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Inhalt archiviert am 2023-03-09

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Mutation verstärkt impulsives Verhalten

Forscher konnten ein Gen identifizieren, das - ganz besonders dann, wenn Alkohol im Spiel ist - im Zusammenhang mit einem höheren Grad impulsiven Verhaltens steht. Die Entdeckung wirft ein völlig neues Licht auf die Ursachen von Impulsivität und könnte zur Entwicklung neuartig...

Forscher konnten ein Gen identifizieren, das - ganz besonders dann, wenn Alkohol im Spiel ist - im Zusammenhang mit einem höheren Grad impulsiven Verhaltens steht. Die Entdeckung wirft ein völlig neues Licht auf die Ursachen von Impulsivität und könnte zur Entwicklung neuartiger Diagnose- und Behandlungsstrategien bei Erkrankungen führen, die durch impulsives Verhalten gekennzeichnet sind. Die teilweise von der EU finanzierte Studie wurde im Fachjournal Nature veröffentlicht. Impulsives Verhalten, unter dem man ein Agieren ohne vorausschauendes Denken oder ohne Berücksichtigung der Konsequenzen versteht, zeigt sich bei vielen Erkrankungen wie Aggression, Sucht, Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS), antisozialer Persönlichkeitsstörung (APS) und Hang zum Suizid. Dabei kann etwas Impulsivität eine gute Sache sein: Wenn schnelle Entscheidungen gefragt sind oder Verzögerungen nichts als verpasste Chancen bedeuten, kann impulsives Verhalten Vorteile bringen. In dieser Studie untersuchten Wissenschaftler aus Finnland, Frankreich und den USA finnische Kriminelle, die sich extrem gewalttätiger Verbrechen schuldig gemacht hatten, die aber sowohl spontan als auch ohne Vorsatz begangen wurden. "Wir haben diese Studie aufgrund einer einzigartigen Bevölkerungsgeschichte und der medizinischen Genetik in Finnland durchgeführt", erklärte der leitende Autor des Artikels, Dr. David Goldman vom National Institute on Alcohol Abuse and Alcoholism (NIAAA), Teil der US-amerikanischen National Institutes of Health (NIH). "Heutige Finnen stammen von einer relativ kleinen Gruppe ursprünglicher Siedler ab, wodurch sich die genetische Komplexität von Erkrankungen in diesem Land reduziert hat. Studieren wir nun die Genetik gewalttätiger Verbrecher innerhalb Finnlands, so haben wir bessere Chancen bei der Suche nach Genen, die impulsives Verhalten beeinflussen." Das Team verglich die DNA (Desoxyribonukleinsäure) von 96 Gewalttätern mit der DNA von ebenso vielen nicht impulsiven gesunden Finnen. Die Analysen ergaben, dass bei den Verbrechern eine Mutation in einem Gen mit der Bezeichnung HTR2B, das einen Serotoninrezeptor im Gehirn kodiert, dreimal häufiger als in der Kontrollgruppe auftrat. Serotonin ist ein Molekül, das verschiedene Verhaltensweisen beeinflusst, wozu auch die Impulsivität zählt. Die Forscher weisen jedoch auch darauf hin, dass die Mutation allein nicht ausreiche, um bei einem Individuum impulsive Handlungen auszulösen. Alkohol sei eine überaus wichtige Zutat zu diesem brisanten Mix. "Die Träger der HTR2B-Variante, die impulsive Verbrechen begangen hatten, waren männlich, und sie alle waren nur deshalb gewalttätig geworden, weil sie Alkohol getrunken hatten, der an sich schon zu verhaltensbezogener Enthemmung führt", kommentierte Dr. Goldman. Die 17 mit der Mutation belasteten Gewalttäter hatten sich durchschnittlich fünf Gewaltdelikte wie Totschlag, versuchten Mord, Brandstiftung, Körperverletzung und tätliche Übergriffe zuschulden kommen lassen. Etwa 94% dieser Verbrechen wurden begangen, als die Täter betrunken waren. Es handelte sich meistens um unangemessene Reaktionen auf kleine Unstimmigkeiten oder geringfügigen Ärger. Die Verbrechen wurden nicht vorsätzlich geplant; die Täter hatten keinerlei finanziellen Vorteil von ihren Taten. Auch einige Mitglieder der Familien der Kriminellen sind Träger des Gens und leiden an psychiatrischen Störungen wie APS. Die neu entdeckte Mutation scheint nur in der finnischen Bevölkerung aufzutreten. Allerdings haben die Ergebnisse eine breitere Relevanz, was ein gewisses Potenzial zur Entwicklung neuer Behandlungsmethoden für Erkrankungen mit sich bringt, die mit impulsivem Verhalten einhergehen. Die Forscher warnen durchaus, dass Impulsivität eine komplexe Angelegenheit sei, die von vielen genetischen und umweltbedingten Faktoren abhänge. Um das Gen weiter unter die Lupe zu nehmen, untersuchte das Team Mäuse, bei denen das HTR2B-Gen blockiert worden war. Auch diese Tiere erwiesen sich als höchst impulsiv. Die Forschergruppe ist nun der Wechselwirkung zwischen Alkoholkonsum und diesem Gen auf der Spur. "Die Entdeckung einer genetischen Variante, die unter bestimmten Bedingungen impulsives Verhalten innerhalb einer menschlichen Bevölkerungsgruppe prognostiziert, könnte weitreichende Auswirkungen haben", betonte der an der Forschungsarbeit nicht beteiligte stellvertretende Direktor des NIAAA, Kennet Warren. "Die Wechselwirkung mit Alkoholkonsum ist interessant, genauso wie die scheinbare Beteiligung eines Neurotransmitter-Rezeptors, der als wichtig bei Suchtverhalten und anderen Verhaltensformen angesehen wird."Weitere Informationen unter: National Institutes of Health (NIH): http://www.nih.gov Nature: http://www.nature.com/nature

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Finnland, Frankreich, Vereinigte Staaten