"Integrierte Pilotprojekte" signalisieren Neuorientierung der europäischen Forschungslandschaft
Ende 2002 leitete die Kommission drei umfangreiche Integrierte Pilotprojekte auf dem Gebiet der Genomforschung im Dienste der Gesundheit ein. Nach einer Laufzeit von einem Jahr bieten die Erfahrungen und Leistungen dieser Initiativen Aufschlüsse darüber, welche Auswirkungen die neuen Instrumente des Sechsten Rahmenprogramms (RP6) auf die europäische Forschung haben werden. Die drei Projekte, die unter dem spezifischen Programm "Lebensqualität" des RP5 eingerichtet wurden, waren zwar nicht angelegt worden, um die Wirksamkeit der neuen Instrumente des RP6 zu prüfen, aber ihr Umfang, ihre Ziele und ihre Arbeitsmethoden sind sehr ähnlich wie Schlüsselbestandteile der neuen Exzellenznetze und Integrierten Projekte. Um die erforderliche kritische Masse von Fachwissen zustande zu bringen, wird jedes der Projekte mindestens 150 Forscherjahre einsetzen. Alle Projekte umfassen Cluster aus bahnbrechenden Forschungsprojekten, Koordinationsprojekte zur Förderung der Synergie zwischen nationalen Programmen und Gaststipendien, die jungen Forschern die Möglichkeit geben, sich bei Partnern aus Lehre und Industrie weiterzubilden. CORDIS-Nachrichten sprach mit Dr. Manuel Hallen, Referatsleiter für genomische Grundlagenforschung bei der Kommission, und den wissenschaftlichen Referenten, die innerhalb der Kommission für die Koordinierung der drei Projekte zuständig sind, über den derzeitigen Stand der Projekte. "Zwar handelt es sich für alle Beteiligten um Neuland, aber die Ergebnisse sind bereits nach einem Jahr beeindruckend", sagte Dr. Hallen. "Der Grad an Vernetzung und die Zahl der durchgeführten Treffen sind für jeden von uns etwas völlig Neues." Ein hohes Maß an Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Partnern ist durchaus angebracht, wenn man bedenkt, dass alleine am Projekt EUMORPHIA 22 verschiedene Teams aus acht Ländern beteiligt sind. Das Ziel dieser mit 12,3 Millionen Euro ausgestatteten Maßnahme ist es, die besten Forschergruppen auf dem Gebiet der Mausgenetik in Europa zusammenzubringen, um Standardprotokolle für die Phänotypisierung von Mäusen in ihrer Gesamtheit zu entwickeln. "Die Maus ist das am häufigsten verwendete Modell zum Studium genetisch bedingter Störungen beim Menschen", erläuterte Dr. Jacques Remacle, wissenschaftlicher Referent für EUMORPHIA. "Für diesen Bereich der Genetik ist es überaus wichtig, dass auf europäischer Ebene Phänotypisierungs-Standards festgelegt werden. Dies wird nicht nur Doppelarbeit vermeiden, sondern auch Fachleuten in verschiedenen Labors oder Ländern Zugriff auf wertvolle Vergleichsdaten bieten." Nach mehreren Treffen und Diskussionen im Verlauf der letzten zwölf Monate ist das Konsortium nun in der Lage, bis April 2004 vorläufige Phänotypisierungs-Standard-Betriebsprotokolle vorzulegen. Eine weitere Aufgabe des Projekts ist die Entwicklung einer neuen Computeranwendung für das Sammeln und die Verbreitung von Phänotypdaten. Das mit 13,7 Millionen Euro geförderte Integrierte Projekt GENOMEUTWIN verfolge ein etwas anderes Ziel, da die Epidemiologieforschung vergleichsweise weiter sei, so der wissenschaftliche Referent Dr. Bernard Mulligan. "Die Epidemiologie befindet sich in Europa bereits auf einem hohen Stand, allerdings haben die verschiedenen Länder ihre Kapazitäten unabhängig voneinander aufgebaut." Wie Dr. Mulligan im Gespräch mit CORDIS-Nachrichten sagte, stellen Register, die Angaben zu den genetischen Daten und der Lebensart bestimmter Bevölkerungsgruppen - insbesondere von Zwillingen - enthalten, wertvolle Hilfsmittel zur Untersuchung der Auslöser menschlicher Krankheiten dar. "All diese Angaben liegen im Moment noch in mehreren Datenbanken in verschiedenen Ländern. Unser Ziel ist es daher, diese Daten in einem eigens angelegten europäischen System zusammenzufassen." Das Projekt liefert immer mehr interessante Ergebnisse zu "Modell"-Eigenschaften wie z.B. Körpergröße und Blutdruck, aber Durchbrüche bei komplexen Erkrankungen lassen noch auf sich warten. Ein weiteres Ziel des Projekts ist die Verbreitung der Ergebnisse über die Mitglieder des Konsortiums und sogar über die Grenzen der EU hinaus. Ähnliche Register aus Ländern wie etwa Australien haben bereits ihr Interesse an einer Teilnahme an diesem Projekt angemeldet. Das dritte Integrierte Projekt, SPINE, beschäftigt sich mit der Genomik auf molekularer Ebene. Im Zentrum des Projekts steht die Entwicklung neuartiger Hochleistungstechniken zur Bestimmung der dreidimensionalen Struktur der Proteine von Menschen, Bakterien und Viren, die Einblicke in biomolekulare Mechanismen mit Bedeutung für die menschliche Gesundheit gewähren und möglicherweise Targets für die Entwicklung neuer Arzneimittel liefern. "SPINE ist das erste grenzüberschreitende Projekt im Bereich der strukturellen Genomik in Europa", so die wissenschaftliche Referentin Dr. Josefina Enfedaque. Die 20 Partner, die am Projekt beteiligt sind, sind über eine gemeinsame Datenbank vernetzt, sodass der Fortschritt der Arbeiten über verschiedene Proteine in Echtzeit verfolgt und die Nutzer über Durchbrüche in Bereichen, die sie interessieren, informiert werden können. "Das Projekt SPINE hat nicht nur eine neuartige automatische Kristallisationstechnik hervorgebracht, die die Charakterisierung der Proteinstruktur beschleunigt, sondern hat auch die erste Struktur eines Proteins des SARS-Virus bestimmt, was zur Bestimmung von Targets für die Entwicklung von Medikamenten beitrug", sagte Dr. Enfedaque abschließend. Die Möglichkeit, den Schwerpunkt eines von der EU finanzierten Projekts während seiner Laufzeit zu wechseln, wie dies bei der Arbeit des Projekts SPINE über das SARS-Virus der Fall gewesen war, stellt für Dr. Hallen einen wichtigen Durchbruch dar. "Für Wissenschaftler, die für von der EU geförderte Maßnahmen tätig sind, ist es eine neue Erfahrung, wenn sie ihren Instinkten folgen können", sagte er. Auf die Frage, welche Lehren er und seine Kollegen in Bezug auf die neuen Instrumente des RP6 gezogen hätten, verwies Dr. Hallen auf die Einbeziehung der wissenschaftlichen Beiräte, die den Fortschritt der Projekte verfolgen. "Die Beiräte setzen sich aus führenden Experten aus ganz Europa und dem Rest der Welt zusammen, die mit dem Projekt selbst nicht in Verbindung stehen und daher keine persönlichen Interessen verfolgen. Wenn es notwendig ist, können sie unmittelbar Kritik äußern oder Empfehlungen abgeben, wobei das Konsortium verpflichtet ist, darauf einzugehen." Das Bottom-up-Verfahren der Konsultation der Wissenschaftsgemeinschaft, die der Auswahl der Projekte vorausging, sei auch ein wertvoller Lernprozess gewesen, so Dr. Hallen. Es habe nicht nur einen Überblick über die Spitzenforschung im Bereich Genomik in Europa gegeben und viele Ideen für ähnliche Großinitiativen hervorgebracht, sondern bot dem Team darüber hinaus einen wertvollen Beitrag zur Ausarbeitung der Interessenbekundungen, die als Leitfaden für die erste Runde der Aufforderungen zur Vorschlagseinreichung unter dem RP6 genutzt wurde, sagte er abschließend.