Neue Erkenntnisse zur Entwicklung von Doppelsternsystemen
Die Entwicklung der gemeinsamen Hülle (Common Envelope Evolution) ist eine kurze, aber entscheidende Phase im Entwicklungsweg eines Doppelsternsystems, eines Systems aus zwei Sternen, die gravitativ aneinander gebunden sind und um einen gemeinsamen Massenschwerpunkt kreisen. Während dieser Phase kann dem Doppelsternsystem ein erheblicher Teil seiner Masse, Energie und seines Drehimpulses verlorengehen. In einigen Fällen können „Stern Eins“ und „Stern Zwei“ sogar zu einem einzigen Objekt verschmelzen. Während dieses Phänomen geradezu „Beachtet mich! Seht mich jetzt an!“ zu schreien scheint, bleibt die Entwicklung der gemeinsamen Hülle dennoch eine der am wenigsten enträtselten Phasen der Entwicklung von Doppelsternsystemen. „Doch die Folgen unseres mangelnden Verständnisses sind in der Astronomie weitreichend“, sagt Ondřej Pejcha(öffnet in neuem Fenster), Astrophysiker an der Karls-Universität(öffnet in neuem Fenster) in Prag. Beispielsweise spielt die Entwicklung der gemeinsamen Hülle eine entscheidende Rolle für die evolutionären Wege, die kompakte Objekte wie Weiße Zwerge, Neutronensterne und Schwarze Löcher betreffen. „Ein besonders wichtiger und aktueller Aspekt dabei ist das Verständnis des Ursprungs und der Evolution von Systemen aus Schwarzen Löchern und Neutronensternen, bei denen wir deren Verschmelzung mit Gravitationswellen beobachten“, fügt Pejcha hinzu. Mit Unterstützung des EU-finanzierten Projekts Cat-In-hAT(öffnet in neuem Fenster) arbeitete Pejcha daran, neue Einblicke in das wichtige, aber rätselhafte Phänomen der Entwicklung der gemeinsamen Hülle zu gewinnen.
Erforschung der 3D-Dynamik der Entwicklung der gemeinsamen Hülle
Im Mittelpunkt der Projektarbeit steht die Anwendung der Magnetohydrodynamik, die es den Forschenden gestattete, die dreidimensionale Dynamik der Entwicklung der gemeinsamen Hülle zu untersuchen, wobei es schwerpunktmäßig besonders um die Entwicklung hin zur endgültigen Restphase ging. Magnetohydrodynamik bildet ein Werkzeug zur Untersuchung der Entwicklung elektrisch leitfähiger Fluide wie beispielsweise der im Universum häufig vorkommenden Plasmen und ihrer Wechselwirkung mit Magnetfeldern. „Mithilfe dieser Simulationen können wir die Mechanismen, die für den Transport von Drehimpuls und Energie sowie die Verstärkung von Magnetfeldern verantwortlich sind, quantitativ bewerten und verstehen, wie diese Prozesse mit dem zentralen Doppelsternsystem in Wechselwirkung treten“, erklärt Pejcha. Im Rahmen des Projekts wurde außerdem ein innovatives Strahlungstransfermodul für einen hydrodynamischen Code mit beweglichem Gitter (Moving-Mesh-Code) entwickelt. Der Code wurde seitdem auf die durch Winde veränderten Transienten und Gezeiten-Sternzerrissereignisse (Tidal Disruption Events) im Zentrum von Galaxien sowie auf die mit der Entwicklung der gemeinsamen Hülle verbundenen Transienten angewandt. Mit dem Gitter wird der 3D-Raum in ein Raster aus kleineren, einfacheren Formen unterteilt, um Computersimulationen zu realisieren. Hydrodynamische Moving-Mesh-Codes sind eine Klasse von Werkzeugen der numerischen Strömungsmechanik, die zur Lösung von Fluidgleichungen auf einem Rechengitter verwendet werden, das sich mit dem Fluid bewegt, wodurch Rechenfehler reduziert werden.
Astronomisches Verständnis über Entwicklung der gemeinsamen Hülle erweitern
Das Projektteam hat das Verständnis der Astronomie für das Phänomen der Entwicklung der gemeinsamen Hülle erfolgreich vorangebracht. „Wir wandelten Transienten der gemeinsamen Hüllen in Sonden der Doppelsternevolution um und gelangten zu neuen Erkenntnissen über die späten Stadien der Entwicklung der gemeinsamen Hülle“, erläutert Pejcha. Das Projekt Cat-In-hAT mag zwar abgeschlossen sein, die Arbeit der Forschenden geht jedoch weiter. „Ich bin besonders stolz darauf, dass die im Rahmen des Doktorats und Postdoktorats an diesem Projekt Mitarbeitenden umkämpfte Anschlussstellen an verschiedenen Institutionen in Europa und den Vereinigten Staaten erhalten konnten, wo viele von ihnen die Forschung, die wir mit diesem vom Europäischen Forschungsrat(öffnet in neuem Fenster) unterstützten Projekt begonnen haben, weiter vorantreiben werden“, schließt Pejcha. Pejcha selbst plant außerdem, einige der projekteigenen Themen weiter zu erkunden, unter anderem die Anwendung des Strahlungs-Moving-Mesh-Codes auf Forschungsfragen im Zusammenhang mit einer Reihe astronomischer Transienten.