Diagnose und Therapie von Kopf-Hals-Karzinomen mit Big Data und visueller Analyse
Risikofaktoren für Kopf-Hals-Karzinome sind Rauchen, übermäßiger Alkoholkonsum und die in letzter Zeit stärker in den Mittelpunkt gerückten Humanen Papillomviren (HPV). Da bei der Mehrheit der Erkrankten die Diagnose noch immer erst in fortgeschrittenen Stadien (Stadium III oder IV) gestellt wird, muss die Behandlung normalerweise auf mehreren Wegen erfolgen, zumeist mit Operation mit anschließender postoperativer Strahlen- oder Radiochemotherapie. Bei bereits ausgeprägtem Kopf-Hals-Karzinom kann eine Behandlung zu entstellenden Asymmetrien im Gesicht führen, das Sprechen, Schlucken und Essen beeinträchtigen, aufgrund der eingesetzten toxischen Mittel schwere Morbidität zur Folge haben oder die Lebensqualität der Patienten stark verschlechtern. Der Koordinator des Projekts BD2Decide und außerordentlicher Professor am Universitätsklinikum Parma, Tito Poli, hebt hervor: „Die Medizin steht also vor dem Problem, die beste Behandlungsmethode auszuwählen und gleichzeitig die Nebenwirkungen und Nachteile für die Lebensqualität der Patienten so gering wie möglich zu halten.“
Eine integrierte Lösung mit Big Data
BD2Decide hat eine Lösung für diese Schwierigkeiten des medizinischen Personals entwickelt: eine validierte integrierte klinische Entscheidungshilfe. „In diesem Framework werden populationsspezifische Epidemiologie, Verhaltens- und Umweltdaten, patientenspezifische mehrskalige Daten aus Genomik, Pathologie und klinischen sowie Bilddaten mit vorhandenen mehrskaligen Prognosemodellen und grafischen Visualisierungswerkzeugen verknüpft,“ skizziert Poli. Aus den Forschungsarbeiten von BD2Decide sind einige Innovationen hervorgegangen. Das Team hat Radiomics und kombinierte Genomik in den Diagnose- und Entscheidungsfindungsprozess für die Behandlung sowie in die Prognosemodellierung eingeführt. Unter Berücksichtigung aller mehrskaligen Faktoren, die in das Fortschreiten von Kopf-Hals-Karzinomen und die Populationsdaten hineinspielen hat das Projekt verschiedene Modelle integriert und neu kalibriert. Aus Bildanalysen der Computertomografie (CT) und Magnetresonanztomografie (MRT) sind Instrumente zur radiomischen Eigenschaftserkennung entstanden. Sie können genutzt werden, um kombinierte radiogenomische Prognosemodellierungen zu erstellen oder neue personalisierte Signaturen für Prognosen zu entdecken. Diese immense Menge an neuen Informationen schöpft das Projekt mithilfe von Big Data aus. Über Cloud-IT und Analysetechniken lassen sich so unerwartete prognostische Indikatoren finden. Der Aufbau der entsprechenden Infrastrukturen für Big Data und die Cloud zur Sammlung und Homogenisierung der Daten erfolgte nach aktuellen Standards.
Patienten sind Dreh- und Angelpunkt
Dass im Patientenmanagement neue kooperative Konzepte in der Entscheidungsfindung zum Einsatz kommen, indem Daten ausgetauscht, Prognosemodelle erstellt und Daten erhoben werden, war eine große Innovation, aus der inzwischen eine interaktive Beteiligungsmöglichkeit für Patienten entstanden ist. Die Partner von BD2Decide können die Daten nun „transparent“ präsentieren und die aus den Modellen hervorgegangenen Prognosen personalisiert ausgeben. Neben der Entscheidungshilfe hat das Team auch ein Wissensmanagementsystem entwickelt. BD2Decide konnte mit seinen neu entwickelten präzisen Methoden zur Erkennung von HPV bei Oropharynxkarzinomen Fortschritte weit über den Stand der Technik hinaus erzielen. Eine neue genomische Signatur für diesen Mundhöhlenkrebs wurde gefunden und validiert. Ein entsprechendes Patent wird in Betracht gezogen.
Ausrichtung zukünftiger Forschung
„Wir gehen davon aus, dass BD2Decide mit seiner genaueren und stärker personalisierten Prognose und Behandlungsentscheidung, die sich nicht nur nach dem aktuellen klinischen Wissensstand richtet, sondern auch nach den Vorlieben des Patienten, die Kosten für Gesundheits- und Sozialwesen senken kann, die durch Kopf-Hals-Karzinome entstehen“, so Poli abschließend. Außerdem wird die eigentliche pflegerische Versorgung optimiert und unnötige Interventionen werden verhindert. Die Zukunft der Forschung an Kopf-Hals-Karzinomen fest im Blick, sind die klinischen Partner von BD2Decide in Verhandlungen mit bestehenden Forschungsinfrastrukturen der EU eingestiegen, vor allem mit dem italienischen Teil des Netzwerks ELIXIR. Ziel dabei ist, die Daten aus BD2Decide nach den Prinzipien der Europäischen Cloud für offene Wissenschaft systematisch in einem Dauerspeicher zu hinterlegen, mit der wissenschaftlichen Gemeinde zu teilen und weitere Forschung am Kopf-Hals-Karzinom zu fördern. Bis in den akademischen und Bildungsbereich will man vordringen: die Universität Parma plant die Einführung eines Kurses zum Thema Digitalisierung im Gesundheitswesen und Analyse von Big Data in klinischen Umgebungen, der inhaltlich auf den Erfahrungen und Ergebnissen von BD2Decide basiert.
Schlüsselbegriffe
BD2Decide, Big Data, Cloud, Kopf-Hals-Karzinom, HPV