Referatsleiter: Förderung verantwortungsbewusster Nanotechnologieforschung kommt Europas Bürgern zugute
Die Rolle der Kommission sei nicht die Förderung der Nanotechnologie per se, sondern der Aufbau von Kenntnissen über die Nanowissenschaft und die Nanotechnologie, um den europäischen Bürgern Hilfe und Unterstützung zu bieten. Die Kommission unternimmt dies durch die Förderung der Forschung sowohl über die Anwendungsmöglichkeiten der Nanotechnologie als auch über ihre möglichen Nebeneffekte, so Renzo Tomellini, Leiter des Referats "Nanowissenschaft und Nanotechnologie" der Europäischen Kommission im Gespräch mit CORDIS-Nachrichten. Der Einsatz von Materialien im "Nanomaßstab" ist nichts Neues. Nanopartikel wurden von den Römern zur Herstellung von Glas und in der Renaissance zur Herstellung von Keramik verwendet. Neu ist jedoch das Verständnis der Nanotechnologie und ihrer Einsatzmöglichkeiten, wenn auch einige ihrer Elemente schon früher genutzt wurden. Diese Entwicklung hatte ein verstärktes Interesse an diesem Thema zur Folge. Tomellini ist der Ansicht, dass eine Zunahme der wissenschaftlichen Erkenntnisse und Kapazitäten wie auch die Zuversicht der Wissenschaftler in Verbindung mit der Einleitung einer öffentlichkeitswirksamen Nanotechnologie-Initiative durch den damaligen US-Präsidenten Bill Clinton zu einer höheren Anerkennung der Nanotechnologie geführt haben. "Nanotechnologie ist in Mode gekommen. Wie bei allen Modethemen gibt es auch hier Erwartungen und Hoffnungen, aber auch manchmal Polemik und Ängste, und inzwischen ist die Nanotechnologie ein wenig zum Musterbeispiel geworden." Das Potenzial der Nanotechnologie wie auch dieses stärkere Interesse spiegelte sich in den Rahmenprogrammen der Kommission wider. Die Förderung von Nanotechnologien begann unter dem Vierten Rahmenprogramm (RP4), das von 1994 bis 1998 lief. Die finanzielle Förderung setzte sich unter dem RP5 fort und wurde beträchtlich erhöht, nachdem "Nanotechnologien und -wissenschaften, wissensbasierte multifunktionale Werkstoffe sowie neue Produktionsverfahren und -anlagen" zu einem vorrangigen Bereich unter dem RP6 geworden waren, der dementsprechend 1,3 Milliarden Euro für zwischen 2003 und 2006 geförderte Projekte zugewiesen bekam. Das gesteigerte Interesse an der Nanotechnologie zeigt sich auch an den Reaktionen, die bei der Kommission auf ihren ersten Aufruf zur Einreichung von Vorschlägen unter dem RP6 eingingen. Auf die gemeinsame Aufforderung für den Bereich "Nanotechnologie und Werkstoffe, neue Produktionsverfahren und anlagen (Vorrangiger Themenbereich 3)" wurden fast 1000 Vorschläge eingereicht. Die für diese Vorschläge erforderlichen finanziellen Mittel betrugen insgesamt 7,5Milliarden Euro. Der Haushalt für diese erste Aufforderung beträgt jedoch nur 400Millionen Euro. Die Vorschläge reichten von der Quantenmechanik bis zu Anwendungen wie Materialwissenschaften und medizinischen Geräten. Die Bewertung der Vorschläge, die die neuen Instrumente nutzen (und die etwa die Hälfte der eingegangenen Vorschläge ausmachen), wird im Juli abgeschlossen sein, während die Bewertung der Vorschläge, die spezifische gezielte Forschungsprojekte beinhalten, seit kurzem beendet ist. Auf einer Konferenz am 11. Juni im Europäischen Parlament kamen viele Bedenken hinsichtlich der Nanotechnologie zur Sprache, was nach Ansicht Tomellinis zeigt, dass ein Bedürfnis nach wissenschaftlich fundierten Daten und Informationen besteht. "Wir haben vor, solche Informationen zu liefern, indem zum einen verantwortungsbewusste Forschungsprojekte unterstützt und zum anderen entsprechende Studien finanziert werden." Tomellini betonte, dass man Rücksicht auf die (wenn auch manchmal unbegründeten) Ängste vor vermeintlichen Risiken nehmen sollte, und betonte, dass die Durchführung solcher Forschungsarbeiten neben der Sorge um die Bürger Europas zusätzlich gerechtfertigt sei. "Wir möchten negative Auswirkungen ausschließen. [...] Man kann nicht, wie dies früher allzu oft der Fall war, produzieren, Waren und Dienstleistungen anbieten, Wohlstand und Arbeitsplätze schaffen, aber gleichzeitig Verschmutzung, Umweltkatastrophen und Gesundheitsprobleme verursachen. Die Bürger mussten die Zeche zahlen - für medizinische Behandlung usw.", so Tomellini. "Wir wollen nicht die Nanotechnologie um ihrer selbst willen fördern [...]. Wir wollen den Menschen helfen, ihnen dienen, ihre Lebensqualität verbessern, die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie steigern, unsere Umwelt erhalten oder verbessern, die europäische Politik unterstützen [...]. Die Nanotechnologie ist ein Werkzeug, ein Ansatz", erklärte Tomellini. "Interessanterweise stellt die Nanotechnologie allem Anschein nach einen höchst wirksamen Ansatz zur Erreichung dieser Ziele dar." Jedes von der Kommission für eine finanzielle Förderung ausgewählte Projekt wird gegebenenfalls auch Aspekte der Sicherheit, der Ethik, der Metrologie und der Bildung enthalten. "Darin liegt der Vorteil integrierter Projekte", erläuterte Tomellini. "Sie integrieren die Forschung mit allem, was die Forschung umgibt, wodurch die Entwicklung einer zukünftigen Technologie und deren Einführung auf den Markt und in die Gesellschaft ermöglicht wird. Aus diesem Grund gab Tomellini seiner persönlichen Überzeugung Ausdruck, dass ein Moratorium über einige "Nano"-Forschungsarbeiten, wie es am 11.Juni von einigen Sprechern gefordert worden war, "unsere positive Dynamik erlahmen, unsere Kenntnisse und unsere Erkenntnis- und Entscheidungsfähigkeit abnehmen und uns kostbare Chancen zur Entwicklung nützlicher Technologien versäumen" ließe. "Wir müssen mehrere Dinge auf einmal tun, simultane Entwicklungsarbeit leisten: Das Wissen über mögliche neue Technologien und die gegebenenfalls damit verbundenen Risiken muss erweitert werden. Ein linearer Ansatz bringt keine Erfolge mehr, nicht einmal in der Industrie. Wir können nicht zuerst Nanopulver studieren, dann sehen, ob sie gefährlich sind, und danach Maßnahmen zur Schadensbegrenzung ergreifen. Das wäre unverantwortlich. Wir können jedoch die Forschung nicht einstellen, bevor wir nicht die Grundprinzipien genau kennen und wissen, welche Materialien, Produkte und Dienstleistungen wir entwickeln können. Wir müssen die Studien simultan und verantwortungsbewusst durchführen", so Tomellini. Tomellini ist der Ansicht, dass Bücher und Zeitschriftenartikel dazu beigetragen haben, Ängste vor der Nanotechnologie zu schüren. Einige haben aus den Eigenschaften der Unsichtbarkeit, Beweglichkeit und der Reproduktions- und Lernfähigkeit hypothetische "Nano-Roboter" konstruiert. "So wie hier dargestellt, sind diese Ängste noch unrealistischer als Science-Fiction und haben so gut wie gar nichts mit Nanotechnologie zu tun", so Tomellini. "Wissen (und Forschung) werden diese unbegründeten Ängste zerstreuen. Außerdem müssen wir zwischen der Wissenschaft und ihren möglichen Anwendungen unterscheiden. Ich sehe beispielsweise kein Problem darin, die optischen Eigenschaften von Brillen, die mechanischen Eigenschaften eines Materials oder die Funktion einer Oberfläche zu verbessern. Laut Tomellini könnten Meldungen über eine militärische Verwendung der Nanotechnologie diese Ängste ausgelöst haben. "Möglicherweise hat die Tragödie vom 11.September der Nanotechnologie das Leben ein wenig schwerer gemacht", sagte er. "Sicherheit wird seither groß geschrieben, und so bemächtigte sich das Militär auch der Nanotechnologie als wirkungsvolles Werkzeug. Die Wissenschaft bemüht sich nach Kräften, neue Erkenntnisse im "Nanobereich" zu gewinnen. Auch wurden Initiativen ins Leben gerufen, die das Bewusstsein für die Nanotechnologie und die Wirklichkeit hinter den Missverständnissen schärfen sollen. Es wurde ein Dokumentarvideo produziert, das den Beteiligten, Museen, Bildungseinrichtungen und Medien in ganz Europa zur Verfügung steht. Ein zweites Video, das als Einführung in die Nanotechnologie für ein eher jugendliches Publikum gedacht ist, soll in Kürze folgen.