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In der Medizin sind viele Köpfe besser als einer

Forschende nutzen die Macht der kollektiven Intelligenz für eine vollautomatische Lösung, die medizinische Fehldiagnosen reduziert.

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Irren ist menschlich. In der Medizin kosten Fehler jedoch Leben, und viele dieser Fehler sind auf eine falsche Diagnose zurückzuführen. Was aber, wenn wir die Diagnosegenauigkeit erhöhen könnten, indem die Diagnosen vieler Ärztinnen und Ärzte zusammengefasst werden? Ein internationales Forschungsteam hat nun mit Unterstützung des EU-finanzierten Projekts HACID eine vollautomatische Prozedur entwickelt, bei der Wissensverarbeitungsverfahren zum Einsatz kommen, um die Vorteile der kollektiven Intelligenz in der Medizin und Gesundheitsversorgung umfassend auszuschöpfen.

Einzelne Person versus Kollektiv

Das Team erprobte seine Lösung an mehr als 1 300 medizinischen Fällen, die von einer medizinischen Crowdsourcing-Plattform mit der Bezeichnung The Human Diagnosis Project bereitgestellt wurden. Jeder Fall wurde von zehn Fachleuten diagnostiziert, die unabhängig voneinander agierten. Beim Vergleich der Einzeldiagnosen mit der kollektiven Lösung stellte das Team fest, dass seine Methode die Diagnosegenauigkeit deutlich erhöhte. Die allein eine Diagnose erstellende Person erreichte eine Genauigkeit von 46 %. Werden jedoch die Entscheidungen von zehn Diagnostizierenden zusammengefasst, erhöht sich dieser Wert auf 76 %. „Unsere Ergebnisse zeigen das lebensrettende Potenzial der Nutzung der kollektiven Intelligenz der globalen medizinischen Gemeinschaft, um Diagnosefehler zu reduzieren und die Patientensicherheit zu erhöhen“, berichten die Forschenden in ihrer wissenschaftlichen Arbeit, die in der Fachzeitschrift „PNAS“ veröffentlicht wurde. Die größte Herausforderung bei der Kombination unabhängiger Diagnosen in der ergebnisoffenen medizinischen Diagnostik besteht darin, zu erkennen, welche Diagnosen auf dasselbe medizinische Konzept hinweisen. Dabei geht es um ganz banale Probleme wie unterschiedliche Schreibweisen, Groß- und Kleinschreibung und Tippfehler. Zudem geht es auch um kompliziertere Fragen wie die, ob zwei gemeldete Diagnosen gleichwertig sind oder nicht. Um exakte medizinische Konzepte aus Freitextdiagnosen zu ermitteln, beruht die Lösung des Teams auf einer Kombination aus semantischen Wissensgraphen, Verarbeitung natürlicher Sprache und der weltweit umfassendsten, mehrsprachigen klinischen Gesundheitsterminologie, der Systematisierten Nomenklatur der Medizin (SNOMED), die der Normung dient. „Diese Arbeit stellt eine vollautomatische Pipeline vor, die sich von der Zusammenstellung von Diagnosen bis zur Bewertung der mittels kollektiver Intelligenz gewonnenen Ergebnisse erstreckt und auf die Leistung unabhängiger medizinischer Fachleute auf dem gesamten Gebiet der Medizin zugreifen kann. Damit wird die Anwendung von kollektiver Intelligenz in der medizinischen Diagnostik über einfache binäre oder mehrklassige Klassifizierungs- oder numerische Schätzungsaufgaben hinaus erheblich erweitert“, berichten die Studienautoren. „Unsere Ergebnisse zeigen, dass die Aggregation unabhängiger Antworten von mehreren Nutzenden zu erheblichen Verbesserungen der diagnostischen Genauigkeit führt, und zwar unabhängig von den Aggregationsregeln, den medizinischen Fachgebieten, den Hauptbeschwerden und dem Beschäftigungsverhältnissen der Nutzenden.“

Den Menschen aus der Schleife nehmen

Die Lösung erübrigt sämtliche manuellen menschlichen Eingriffe. Der Koautor der Studie, Dr. Vito Trianni vom Nationalen Forschungsrat Italiens, der das HACID-Projekt koordiniert, erklärt in einer „EurekAlert!“-Pressemitteilung: „Ein wesentlicher Beitrag unserer Arbeit besteht darin, dass die von Menschen erstellten Diagnosen zwar ihre Vorrangstellung behalten, unsere Aggregations- und Bewertungsverfahren jedoch vollständig automatisiert ablaufen, wodurch mögliche Verzerrungen bei der Erstellung der endgültigen Diagnose vermieden werden und der Prozess zeit- und kosteneffizienter gestaltet werden kann.“ Da die Lösung vollständig automatisiert ist, „kann sie in einer realen klinischen Umgebung in Echtzeit eingesetzt werden, in der die Grundwahrheit zum Zeitpunkt der Beurteilungen nicht bekannt ist“, heißt es in der wissenschaftlichen Arbeit. Die Forschenden arbeiten gegenwärtig im Rahmen des Projekts HACID (Hybrid Human Artificial Collective Intelligence in Open-Ended Decision Making) zusammen, um ihre Anwendung dem Markt einen Schritt näher zu bringen. Weitere Informationen: HACID-Projektwebsite

Schlüsselbegriffe

HACID, medizinisch, Diagnose, Fehldiagnose, diagnostisch, Genauigkeit, kollektive Intelligenz, Medizin, Diagnostikerin, Diagnostiker