Mit Fluiddynamiksimulationen die Geheimnisse der Materie in dichten Kernen ergründen
Im Inneren eines Neutronensterns drückt die Gravitation die Materie zu Dichten zusammen, die höher als typische Atomkerndichten sind, wodurch ein fruchtbarer Boden für die Erforschung einer neuen Physik jenseits des Standardmodells bereitet wird. Experimentell können derart extreme Dichten nicht gemessen werden. Als sich das Universum hier zur Mithilfe bereiterklärte, ergriff die Astronomie diese Chance: Im Jahr 2017 nahmen das Laser-Interferometer-Gravitationswellenobservatorium LIGO und der Gravitationswellendetektor Virgo in einem gemeinsamen Projekt Gravitationswellen eines Doppel-Neutronensterns auf, der 140 Millionen Lichtjahre von der Erde entfernt ist.
Gezeitendeformationen auf Oberflächen von Neutronensternen
Da beide Neutronensterne umeinander kreisen und dabei Energie in Form von Gravitationswellen abstrahlen, entstehen auf dem jeweils anderen auch Gezeitenverzerrungen. Diese hinterlassen einen deutlichen Abdruck auf den ausgesandten Gravitationswellen und gaben einzigartige Informationen über das exotische Innere der Neutronensterne preis. Mithilfe einer Zustandsgleichung kann die Astronomie mathematisch beschreiben, wie die innere Struktur eines Neutronensterns auf Änderungen der Dichte und des Drucks reagiert. „Doppel-Neutronensterne sind wie Teilchenbeschleuniger, aber in astrophysikalischer Größenordnung. Mit ihnen kann die Astronomie physikalische Phänomene untersuchen, die in Teilchenbeschleunigern auf der Erde nicht reproduzierbar sind; ganz besonders die starken Kernkräfte, die von der Quantenchromodynamik gesteuert werden“, erläutert Ulrich Sperhake, Koordinator des EU-finanzierten Projekts ACFD. Diese Theorie bestimmt die Zustandsgleichung im Inneren des Neutronensterns, wo die Materiedichten zehnmal höher als in normaler Kernmaterie sein können. Eine steife Zustandsgleichung, in welcher der Druck mit der Dichte schnell ansteigt, ergibt Sterne mit großen Radien und Gezeiteneffekte auf die den sich immer schneller umkreisenden Objekten zugeordnete Wellenform. Zudem kreisen stark verformbare Sterne schneller in die Richtung des gemeinsamen Untergangs. „Mithilfe hochpräziser Messungen der durch Gezeitenkräfte an Neutronensternen verursachten Verformungen könnten wir die Zustandsgleichung eng eingrenzen und die Möglichkeiten von LIGO für bahnbrechende Entdeckungen in Bezug auf extrem dichte Materie ausschöpfen“, erklärt Dr. Charalampos Markakis. Das Projektteam führte numerische Simulationen durch, um die Parameter der Neutronenstern-Zustandsgleichung ausgehend von Gravitationswellenbeobachtungen abzuschätzen. Es bestätigte sich, dass Phasenübergänge (beispielsweise Neutronen, die sich in Strange-Quarks auflösen) im Kern messbar weichere Zustandsgleichungen ergeben. „Die Messung von Gezeiteneffekten verschiedener Neutronensterne, die sich immer schneller umkreisen, mit Gravitationswellen-Observatorien der zweiten und dritten Generation wird uns in die Lage versetzen, deren Zustandsgleichung zu messen“, fügt Markakis hinzu.
Mathematische Sätze hinterlassen Spuren auf Gravitationswellen
Anhand des Kelvinschen Wirbelsatzes und seines Folgesatzes, des dritten Helmholtzschen Wirbelsatzes, hat das Wissenschaftsteam weiterführend untersucht, wie sich Materie bei extremen Dichten verhält. Es konnte beweisen, dass beide Sätze gelten, während die beiden Neutronensterne einander immer schneller umkreisen. Mit einem neuen Entwurf mit gedämpften Bedingungen auf der Grundlage der Hamiltonschen Fluiddynamik können diese Gesetze bei Simulationen am Supercomputer eingehalten werden. Man stellte außerdem fest, dass die Hamilton-Funktion für Doppelsterne auf kreisförmigen Umlaufbahnen nahezu konstant ist. Somit könnten hochpräzise Gravitationswellen-Templates extrahiert werden. „Es ist wunderbar, dass mathematische Sätze, welche die höchst relativistischen Ströme von Neutronensternen in gekrümmter Raumzeit charakterisieren, sich in die Gravitationswellen einprägen, die wir hier auf der Erde beobachten, obwohl sie 140 Millionen Lichtjahre entfernt sind“, gerät Markakis ins Schwärmen.
Der Lösung eines ungelösten Problems noch einen Schritt näher
ACFD fand eine vielversprechende Lösung für das seit langer Zeit bestehende Problem der Euler-Einstein-Gleichungen, die an der Grenzfläche zwischen Fluiden (dichte Materie) und Vakuum versagen. Mathematisch betrachtet verursacht dieses Versagen einen Verlust der punktweisen Konvergenz bei Simulationen von sich immer schneller umkreisenden Doppelneutronensternen. Die Projektforschung sollte mathematisch und rechnerisch untersuchen, wie die Natur in Maßstäben agiert, an denen das gegenwärtige Verständnis scheitert. Fluiddynamische Simulationen können noch mehr über den schwer fassbaren Zustand der Materie in Neutronensternkernen verraten.
Schlüsselbegriffe
ACFD, Gravitationswellen, Zustandsgleichung, Doppel-Neutronensterne, Inspiral, zwei sich immer schneller umkreisende Objekte, Fluiddynamik, dichte Materie, Kelvinscher Wirbelsatz