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Inhalt archiviert am 2023-03-06

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Satellitengalaxie-Forscher behaupten: "Möglicherweise lag Newton falsch!"

Unser Verständnis der hinter der Gravitation steckenden Physik wird durch zwei neue Studien von Forschern aus Deutschland, Österreich und Australien arg in Frage gestellt. Die im Astrophysical Journal und den Monthly Notices of the Royal Astronomical Society veröffentlichten E...

Unser Verständnis der hinter der Gravitation steckenden Physik wird durch zwei neue Studien von Forschern aus Deutschland, Österreich und Australien arg in Frage gestellt. Die im Astrophysical Journal und den Monthly Notices of the Royal Astronomical Society veröffentlichten Erkenntnisse basieren auf der Untersuchung der Satellitengalaxien bzw. kleineren Galaxien (d. h. Zwerggalaxien) am Rande unserer riesigen, spiralförmigen Milchstraße. Mit Isaac Newtons klassischer Gravitationstheorie, die er bereits 1687 veröffentlichte, kann man die Auswirkungen der Schwerkraft auf der Erde wie zum Beispiel den üblicherweise vom Baum nach unten fallenden Apfel sehr gut erklären. "Möglicherweise lag Newton aber tatsächlich falsch", erklärt Professor Dr. Pavel Kroupa vom Argelander-Institut für Astronomie der Universität Bonn in Deutschland. "Seine Theorie beschreibt zwar die Alltagseffekte der Schwerkraft auf der Erde, die wir sehen und messen können. Die tatsächliche Physik hinter der Gravitation kennen wir aber vielleicht noch gar nicht." Newtons Theorie wird von vielen modernen Kosmologen in Frage gestellt, deren konkurrierende Theorien zur Gravitation die große Zahl der Abweichungen zwischen tatsächlichen Messungen astronomischer Phänomene und auf der Basis theoretischer Modelle erstellter Vorhersagen zu erklären versuchen. Die Idee der "dunklen Materie", die hinter diesen Widersprüchen stecken soll, hat in den letzten Jahren viel Aufmerksamkeit erregt. Der Nachweis der Existenz dieser rätselhaften Substanz steckt jedoch noch in den Anfängen. In dieser jüngsten Forschungsarbeit untersuchten Professor Kroupa und seine Kollegen die sogenannten Satellitengalaxien, die theoretischen Modellen zufolge zu Hunderten in der Umgebung der meisten großen Galaxien, so auch der Milchstraße, vorkommen. Einige dieser kleineren Galaxien (d. h. Zwerggalaxien) bestehen vermutlich nur aus ein paar tausend Sternen (die Milchstraße - zum Vergleich - hat mehr als 200 Milliarden Sterne). Bislang wurden jedoch erst 30 derartiger Satellitengalaxien rund um die Milchstraße beobachtet. Man führt diese große Diskrepanz im Allgemeinen darauf zurück, dass die wenigen Sterne viel zu lichtschwach sind, um aus einer derart riesigen Entfernung gesehen zu werden. Nun sind die Physiker aber bei ihren detaillierten Untersuchungen auf einige überraschende Ergebnisse gestoßen. "Zunächst einmal stimmt etwas nicht mit ihrer Verteilung", erklärt Professor Kroupa: "Eigentlich sollten die Satelliten gleichmäßig um ihre jeweilige Muttergalaxie angeordnet sein. Das sind sie aber nicht." Die Forscher stellten fest, dass alle klassischen Satelliten der Milchstraße - das sind die elf hellsten Zwerggalaxien - alle mehr oder weniger in derselben Ebene liegen, also eine Art Scheibe bilden. Zudem konnten die Forscher zeigen, dass die meisten der 11 Galaxien in derselben Richtung um die Milchstraße rotieren - ähnlich wie die Planeten um die Sonne. Dieser Befund lässt sich nach Ansicht der Physiker nur mit der Annahme erklären, dass die Satelliten vor langer Zeit bei der Kollision junger Galaxien entstanden sind. "Aus dem 'Schrott', der bei einem solchen Crash entsteht, können sich rotierende Zwerggalaxien bilden", erläutert Manuel Metz, gleichfalls vom Argelander-Institut für Astronomie. "Die Satelliten, die dabei entstehen, können jedoch laut theoretischen Berechnungen keineswegs dunkle Materie enthalten", fügt er hinzu. Diese Berechnungen stehen jedoch im Widerspruch zu einer weiteren Beobachtung des Teams: "Die Sterne in den jetzt untersuchten Satelliten bewegen sich viel schneller, als sie es nach den Berechnungen per Gravitationsgesetz dürften. Als Ursache kommt aus Sicht der klassischen Physik eigentlich nur die Anwesenheit dunkler Materie in Frage", merkt Dr. Metz an. Dieses rätselhafte Problem deutet darauf hin, dass einige wesentliche Grundlagen der Physik bislang falsch verstanden wurden. "Eine Lösung gibt es wohl nur, wenn wir uns von der klassischen Gravitationstheorie Newtons lösen", sagt Professor Kroupa. "Wahrscheinlich leben wir in einem nicht-newtonschen Universum. Wenn diese Annahme stimmt, lassen sich unsere Beobachtungen auch ohne dunkle Materie erklären." Bisher ist das Newtonsche Gravitationsgesetz bereits dreimal modifiziert worden: hinsichtlich der Effekte hoher Geschwindigkeiten (siehe Theorie der speziellen Relativität), in der Nähe großer Massen (siehe allgemeine Relativitätstheorie) und bei sehr kleinen Raumabständen (siehe Quantenmechanik). Nun unterstützen die in den Satellitengalaxien aufgedeckten Unstimmigkeiten die These, dass im Weltall wohl eine "modifizierte Newtonsche Dynamik" (MOND) angewandt werden muss. Die erstmals 1981 vorgeschlagene MOND-Theorie modifiziert Newtons zweites Gesetz der Dynamik, um das Problem der Rotation von Galaxien zu erklären (d. h. die Tatsache, dass sich alle Galaxien mit einer einheitlichen Geschwindigkeit drehen, was gegen die Newtonsche Vorhersage verstößt, dass Objekte "weiter draußen" geringere Geschwindigkeiten haben). Diese neue Feststellung hat tiefgreifende Implikationen für die fundamentale Physik im Allgemeinen und für kosmologische Theorien im Speziellen. "Die Autoren der Studie legen hier wirklich starke Argumente vor", urteilt der bekannte Astrophysiker Bob Sanders von der Universität Groningen in den Niederlanden. "Ihre Resultate decken sich komplett mit dem, was man nach einer solchen Modifikation der Newtonschen Theorie erwarten würde, aber widersprechen gleichzeitig diametral den Vorhersagen der Dunkle-Materie-Hypothese. Nur selten sind Beobachtungsdaten so definitiv."

Länder

Österreich, Australien, Deutschland

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