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Inhalt archiviert am 2024-05-24

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Roboter, die wie Pflanzenwurzeln wachsen

Roboter stellt man sich zumeist menschenähnlich vor - nach dem Vorbild unzähliger Science-Fiction-Filme - oder auch einfach als mobilen Computer. Ein EU-finanziertes Forschungsprojekt lässt sich nun von Pflanzen und deren intelligenten, effizienten Strategien inspirieren und e...

Roboter stellt man sich zumeist menschenähnlich vor - nach dem Vorbild unzähliger Science-Fiction-Filme - oder auch einfach als mobilen Computer. Ein EU-finanziertes Forschungsprojekt lässt sich nun von Pflanzen und deren intelligenten, effizienten Strategien inspirieren und entwickelt eine neue Robotergeneration und IKT-Technologie mit sensorischer oder verteilter adaptiver Intelligenz. Insbesondere Pflanzenwurzeln sind hervorragend ausgerüstet, um sich ins Erdreich zu graben, erläutert Projektkoordinatorin Dr. Barbara Mazzolai vom Zentrum für Mikro-BioRobotik am Istituto Italiano di Tecnologia (IIT). Aus entwicklungstechnischer Sicht seien die Fähigkeiten von Wurzeln - also adaptives Wachstum, energieeffiziente Bewegungen und das Eindringen ins Erdreich in jedem möglichen Winkel - ausgesprochen interessant, wie sie betont. Obwohl Pflanzen sich nicht fortbewegen können, haben sie erstaunliche Fähigkeiten entwickelt: sie reagieren auf unzählige von außen kommende Signale und passen sich hervorragend wechselnden Umgebungsbedingungen an. Pflanzliche Zellen sind so optimiert, dass der Energieverbrauch bei den Bewegungen minimal bleibt, was wiederum die Welt der Robotik in vielfältigster Weise inspirieren kann: für Bewegungen etwa, die auf die bei Tieren unerlässliche Muskelkraft verzichten können. Das Magazin Research*eu results bat Dr. Mazzolai um genauere Informationen zu ihrer Aufgabe im Rahmen des Projekts PLANTOID1. Welche Hauptziele verfolgt das Projekt PLANTOID? Ziel des Projekts ist es, einen Roboterprototypen zu entwickeln und eine neue Generation von Robotersystemen und entsprechende IKT-basierte Hard- und Softwaretechnologien zu validieren, die sich an der "natürlichen" Intelligenz von Pflanzenwurzeln orientieren. Wie ihre pflanzlichen Vorbilder verfügen die Robotersysteme über verteilte Sensorik, Ansteuerung und Intelligenz, um den Boden zu erkunden und die dortigen Bedingungen zu überwachen. Im Verlauf des Projekts untersuchen wir eine Vielzahl von Eigenschaften bei Pflanzen und deren Wurzeln, etwa zu wachsen und sich zu bewegen als Reaktion auf äußere Reize, die Fähigkeit der Wurzelspitze, Zellen neu zu bilden, die Bildung von Lateralwurzeln, um beim Durchdringen des Bodens entstehende Reibung und Druck zu minimieren, sensorische Fähigkeiten zur Erkennung verschiedenster physikalischer Zustände und chemischer Konzentrationen in der Umgebung, den Osmoseprozess für schnelle oder langsame Bewegungen der Pflanzen und schließlich die Koordinierung des gesamten Wurzelwachstums der Pflanze, wenn sie auf optimale Ziele trifft. Inwieweit ist die Projektarbeit neu oder innovativ? Pflanzen spielten beim Entwurf und der Entwicklung neuer Technologien bislang kaum eine Rolle - vor allem nicht in der Robotik. Grund war vermutlich die völlig verschiedene Funktionsweise im Vergleich zu Tieren und auch, dass Bewegungen und Eigenschaften nur schwer zu untersuchen sind. So verwundert es nicht, dass Pflanzen als mehr oder weniger passive Organismen galten, die weder kommunizieren noch sich bewegen oder gar vor Umweltstress flüchten können. Die erste Innovation des Projekts ist daher, Pflanzen aus völlig neuer Sicht zu betrachten und deren strukturelle, funktionelle und physiologische Eigenschaften als fantastische neue Inspirationsquelle für die Robotik und IKT-Technologie zu nutzen. Pflanzen haben evolutionäre Strategien entwickelt, um den Energieverbrauch zu senken und Nährstoffquellen vor Ort optimal zu nutzen. PLANTOID ist der erste Roboter, der tatsächlich nach Pflanzenart wächst und Wurzeln ausbildet - wobei pflanzenähnliche Strategien zum Einsatz kommen, um in den Boden einzudringen und mit minimalem Energieaufwand Umgebungsbedingungen zu erkunden. Was hat Sie dazu veranlasst, sich beim Entwurf der Technologie von der Natur inspirieren zu lassen? Mein persönliches Ziel bei der Arbeit mit Biorobotern ist die Erforschung der natürlichen Funktionsweise lebender Organismen, um neue künstliche Systeme und Roboter nach biologischem Vorbild zu entwerfen, zu entwickeln und herzustellen. Zuerst muss natürlich ein entsprechendes biologisches System ausgewählt werden - in diesem Fall Pflanzen - mit den Eigenschaften, die wir gern in einem Roboter sehen würden. Dann werden die grundlegenden Prinzipien dieser biologischen Funktionen entschlüsselt und technologisch umgesetzt. Gleichzeitig forschen wir an biologischen Systemen, die der Wissenschaft als Modelle dienen könnten. Wichtig ist hier vor allem, die Natur nicht nur zu kopieren, sondern gezielt biologische Modelle auszuwählen, deren Funktionsweisen extrahiert und in ein künstliches intelligentes System überführt werden können. Wo lagen die größten Probleme, und wie wurden sie gelöst? Sich durch eine unstrukturierte Umgebung wie den Boden zu bewegen, fordert neue Ideenansätze. Das vorgeschlagene neue Konzept ist ein wurzelähnlicher, wachstumsfähiger Roboter, der den Boden durchdringt und dabei seine eigenen Strukturen mittels Schichttechnik verlängert. Die Schichten des neuen Materials werden gleich neben der Spitze angelagert, um eine Bewegungskraft an der Spitze sowie eine röhrenförmige Hohlstruktur zu generieren, die sich bis zur Bodenoberfläche strecken kann. Durch die Schichttechnik an der Spitze reduziert sich die Reibung fast vollständig, da die Seiten der Röhre sich nicht bewegen müssen und damit den Energieverbrauch beim Eindringen in den Boden minimieren. Welche konkreten Ergebnisse haben die Forschungsarbeiten bisher gebracht? Der erste Prototyp von PLANTOID besteht aus zwei funktionellen Wurzeln, eine für funktionelles Wachstum und Durchdringung des Bodens durch additive Schichttechnik an der Wurzelspitze, die andere für die Generierung der Beugungsbewegung in drei Richtungen. Sie umfasst das sensorische System für Temperatur, Wasser, Schwerkraft und Berührung sowie die Elektronik für die Konditionierung der Sensoren und Ansteuerung. Die beiden Wurzeln sind in einem Stamm zusammengeführt, der eine Hauptplatine mit Mikrocontroller enthält und die Kommunikation gewährleistet. Auf den Zweigen des Stammes befinden sich künstliche Blätter aus Materialien, die auf wechselnde Umweltbedingungen "reagieren" (d.h. Feuchtigkeit und Temperatur). Auf dieser Basis sollen demnächst komplexere Studien zur hierarchischen Struktur von Pflanzenzellwänden stattfinden. Für die Komponenten wurden neue osmotische Aktuatoren entwickelt, die als eigenständige Bauteile dienen können (etwa für die passive Freisetzung von Wirkstoffen) oder für die Beugung der Roboterwurzeln genutzt werden können. Mehrere Sensoren in der Roboterwurzel detektieren Parameter wie Schwerkraft, Temperatur, Berührung, Wasser, Natrium- (Na+) und Kaliumgehalt (K+) sowie pH-Wert, Nitrat- (NO3) und Phosphatkonzentration. Worin liegen die Vorteile bei der Beteiligung an einem solchen EU-Projekt? Europäische Projekte wie PLANTOID bieten Gelegenheit, verschiedene Kompetenzen, Fähigkeiten und vor allem Fachbereiche zusammenzuführen, um komplexe Probleme zu lösen und neue wissenschaftlich-technologische Gemeinschaftsprojekte ins Leben zu rufen. Weiterhin bieten die Projekte Ausbildungsmöglichkeiten für Nachwuchsforscher, die sich für neue Ideen begeistern und im europäischen Kontext forschen wollen. Wie sehen die nächsten Schritte des Projekts oder Forschungsaufgaben aus? Als nächstes sollen die identifizierten Funktionen in eine einzige Roboterwurzel integriert werden, die dann Sensoren, Aktuatoren, Steuerelemente, eine Verlängerungs-/Wachstumszone und einen Biegungsbereich umfasst. Die Roboterwurzeln können in den Boden eindringen und sich dort bewegen, geleitet von Schwerkraft oder der Nähe zu Wasser und chemischen Substanzen. Von technischer Seite her wollen wir ein neues flexibles pflanzeninspiriertes System entwickeln, das wachsen kann, indem es sich durch Anlagerung neuer Schichten verlängert. Hierfür werden neue flexible Sensoren aus weichem Material sowie eine verteilte Steuer- und Roboterarchitektur entwickelt und eingesetzt. Ein interessantes Forschungsthema sind Pflanzenstrukturen, die Energie aus der Umgebung ziehen, um sich zu bewegen oder effiziente Bewegungsstrategien zu entwickeln. Eine andere wichtige Frage ist, ob Pflanzen zu intelligentem Verhalten in der Lage sind. Eine einfache Definition pflanzlicher Intelligenz wäre, wenn Wachstum und Entwicklung adaptiv angepasst werden können. Die adaptiven Fähigkeiten von Pflanzen könnten die Entwicklung intelligenter Systeme befördern - nicht nur für die Erfühlung von Zuständen, sondern die Aufnahme von Reizen und dementsprechende Entscheidungen, um ein Ziel zu erreichen. Anwendungsmöglichkeiten für solche durch Pflanzen inspirierte Technologien wären Bodenüberwachung und Erforschung von Kontaminationen oder Mineralvorkommen - auf der Erde oder sogar auf anderen Planeten. Aber auch medizinische oder chirurgische Anwendungen wären denkbar, etwa flexible Endoskope, die sich vorsichtig in menschlichen Organen bewegen oder "hineinwachsen" können.

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