Konferenz zielt auf Beseitigung der Hemmnisse für einen europäischen Hirnforschungsraum ab
Die Trennung zwischen Grundlagen- und klinischer Forschung, unzureichende Finanzierung und die Zersplitterung der Ressourcen sind die Haupthemmnisse für die Schaffung eines gut strukturierten Hirnforschungsraums in Europa, hieß es auf einer internationalen Konferenz. Am 18. September kamen insgesamt 250 Vertreter von Hochschulen und Industrie, öffentlichen Verwaltungen, Forschungsfinanzierungsgremien und Patientenorganisationen zusammen, um über diese Hemmnisse zu diskutieren und zu versuchen, einen Konsens über die beste Methode für ein Voranbringen der Hirnforschung in Europa zu erzielen. Forschungskommissar Philippe Busquin, der die Konferenz eröffnete, unterstrich die Notwendigkeit, die Struktur der Hirnforschung in Europa zu überdenken, um dieses komplexe Organ besser untersuchen zu können. "Das Gehirn ist wie 'Neuland', das erobert werden muss", so der Kommissar. "Es ist der Ursprung menschlicher Intelligenz und Kreativität und doch ist so wenig darüber bekannt, wie es arbeitet, und die Öffentlichkeit ist sich ähnlich wenig über den gesundheitlichen Nutzen und die wirtschaftliche Entwicklung, die die Hirnforschung bringen kann, bewusst." Die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Auswirkungen von Hirnerkrankungen geben sicherlich Anlass zu Bedenken, so Jes Olesen, Leiter des European Brain Council (EBC). "Vor einigen Monaten haben wir zusammen mit der Weltgesundheitsorganisation (WHO) dokumentiert, dass die Hirnerkrankungen in Europa 35 Prozent der Last sämtlicher Krankheiten in Europa ausmachen", sagte er gegenüber CORDIS-Nachrichten. Olesen erklärte weiter, dass dringend Maßnahmen gegen diese Last ergriffen werden müssten, angesichts der zunehmenden Alterung der Bevölkerung in Europa, die seiner Meinung nach die Situation nur noch verschlimmern werde. "Wenn man Prognosen für die kommenden 20 Jahre abgibt, so wird sich diese Last um weitere fünf bis zehn Prozent erhöhen", führte Olesen aus. "Die potenziellen Auswirkungen dieser Erkrankungen sind wie eine tickende Bombe unter der gesamten europäischen Wirtschaft." "Die USA und Japan haben in diesen Bereich stark investiert, da sie wissen, dass dies zur Herstellung von gut verkäuflichen Medikamenten und vielen Anwendungen führt", sagte er weiter. "Europa muss auf den rechten Weg zurückfinden und die Mittel dort investieren, wo sie benötigt werden." Die Bereitstellung einer angemessenen Finanzierung sei zwar von entscheidender Bedeutung für die Schaffung einer starken Wissenschaftsgrundlage für die Hirnforschung in Europa, Olesen ist jedoch der Meinung, dass andere Elemente berücksichtigt werden müssen, um besser zu verstehen, warum dieser Wissenschaftsbereich so viele Hemmnisse aufweist. Ein Faktor ist der bloße Umfang des Bereichs. Hirnforschung ist von Natur aus multidisziplinär. Sie reicht von der Entwicklung von Grundlagenwissen in Bereichen wie molekulare und zellulare Neurowissenschaft, Entwicklungsneurobiologie, Neurogenetik, sensorische Physiologie, Ethnologie und kognitive Neurowissenschaften bis hin zu vorklinischer und klinischer Forschung zu neurologischen und psychiatrischen Störungen und Krankheiten wie Alzheimer und Parkinson. "Der multidisziplinäre Charakter der Hirnforschung hat zu vielen Hemmnissen geführt, die heute eine Herausforderung für die Zukunft der Hirnforschung darstellen", so Olesen. "Die Beteiligten haben sich in der Vergangenheit geweigert, zusammenzuarbeiten und konkurrierten häufig um Finanzierungsmittel. Dies hat dazu geführt, dass sie sich mit gegenseitigem Misstrauen begegnet sind. "Um die Hemmnisse zwischen den verschiedenen Bereichen der Hirnforschung zu beseitigen und die Beteiligten zum Gespräch miteinander sowie zur Zusammenarbeit zu bewegen müssen wir die Anwendung einer Vielzahl von Maßnahmen ins Auge fassen", so Olesen, der darauf hinwies, dass die Kommission mit ihrer Forderung nach der Schaffung eines Europäischen Forschungsraums (EFR) dazu beigetragen hat, den Prozess in Gang zu bringen. "Der europäische Kommissar hat einen sehr wichtigen politischen Schritt getan und steckt den Rahmen ab, indem er dies zu einem Bestandteil des EFR erklärt", so Olesen gegenüber CORDIS-Nachrichten. "Es liegt jetzt an den Hirnforschern, einen Teil der Verantwortung zu übernehmen und diese Richtung weiterzuverfolgen." Olesen stimmte zu, dass das Sechste Rahmenprogramm (RP6) eine entscheidende Rolle dabei spiele, Wissenschaftler dabei zu unterstützen zusammenzukommen, um die in diesem Bereich erforderliche kritische Masse zu schaffen. Die Kommission verhandelt derzeit über neue Projekte im Bereich Neurowissenschaft, die im Jahr 2004 mit einem Budget von insgesamt etwa 45 Millionen Euro starten sollen. "Wir beabsichtigen mit dem RP6 die richtigen Instrumente zur Verfügung zu stellen, um eine lebensfähige Struktur für die Hirnforschung zu schaffen", erläuterte Octavi Quintana Trias, Leiter des Bereichs Biowissenschaften bei der GD Forschung der Kommission. Er sagte gegenüber CORDIS-Nachrichten, dass der Schwerpunkt nicht auf der Finanzierung und Erhöhung des Wissens, sondern auf dessen Strukturierung liege. Zu diesem Zweck werden drei Instrumente eingesetzt: Integrierte Projekte, Exzellenznetze und Artikel 169. "Das Ziel hier ist die Abstimmung des öffentlichen und des privaten Bereichs, von Grundlagenforschung und angewandter Forschung sowie die Abstimmung von Programmen verschiedener Länder", erläuterte Quintana Trias. "Die RP6-Instrumente werden sich sicherlich positiv auf die Schaffung von Netzen und die Erleichterung der Zusammenarbeit auswirken, aber das reicht nicht aus", so Olesen. Der European Brain Council schlägt ein separates Programm zur Hirnforschung innerhalb des nächsten Europäischen Forschungsrahmenprogramms vor. "Dies ist offensichtlich ein sehr großes Ziel, aber ich weiß nicht, warum wir es nicht erreichen sollten", sagte er. Olesen unterstrich, dass seine Organisation darauf abziele, eng mit der Europäischen Kommission zusammenzuarbeiten, um ihren Vorschlag voranzubringen. "Es wäre eine gute Idee, eine Task Force einzurichten, die unseren Vorschlag genauer betrachten und ein Weißbuch erstellen könnte." Quintana Trias sagte jedoch, dass, bevor ein derartiger Vorschlag in Erwägung gezogen werde, eine engere Partnerschaft zwischen den wichtigsten europäischen Organisationen im Bereich Neurowissenschaften, nämlich dem EBC und der Federation of all European Neuroscience Societies (FENs), aufgebaut werden müsse. "Ich denke, dass ein Hauptziel in der Zusammenarbeit bestehen wird, sodass es eine einheitliche Stimme für diese Art von Forschung gibt", so Quintana Trias. "Dies zu erreichen würde es leichter machen, die Themen und die Art der Forschung zu identifizieren, die auf europäischer Ebene finanziert werden muss." Diskussionen über die Möglichkeit einer Partnerschaft sind bereits zwischen dem EBC und der FENs im Gange. "In der Zwischenzeit werden wir alles in unserer Macht stehende tun, um das RP6 zu einem Erfolg zu machen, und sicherzustellen, dass es möglichst positive Auswirkungen auf die Hirnforschung in Europa hat", so Olesen.