Wissenschaft im Trend: Wissenschaftler schaffen das kleinste bekannte Genom, das eine lebende Zelle bilden kann
In einem Meilenstein für das biologische Verständnis haben Wissenschaftler am J. Craig Venter Institute of La Jolla, Kalifornien, die Gene des Chromosoms des Bakteriums Mycoplasma so weit reduziert, bis sie den kleinsten Satz erhielten, der für einen lebens- und fortpflanzungsfähigen Organismus benötigt wird. Danach synthetisierten sie die Gene in einem einzigen DNA-Strang neu und „aktivierten“ damit eine genetisch leere Zelle, bis sie wieder zum Leben erwachte. Die synthetisierte Zelle mit dem offiziellen Namen JCVI Syn 3.0 (oder kurz: Syn 3.0) enthält 473 Gene und 531.000 DNA-Basen und ist damit kleiner als das kleinste bekannte natürliche Genom der verwandten Bakterienspezies M genitalium, die über 525 Gene und 600.000 DNA-Basen verfügt. Syn 3.0 ist außerdem in der Lage, alle drei Stunden sein Volumen zu verdoppeln, während M genitalium dafür mehrere Wochen benötigt. Das Forschungsteam bezeichnet die neue Zelle als eine „minimale bakterielle Zelle“. Dabei betonen sie den unbestimmten Artikel, weil die minimale Anzahl von benötigten Genen sowohl von den Umweltbedingungen als auch vom Stoffwechsel des Organismus abhängig ist. Entschlüsselung der Geheimnisse des Lebens Die in der Fachzeitschrift „Science“ veröffentlichte Entdeckung könnte dazu beitragen, eine der wichtigsten Fragen zu beantworten, die die Menschheit seit Jahrtausenden bewegen: Was ist Leben? Genauer gesagt könnte die Schaffung von Syn 3.0 Erkenntnisse zur Entstehung des Lebens in den Ur-Ozeanen vor mehr als drei Milliarden Jahren liefern. Dr. Craig Venter, der das Forscherteam leitete, argumentiert, dass, obwohl das „Schnelllesen“ des DNA-Codes in den letzten 25 Jahren um einen Faktor von Milliarden beschleunigt wurde, keine einzelne Zelle in Bezug auf alle ihre Funktionen erklärt werden kann. Dr. Venter selbst ist ein Pionier der DNA-Forschung und führte eines der beiden wissenschaftlichen Teams, die das menschliche Genom bis Juni 2000 sequenzieren konnten. Im Jahr 2010 gelang es Dr. Venter und seinem langjährigen Mitarbeiter Clyde Hutchison, die erste synthetische Mikrobe aus einem künstlich hergestellten mikrobiellen Chromosom einer Mycoplasma-Spezies zu schaffen, mit dem die leere Zelle einer anderen Mycoplasma-Spezies „reaktiviert“ wurde. Dieser künstliche Organismus wurde offiziell JCVI-Syn-1.0 genannt und war der direkte Vorgänger von Syn 3.0. Kommerzielle Perspektiven Auch der kommerzielle Wert von Syn 3.0 ist bemerkenswert. Seine Schöpfer haben jetzt eine Patentanmeldung für die genetische Information eingereicht und hoffen, den Organismus als Testplattform für weitere biologische Grundlagenforschungen sowie als Ausgangspunkt für die Entwicklung von hochinnovativen und hochpräzisen biochemischen Produkten zu verwenden. „Unsere langfristige Vision war, synthetische Organismen auf Nachfrage zu entwerfen und herzustellen, die dann mit bestimmten Funktionen für ein vorhergesagtes Ergebnis ausgestattet werden können“, sagte Dan Gibson vom Projektpartner Synthetic Genomics. „Wir glauben, auf diese Weise könnten sich diese Zellen für viele industrielle Anwendungen als sehr nützlich erweisen, von der Medizin über die Biochemie bis hin zu Biokraftstoffen, Ernährung und Landwirtschaft.“ Obwohl die Entdeckung als „großer Schritt nach vorn“ beschrieben wurde, wird es einige Zeit dauern, bis das kommerzielle Potenzial von Syn 3.0 voll ausgeschöpft werden kann. Dr. Venter und sein Team konnten lediglich die Funktion von zwei Dritteln der Gene von Syn 3.0 identifizieren, das letzte Drittel bleibt ein Geheimnis. Auch wenn es ein wichtiger Meilenstein ist, so ist die Genetik noch weit davon entfernt, alle Geheimnisse des Lebens aufzudecken.
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