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Interview
Inhalt archiviert am 2024-04-18

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Weg zu einer nachhaltigeren Steuerpolitik

Das EU-finanzierte FairTax-Projekt entwickelt eine umfassende, nachhaltige Reform der Steuerbemessungsgrundlage, die in der Lage ist, die wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und ökologischen Dimensionen der Besteuerung zu bedienen.

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Gegenwärtige Steuersysteme sind alles andere als einfach. Die Globalisierung, Internationalisierung, Mobilität von Menschen und Unternehmen sowie die Errichtung der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion haben die Merkmale der Steuersysteme der EU-Mitgliedstaaten und der von ihnen finanzierten Programme in die Politik eingebracht. Nach Angaben der Professorin an der Universität Umeå und Projektkoordinatorin von FairTax (Revisioning the „Fiscal EU“: Fair, Sustainable, and Coordinated Tax and Social Policies) Åsa Gunnarsson liegt dies zum einen an der Finanzkrise von 2007 und der darauf folgenden Rezessionen, und zum anderen daran, dass die Poltikgestaltung der EU und der Mitgliedstaaten durch steuerliche Maßnahmen verbessert werden kann, die das menschliche Wohlergehen auf nachhaltige Weise maximieren. Das EU-finanzierte FairTax-Projekt ist ein interdisziplinäres Forschungsprojekt, das darauf abzielt, Empfehlungen zu erarbeiten, wie faire und nachhaltige Reformen der Steuer- und Sozialpolitik die wirtschaftliche Stabilität der EU-Mitgliedstaaten erhöhen können. Um mehr darüber zu erfahren, haben wir uns mit Professorin Gunnarsson zusammengesetzt. Was will das FairTax-Projekt erreichen? Unser Team, bestehend aus Forschern von zehn Partneruniversitäten in acht Ländern, betreibt intensive vergleichende, interdisziplinäre Forschung, mit dem Ziel, vier wesentliche Ergebnisse zu erreichen. Zum Beispiel harmonisiert die EU derzeit keine nationale Steuerpolitik für Wachstum oder soziale Gleichheit. FairTax möchte Möglichkeiten zur Erweiterung der gesetzgeberischen Befugnisse und der Steuerungsmechanismen der EU zur Unterstützung der Harmonisierung der Steuer- und Sozialpolitik der Mitgliedstaaten ermitteln. Ebenso suchen unsere Forscher nach Wegen, einige der vorhandenen Hindernisse für die vollständige Anerkennung vertraglicher Verpflichtungen in Bezug auf Umweltprobleme und den schädlichen Steuerwettbewerb zu beseitigen. Daher entwickeln und erproben wir Reformoptionen für die Koordinierung auf Länderebene, um gerechtere und nachhaltigere Steuer- und Sozialpolitiksysteme zu schaffen, die sowohl für die EU-Mitglieder als auch für die EU selbst verbindlich sind. Ein weiterer Schwerpunkt besteht darin, festzustellen, wie viele Mitgliedstaaten Großunternehmen in eine andere Steuerkategorie einordnen als andere Steuerpflichtige. Auf dieser Grundlage hat FairTax die Aufgabe übernommen, Strategien zur Steigerung der Effektivität und Harmonisierung von Steuerverwaltungs- und Compliance-Strukturen innerhalb und außerhalb der EU, einschließlich des Austauschs administrativer Innovationen zwischen den Behörden, zu empfehlen. Nicht zuletzt haben wir auch eine Möglichkeit gefunden, EU-Steuern als eine Lösung für die Finanzierung des EU-Haushalts einzuführen. In diesem Zusammenhang zielt das Projekt darauf ab, Empfehlungen zu formulieren, die dazu beizutragen, dass der EU künftig Einnahmen aus echten eigenen Quellen zufließen. Mit diesen vier Zielen wollen wir klar aufzeigen, wie Steuersysteme aufgebaut und umgesetzt werden müssen, um als gerecht wahrgenommen zu werden. Andernfalls verlieren sie die demokratische Unterstützung und sind nicht nachhaltig. Wie haben politische Entscheidungsträger und andere Interessengruppen darauf reagiert? Die anhaltende Wirkung von FairTax wird an der Tatsache deutlich, dass zwischen dem Projekt und nationalen und europäischen politischen Entscheidungsträgern sowie anderen Interessengruppen wie Steuerbehörden und NRO eine signifikante Interaktion stattfindet. Nehmen wir zum Beispiel den Bereich der Gleichstellung und Besteuerung. In Bezug auf dieses Thema kam es zu einer umfangreichen Interaktion und Zusammenarbeit mit den Finanzministerien der Mitgliedstaaten, dem Europäischen Parlament und den Vereinten Nationen. So wandte sich beispielsweise der Ausschuss für die Rechte der Frau und die Gleichstellung der Geschlechter (FEMM) des Europäischen Parlaments an FairTax als eine tiefgreifende Analyse der Geschlechtergerechtigkeit im Steuerbereich benötigt wurde, um einen Bericht zu diesem Thema zu verfassen. Wo stehen Sie in Bezug auf Ihre Arbeit an einer gemeinsamen (konsolidierten) Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage (GKKB)? Wir haben bereits die Auswirkungen der Annahme einer GKKB in der EU auf die Steuereinnahmen quantifiziert, was zu sichtbaren Ergebnissen führte. Beispielsweise sind unsere Simulationen zu verschiedenen GKKB-Varianten von unmittelbarem Interesse für die laufende Arbeit der Kommission zur Einführung einer gemeinsamen Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage. Neben den europäischen Institutionen haben zudem auch die nationalen Steuerbehörden großes Interesse bekundet, da die Simulationen eine Vorstellung von möglichen Folgen für die Einnahmen geben. Unsere Forscher stehen in engem Kontakt mit dem für die GKKB-Gesetzgebung zuständigen Berichterstatter des Europäischen Parlaments. Darüber hinaus unterstützen sie die tschechische Regierung bei der Festlegung ihrer Position zur GKKB. Danuše Nerudová, die diese Forschungsrichtung leitet, hat unsere Arbeit auf vielen hochrangigen Treffen vorgestellt, unter anderem im Rahmen einer Sitzung der Unabhängigen Kommission für die Reform der internationalen Unternehmensbesteuerung (ICRICT), bei der FairTax die GKKB als möglichen Kandidaten für eine globale Reform der Unternehmensbesteuerung vorschlug. Welcher der vielen Erfolge, die das FairTax-Projekt bereits gefeiert hat, erfüllt Sie am meisten mit Stolz? Der Erfolg des Projekts wäre schlichtweg unmöglich gewesen ohne unser wahrhaft interdisziplinäres Team, dem es gelang, unterschiedliche disziplinäre Perspektiven und Methoden auf die Fragen der Steuergerechtigkeit anzuwenden. Diese Forschungsinfrastruktur funktioniert gut und dient sowohl als gegenseitige Inspiration zwischen den Disziplinen als auch als Grundlage für den offenen Zugang zu unseren Ergebnissen. Dieser Ansatz des offenen Zugangs könnte sehr gut als Vorbild für zukünftige akademisch erfolgreiche Forschungsarbeiten dienen. Das Projekt endet im Februar 2019. Was erhoffen Sie noch zu erreichen, bis es soweit ist? Unser übergeordnetes Ziel ist es, zu einem umfassenderen Verständnis von Steuergerechtigkeit und Nachhaltigkeit beizutragen. Wenn das Projekt zu Ende geht, sehe ich unser Vermächtnis in der Verbindung, die wir zwischen der steuerlichen Nachhaltigkeit und den sich wiederholenden politischen Trends in Bezug auf die Steuergerechtigkeit hergestellt haben. Können Sie genauer erklären, wie diese Verbindung aussieht? Unsere Forschung zeigt, dass Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit bei der Gestaltung eines Steuersystems zwei miteinander verknüpfte Themen darstellen. Zum Beispiel steht die steuerliche Nachhaltigkeit aus wohlfahrtsstaatlicher Perspektive unter einem schweren sozialen Deckmantel, da die Verpflichtungen des sozialen Wohlergehens auf den öffentlichen Haushalt verteilt werden. Dies bedeutet, dass wenn die soziale Gerechtigkeit als Leitprinzip für die Steuerpolitik ausgeschlossen wird, die Einnahmen der öffentlichen Haushalte von den Sozialprogrammen losgelöst werden, die darauf abzielen, eine gerechtere Verteilung der Nachsteuererträge zu erreichen. Ein weiterer Aspekt des Dilemmas ist, dass jeder Wohlfahrtsstaat aus steuerlicher Sicht eine nachhaltige Mischung aus Steuerbemessungsgrundlagen ermitteln muss, um die Legitimitätsanforderungen zu erfüllen, die auf die eine oder andere Weise immer die politischen Aspekte sozialer Gerechtigkeit oder Gleichheit beinhalten. Was ist demnach die Lösung? Eine Politik, die mehr Steuergerechtigkeit anstrebt, kann den Grad der Nachhaltigkeit innerhalb eines Steuersystems verbessern. Denken Sie daran, dass die Besteuerung viele Quellen hat und die gleiche Quelle oft als Steuerbemessungsgrundlage für mehrere Steuern verwendet wird – und jeder umfassende Ansatz für nationale Steuersysteme muss diese Komplexität berücksichtigen. Vor diesem Hintergrund wurde daher in der Vergangenheit eine einseitige Steuerpolitik, die ausschließlich wachstumsorientierte Verordnungen fördert, als effizientester Weg zur Erreichung wirtschaftlicher Nachhaltigkeit angesehen. Unsere Forschung hinterfragt jedoch dieses politische Paradigma. Schließlich kann eine einseitige Steuer für das Wachstumsparadigma am Ende tatsächlich die wirtschaftliche Nachhaltigkeit untergraben. Dies liegt daran, dass eine Korrelation zwischen der Besteuerung zugunsten des Wachstums sowie den Reformen der letzten Jahrzehnte, die von der wirtschaftlichen Effizienz vorangetrieben wurden, und der Zunahme von Einkommensungleichheiten zu bestehen scheint. Das FairTax-Projekt sieht vor, dieses veraltete System durch eine umfassende, nachhaltige Reform der Steuerbemessungsgrundlage zu ersetzen, die sämtliche wirtschaftliche, soziale, kulturelle und ökologische Aspekte der Besteuerung berücksichtigt.

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