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Inhalt archiviert am 2024-04-23

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ERC Story – Enzyme aus Meeresschwämmen: Die kleinen Baumeister der Natur

Auf den ersten Blick scheinen Schwämme nicht viel Innovatives zu bieten – trotzdem könnten sie der Schlüssel zu neuen Nanotechnologien, optischen Geräten und Möglichkeiten sein, menschliche Knochen zu regenerieren und Knochenerkrankungen vorzubeugen. Schwer zu glauben? Nicht für Werner E.G. Müller. Im Projekt BIOSILICA entwickelt er gemeinsam mit seinem Team Strategien, um die komplexen Prozesse, mit denen natürliche Kieselschwämme ihre faszinierenden Biosilikat-Strukturen wachsen lassen, für biologisch abbaubare Implantate zu nutzen und damit die Knochenheilung nach operativen Eingriffen oder Brüchen zu beschleunigen.

Als biologische Mineralisation wird die Bildung von Kompositstrukturen (speziell anorganischem Material) durch biologische Organismen bezeichnet, wie sie beispielsweise bei Eierschale oder Zahn stattfindet. Biogenes Silikat (Glas) ist ein wichtiges biologisches Mineral und wird in Gigatonnen durch Biosilifizierung (Verkieselung) hauptsächlich von Meeresorganismen wie Kieselschwämmen produziert. Die filigranen zerbrechlichen Strukturen solcher Meeresschwämme sind wenige Nanometer oder Millimeter lang. Die wundervollen offenen Glasskelette aus stäbchen- und sternchenförmigen Nadeln (Spiculae) faszinieren die Forscher, seitdem sie erstmals entdeckt wurden. Für den Pragmatiker sind sie aber noch wegen anderer Eigenschaften interessant: nanometergroße Glasstrukturen sind unerlässliche Komponenten in der Mikro- und Nanoelektronik, da aus ihnen Isoliermaterial und optische Wellenleiter gefertigt werden. Biosilikat verträgt sich zudem gut mit menschlichen Körperzellen, was vor allem für medizinische Implantate entscheidend ist. An der Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz, Deutschland, untersuchen Professor Werner E. G. Müller und sein Team vom Institut für Physiologische Chemie unterstützt durch einen ERC-Förderpreis für erfahrene Forscher die grundlegenden Mechanismen der Biomineralisation, insbesondere der Biosilifizierung, um diese Prozesse für eine Reihe neuer technischer Anwendungen nutzbar zu machen. "Das Schöne an der Natur ist, dass sie immer Mittel und Wege findet, Dinge zu konstruieren. In der Chemie sind diese Möglichkeiten begrenzt, da chemische Reaktion immer Aktivierungsenergie benötigen – man muss sehr viel Energie aufwenden, um etwas stattfinden zu lassen", so Werner Müller, "bei biochemischen Reaktionen hingegen übernehmen natürliche Katalysatoren diese Aufgabe – mit sehr viel weniger Energieaufwand. Die Biosilifizierung wird enzymatisch katalysiert." Derzeit noch erfolgt die Herstellung von Silikatnanostrukturen und optischen Bauteilen unter sehr hohen Temperaturen oder Druck: für Glasfasern etwa werden Temperaturen um die 1000°C benötigt. Meeresschwämme nun erzielen mit weit weniger Energieaufwand und bei moderaten Temperaturen ähnliche Ergebnisse. Dabei katalysieren sie chemische Prozesse mithilfe von Enzymen, die einfach vorübergehend an die jeweiligen Materialien binden. Ein neues Paradigma in der Entstehung "Die Entdeckung des enzymatischen Katalysators Silikatein im letzten Jahrzehnt und dessen Funktion bei der Bildung anorganischer Biosilikate ist ein Paradigmenwechsel in der Forschung. Zwar wissen wir inzwischen, dass nur sehr wenige Enzyme chemische Reaktionen steuern können, unsere Forschungen zeigen aber, dass dies nicht auf Biosilikate beschränkt ist – auch andere biologische Materialien, die Metalle enthalten, können mithilfe spezifischer Enzyme hergestellt werden", wie Prof. Müller ausführt. Sein Team forscht weiter an der Biosilifizierung und bringt hochmodernste Technologien aus der Strukturbiologie, Biochemie, Biotechnologie und den Materialwissenschaften ein. So wurde parallel mit ERC-Fördermitteln bereits die Proof-of-Concept-Studie (PoC) Si-Bone finanziert. "Die Strukturen von Schwämmen sind - genau wie bei Tierknochen - ausgesprochen vielfältig: jeder Art liegt ein eigener, ganz spezifischer Bauplan zugrunde. Obwohl wir nicht wissen, wie dies genau beim Menschen funktioniert, haben wir entdeckt, dass auch dort das Knochenwachstum durch Enzyme gesteuert wird. Somit konnten wir in vitro Knochenersatz aus Biosilikat herstellen. Diese Implantate belegten im Tierversuch eine ausgezeichnete Biokompatibilität – und werden vom Wirtsorganismus nicht abgestoßen". "Wir entdecken gerade auch noch weitere Vorteile: sie werden nach und nach biologisch abgebaut und machen somit Folgeoperationen zur Entfernung der Implantate hinfällig (Metallklammern bei Knochenbrüchen). Der langsame Abbauprozess ermöglicht darüber hinaus das kontrollierte Wachstum des neuen Knochens, denn das Biosilikat fördert die Bildung von Knochengewebe. Dies ist nicht so neu, denn bekanntermaßen enthält auch der menschliche Knochen Biosilikat, und Kieselschwämme gehörten zu den ersten Organismen, die die Erde bevölkerten. Sie sind vermutlich die Vorfahren der Wirbeltiere, was die gute Biokompatibilität belegt. "Bei der Si-Bone-PoC bauen wir auf diesen Forschungen auf. Insbesondere untersuchen wir, wie das Enzym Silikatein zur Prävention und möglicherweise sogar Heilung von Osteoporose eingesetzt werden kann, einer altersbedingten Knochenerkrankung, die mit enormen Behandlungskosten und großem Leid für die Betroffenen einhergeht, und die mit zunehmender Überalterung an Bedeutung gewinnen wird." - Quelle: Professor Werner Ernst Ludwig Georg Müller - Projektkoordinator: Medizinisches Zentrum der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Deutschland - Projekttitel: From gene to biomineral: Biosynthesis and application of sponge biosilica - Projektakronym: BIOSILICA - Institutionswebsite - RP7 Finanzierungsprogramm (ERC-Aufforderung): Advanced Grant 2011 - Finanzierung durch die EK: 2 200 000 EUR - Projektdauer: 5 Jahre Referenzen Müller W.E.G. Wang X.H. Grebenjuk V., Diehl-Seifert B., Steffen R., Schloßmacher U., Trautwein A., Neumann S. and Schröder H.C. (2013), Silica as a morphogenetically active inorganic polymer: effect on the BMP-2-dependent and RUNX2-independent pathway in osteoblast-like SaOS-2 cells; Biomaterials Sci. 1: 669-678 Müller W.E.G. Schröder H.C. Burghard Z., Pisignano D. and Wang X.H. (2013), Silicateins – A novel paradigm in bioinorganic chemistry: Enzymatic synthesis of inorganic polymeric silica; Chemistry Eur. J., 19:5790-5804 Wang, X.H. Schröder, H.C. Wang, K., Kaandorp, J.A. and Müller, W.E.G. (2012), Genetic, biological and structural hierarchies during sponge spicule formation: From soft sol-gels to solid 3D silica composite structures; Soft Matter, 8:9501-9518.