der dritten Generation grünes Licht. Es handelt sich um Entwürfe europäischer Druckreaktoren (European Pressurised Reactor - EPR), die sowohl Plutonium als auch Uran als Brennstoff verwenden können (MOX). Der erste wird in Olkiluoto, Finnland, gebaut und wird im Jahr 2009 in Betrieb genommen. Der zweite darf im französischen Flamanville gebaut werden. Andere Entwürfe der dritten Generation sind bereits in Japan im Gange. Dr. Van Goethem betrachtet die Reaktoren der dritten Generation als eine Übergangslösung zur Überbrückung der Energielücke, bis Reaktoren der vierten Generation im Rahmen des Energiemix abgeschlossen werden können. Diesen Standpunkt hat die EU in ihrem jüngsten Grünbuch "Energie" angenommen. "Reaktoren der vierten Generation werden Brennstoffe aus Uran, Plutonium und allen sonstigen Aktiniden gleichzeitig verbrennen. Bei diesem Prozess werden alle langlebigen und hochradioaktiven Isotope verbrannt, sodass die Terroristen leer ausgehen - dies ist umfassendes Aktinidenrecycling", sagte er. Dies hätte Folgen für die gesamte Industrie. Hochradiotoxisches Material wird zu neuen Brennstoffen recycelt, die verbrannt und wesentlich sicherer eingesetzt werden können. Hierbei handelt es sich um die "schnelle Neutronenreaktor"-Technologie, eine leistungsfähigere und wesentlich verbesserte Version von schnellen Versuchsbrutreaktoren. "Der verbrauchte Brennstoff kann ständig recycelt werden, wodurch die langlebigen und hochtoxischen Materialien eliminiert werden, sodass nur kurzlebige und weniger toxische Materialien als Abfallstoffe übrig bleiben. Unterirdische Lager werden immer noch nötig sein, aber der Abfall wird wesentlich weniger radioaktiv und viel weniger umfangreich sein (bis zu 1.000 Mal weniger). Dies ist nachhaltige Kernkraft - die künftigen Generationen werden nicht belastet", so Dr. Van Goethem. Der Reaktorentwurf hat einige kuriose Nebenwirkungen, die globale Auswirkungen haben könnten. "Dieser Reaktor der vierten Generation wird auch Strom mit Hitze auf einer sehr hohen Temperatur erzeugen, der für Industrieverfahren verwendet werden kann - dies wird als nukleare Kogeneration bezeichnet. Eine Idee besteht in der Realisierung der Wasserstoffgesellschaft. Wie können ausreichende Mengen an Wasserstoff hergestellt werden? Die Erhöhung des Wasserstoffverbrauchs könnte auf mehr als das 1.000-fache des heutigen Niveaus ansteigen. Wie kann dies auf eine saubere, Kyoto-kompatible Weise erfolgen?", fragt er. Wasserstoff ist zweifellos ein sauberer Brennstoff - er hinterlässt nur Wasser als sauberes Abfallprodukt. Die sauberen und kostengünstigen Methoden der Wasserstoffherstellung sind jedoch gering. Häufig werden fossile Brennstoffe bei hohen Temperaturen "gespalten" und setzen sowohl Wasserstoff als auch Kohlenstoff frei, oder Wasser wird gespalten und setzt Sauerstoff und Wasserstoff frei. Für diese beiden Verfahren wird Hitze für die industrielle Spaltung benötigt, die zwangsläufig aus einer fossilen Brennstoffquelle stammt. Einige Technologien, wie beispielsweise konzentrierte Solarwärmeenergie, liefern die ökologischen Mittel für die Spaltung fossiler Brennstoffe zur Erzeugung von Wasserstoff, aber die Technologie ist noch jung und die erzeugten Wasserstoffmengen sind bisher begrenzt. "Die Reaktoren der vierten Generation bieten möglicherweise eine Lösung. Weil die Temperaturen des Reaktors so hoch sind - 900 bis 1.000 Grad Celsius - reicht dies aus, um Wasser ohne die Verwendung von Kohlenstoff zu 'spalten'. Am Standort würden sich Spaltanlagen befinden, allerdings außerhalb des Kernkraftwerks. Wasserstoff würde durch Hochtemperaturelektrolyse (HTE) erzeugt, die sauber ist und möglicherweise einfacher als die bloße Spaltung alleine", sagt er. Reaktoren der vierten Generation haben die Fantasie vieler beflügelt. "Das US-Energieministerium (US-DOE) leitete ein internationales Programm ein, das unter anderem das VK, Frankreich und EURATOM im Rahmen einer koordinierten Forschungsanstrengung einbezieht. Dies ist in etwa mit dem [internationalen Wasserstoffkernforschungsprojekt] ITER vergleichbar. Dies ist eine Vereinbarung auf höchster zwischenstaatlicher Ebene - das Generation IV International Forum (GIF). Es sind sechs Kernspaltungssysteme oder -entwürfe vorgesehen. Der erste Prototyp, der Höchsttemperaturreaktor (Very High Temperature Reactor - VHTR) könnte bis zum Jahr 2020 fertig gestellt sein, die anderen Systeme aber wahrscheinlich erst bis 2040. Reaktoren der dritten Generation werden immer noch benötigt, um diese Lücke zu überbrücken", sagt er. Neben der Spaltung von Wasser wegen seines kostbaren Wasserstoffs könnten die Kernkraftwerke der vierten Generation auch für die Entsalzung, Ölraffinerien und auch für Weiterverarbeitungstechniken für den in Kanada abgebauten viskosen Ölteer eingesetzt werden. Dr. Van Goethem ist der Meinung, dass vor dem Beginn der Wasserstoffwirtschaft als Zwischenschritt mehr Energie für synthetische Brennstoffe verwandt werden sollte. "Die Erdölgesellschaft braucht andere Brennstoffe. Momentan müssen wir an einen Zwischenschritt denken - zum Beispiel synthetische Brennstoffe. Wasserstoff birgt auch Gefahren, aber wir sind sehr daran interessiert, dies mit der Industrie zu diskutieren", sagt er. Dr. Van Goethem stimmt zu, dass sich die Kernenergie seit Tschernobyl nur langsam rehabilitiert hat. Aber er glaubt, dass sich die öffentliche Meinung der Kernenergie wieder anschließen wird, insbesondere da bekannte Umweltschützer wie James Lovelock sich für die Kernkraft ausgesprochen haben. "Die Menschen schließen sich der Feststellung an, dass es keine andere Möglichkeit gibt. Sie ändern ihre Meinung. Eine aktuelle Eurobarometer-Studie, die von der GD Tren [Verkehr und Energie] in Auftrag gegeben wurde, hat ergeben, dass die Menschen zufriedener mit der Kernkraft wären, wenn die Frage des Abfallmanagements gelöst wäre. Die Reaktoren der vierten Generation könnten dieses Problem lösen. EURATOM reagiert auf öffentliche Bedenken, insbesondere in Bezug auf Kernsicherheit, Schutz und Nachhaltigkeit", sagt er. Dr. Van Goethem ist der Meinung, dass die Kernkraft sicher ist und die künftige Entwicklung antreiben wird. "Sicherheit ist jetzt ein systemischer Prozess. In den 1950er Jahren war es eher ein linearer Prozess, aber die Systeme interagieren jetzt und es ist ein System vorhanden", sagt er. Die Sicherheit ist in den Entwurf der Reaktoren eingebettet und sie hat die Entwicklung dieser neuen Technologie vorangetrieben.