Europäische Wissenschaftler stellen neuartiges Konzept für Polarforschung vor
Europa müsse seine Führungsposition in der Polarforschung behaupten und die Herausforderung annehmen, als erster Staatenbund das Polarmeer zu erobern, so die Aussage des European Polar Board. Die Organisation hat einen Vorschlag für den Bau eines europäischen Flagschiffs für die Polarforschung namens AURORA BOREALIS vorgelegt. Obwohl das Polarmeer für den Klimawandel in der nördlichen Hemisphäre eine entscheidende Rolle spielt, ist es noch weitgehend unerforscht, denn bislang konnte noch kein Forschungsschiff bis ins Zentrum dieses Subbeckens vordringen. Der Mangel an aussagekräftigen Daten stelle eine der größten Lücken der modernen Geowissenschaften dar, erklärte das European Polar Board, das den Bau eines speziellen hochmodernen europäischen Eisbrechers mit Tiefbohrungskapazitäten befürwortet. Die AURORA BOREALIS wäre das erste wirkliche Forschungsschiff in diesem Bereich. Es soll die Datensammlung und Probebohrungen zu Zeiten ermöglichen, in denen die Arktis noch nie besucht wurde (vor allem im Spätherbst, Winter und Vorfrühling), und den europäischen Nationen ihre Führungsrolle in der Polarforschung sichern. "Die europäischen Nationen haben ein besonderes Interesse daran, die Umweltbedingungen in der Arktis und die besondere Sensitivität der dortigen Umwelt für Veränderungen zu verstehen", erklärte Professor Dr. Jörn Thiede, Vorsitzender des internationalen wissenschaftlichen Planungsausschusses für die AURORA BOREALIS. "Die hochindustrialisierten Nationen dehnen sich immer weiter in die nördlichen Breiten aus. Außerdem unterliegt Europa dem stetigen Einfluss der Arktis und befindet sich im stetigen Austausch mit dieser." Zwei Teams deutscher und finnischer Wissenschaftler haben ein Konzept für den Bau des Forschungsschiffes vorgelegt, das die Polarforschung in der Arktis revolutionieren würde. Das Schiff soll ganzjährig für Expeditionen geeignet sein. Als bislang modernste Forschungsplattform könnten mithilfe ausgedehnter, internationaler und interdisziplinärer Expeditionen ins Zentrum des Polarmeers große wissenschaftliche Herausforderungen bewältigt werden. "Die entscheidende Rolle, die die Arktis im Hinblick auf die Steuerung und Beeinflussung des globalen Klimas spielt, bedarf in all ihren Aspekten einer eingehenden Aufklärung", so die Aussage des European Polar Board. "Dies ist unerlässlich, um künftige Umweltveränderungen vorhersagen und Strategien entwickeln zu können, die die Nationen zum Schutz des Geosystems ergreifen müssen." Nach Aussage von Professor Thiede stellen Bohrungen und die Untersuchung von Bohrproben im arktischen Becken eine der größten wissenschaftlichen und technologischen Herausforderungen dieses Jahrzehnts dar, bei der Europa eine Schlüsselrolle spielen muss und wird. Um in das tiefe, dauerhaft mit Eis bedeckte Polarmeer vorstoßen zu können, benötige Europa eine neue Forschungsplattform, die als gemeinsame europäische Infrastruktureinheit geplant werden solle, so das European Polar Board. Das AURORA BOREALIS-Projekt werde rund 250 Millionen Euro kosten und müsse von einer Kerngruppe europäischer Staaten mit entsprechendem Forschungsinteresse getragen werden. Tatsächlich verfüge kein Einzelstaat über eine Wissenschaftsgemeinschaft, die groß genug wäre, um das Schiff effizient zu nutzen. Für den effizienten Einsatz des Eisbrechers sei daher die Einrichtung eines Konsortiums aus europäischen Ländern und nationalen Polarforschungsinstituten vonnöten, um eine qualitativ hochwertige Forschungsarbeit und eine ganzjährig effiziente Nutzung des Forschungsschiffs zu gewährleisten. Neben der Grundlagenforschung soll die AURORA BOREALIS auch die Möglichkeit bieten, nach fossilem Kohlenwasserstoff zu suchen. "Europa würde einen Vorsprung bei der Planung, Konstruktion und Nutzung großer Eisbrecher in der Arktis erhalten, die sich mehr und mehr als eine der wichtigsten Regionen der nördlichen Hemisphäre erweist", erläuterte Professor Thiede. Wenn sich die Anzeichen dafür, dass sich das Polarmeer in 50 Jahren in ein "blaues" Meer verwandelt haben wird, als zutreffend erweisen sollten, so Professor Thiede weiter, "könnte dies zu einer Öffnung der Seepassagen in den Norden des nordamerikanischen Kontinents und Eurasiens führen. Dieses Projekt würde damit den Zugang zu neuen Bereichen der Arktis öffnen und von erheblichem geschäftlichem Interesse sein." Die deutsche Regierung hat das Projekt bereits als wichtiges Vorhaben bezeichnet, allerdings noch keine finanzielle Zusagen gemacht. Das European Polar Board hofft, eine Kerngruppe von fünf bis acht Nationen sowie die Europäische Kommission als Geldgeber für das Projekt gewinnen zu können. Außereuropäische Staaten mit einem Interesse an der Region wie die USA, Kanada und die Russische Föderation haben ebenfalls ihr Interesse an einer Partnerschaft oder Beteiligung bekundet.