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Inhalt archiviert am 2023-03-01

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BITE-Projekt stößt europäische Debatte über Ethik der Biometrie an

Die Biometrie-Technologie wird zunehmend als Mittel zur Bekämpfung von Betrugs- und Diebstahldelikten diskutiert. In verschiedenen Ländern drehen sich schon nationale Debatten um die Frage, wie wünschenswert diese Technologie ist. Eine breiter gefasste Untersuchung ihrer Impli...

Die Biometrie-Technologie wird zunehmend als Mittel zur Bekämpfung von Betrugs- und Diebstahldelikten diskutiert. In verschiedenen Ländern drehen sich schon nationale Debatten um die Frage, wie wünschenswert diese Technologie ist. Eine breiter gefasste Untersuchung ihrer Implikationen, die alle potenziellen Beteiligten umfasst, steht jedoch noch aus. Diese Lücke soll durch das BITE-Projekt geschlossen werden. BITE (Biometric Identification Technology Ethics - Ethik der biometrischen Identifikationstechnologie), gefördert aus Mitteln des Bereichs "Wissenschaft und Gesellschaft" des Sechsten Rahmenprogramms (RP6), bringt neun Partner aus unterschiedlichen Disziplinen zusammen. Die Partner sollen sowohl der Industrie als auch der Wissenschaft helfen, sich den ethischen Fragen, die die Biometrie aufwirft, zu stellen und eine öffentliche Debatte über ihre möglichen Folgen anstoßen. Die Biometrie identifiziert eine Person anhand von physischen oder Verhaltensdaten. Diese Daten können vom Fingerabdruck über Iris-Scans bis zur DNA reichen. Die wahrscheinlichste Anwendung der Technologie ist die Verifizierung der Identität einer Person. Dabei werden aktuell ermittelte Informationen über die Person mit den in einer Datenbank gespeicherten Informationen abgeglichen. Die Befürworter der Biometrie argumentieren, dass sie ein großer Schritt in Richtung Sicherheit sei - besonders wichtig in Zeiten, in denen der globale Terrorismus eine reale Gefahr in zahllosen Ländern weltweit ist. Entsprechend gelten Flughäfen und Grenzkontrollposten als erste potenzielle Anwender dieser Technologie. Auf einer eher individuellen Ebene könnte die Biometrie bei der Diebstahlprävention eingesetzt werden, zum Beispiel zur Verifizierung der Identität vor der Ausgabe von Bargeld oder beim Zugang zu Gebäuden oder Fahrzeugen. Aber die Sammlung und Speicherung solcher persönlichen Daten wirft immense ethische Fragen auf, wie Professor Emilio Mordini, BITE-Koordinator, gegenüber CORDIS-Nachrichten erläuterte. Diese Probleme sind sehr unterschiedlicher Natur: Menschen, für die es schwieriger ist, ihre Identität nachzuweisen, zum Beispiel Immigranten, könnten unter einem solchen System ungerechtfertigterweise zur Zielscheibe werden, Behinderte, die sich den biometrischen Tests nicht unterziehen können, könnten stigmatisiert werden, und persönliche medizinische Daten könnten verfügbar werden. In der Praxis unterscheiden sich die Datenschutzgesetze von Land zu Land, was sich auf die gemeinsame Nutzung von Daten und auf die Verbindung von Datenbanken auswirkt. "Wir müssen die schwächeren Gruppen schützen, die wahrscheinlich ins Fadenkreuz der Biometrie-Technologie geraten. Ihre Identität ist weniger klar definiert und schwieriger nachzuweisen, da sie unter Umständen keine Papiere haben. Das darf aber nicht bedeuten, dass ihre Privatsphäre weniger gut geschützt ist", erklärte Professor Mordini. Darüber hinaus muss unbedingt für die Minderheit eine Lösung gefunden werden, die sich biometrischen Tests nicht unterziehen kann. Die Tatsache, dass jemand blind oder kleinwüchsig ist oder nur eine Hand hat, kann kein Grund zur Zutrittsverweigerung sein. "Diese Technologie wird schon bald zum Einsatz kommen, und wir müssen diese Fragen unverzüglich angehen", mahnte Professor Mordini. Seiner Ansicht nach ist der Zugriff auf medizinische Biometrie-Daten das heikelste Thema in der Debatte um diese Technologie. "Derzeit ist diese Gefahr noch nicht wirklich groß, aber sie kann es jeden Moment werden", sagt er. So könnten die Daten zeigen, ob jemand an einer bestimmten Krankheit leidet, Drogen konsumiert hat oder schwanger ist. Was die DNA betrifft, so betonen die Wissenschaftler, dass sie nur bekannte Codierungen analysieren würden - keine genetischen Informationen. Professor Mordini ist zwar sicher, dass die Wissenschaftler nicht absichtlich medizinische Daten sammeln, aber die Frage, wie diese Daten später genutzt werden können, ist damit noch nicht beantwortet. Das ist eine Sache des Vertrauens. Seit Aufnahme seiner Arbeit im Oktober 2004 hat das BITE-Konsortium bereits zwei Experten-Treffen zu verschiedenen ethischen Überlegungen im Zusammenhang mit Biometrie veranstaltet. Drei weitere Treffen sind geplant und eine öffentliche Anhörung wird im Juni 2006 gestartet. Die Treffen haben bereits gezeigt, dass die Beteiligten durchaus unterschiedliche Standpunkte vertreten. So konnten sich die Teilnehmer bei einem Meeting nicht darüber einigen, welches Risiko die Biometrie für die Privatsphäre darstellt. "Manche Ingenieure haben argumentiert, dass andere Technologien invasiver sind. Aber wir Ethiker haben da unsere Zweifel", sagte Professor Mordini. Andererseits waren sich bei einem Treffen über die Verwendung von DNA und Genetik als Identifikationsmittel die Teilnehmer einig, dass solche Techniken, auch wenn sie in der Forensik schon eingesetzt werden, bei einer breiteren Anwendung neue Probleme mit sich bringen werden. Eines der größten Probleme wird wahrscheinlich die Furcht vor dem Überwachungsstaat sein, etwa so, wie er in dem Film "Minority Report" dargestellt wurde. "Tatsächlich wird das nicht heute oder morgen passieren, aber in 15 Jahren könnte die DNA ein biometrischer Identifikator sein", erläuterte Professor Mordini. Bei den kommenden Treffen werden Vertreter von Migranten-Organisationen gehört. Außerdem sollen Industriefragen und zukünftige Technologien angesprochen werden. Über die Fragen von Vertrauen und Datenmissbrauch hinaus wies Professor Mordini auf weitere Konsequenzen hin, die zwar weniger konkret vorhersehbar sind, aber dennoch angesprochen werden müssen. So könnte die Zuverlässigkeit biometrischer Daten durchaus von der Quelle abhängig sein, die sie generiert. Man stelle sich eine biometrische Kennkarte vor, die von einem verbrecherischen Regime erstellt wird. Auch wenn die biometrischen Daten korrekt sind, so könnte der Karteninhaber dennoch gefährlich sein. In Malaysia hatte die Einführung von Biometrie-Technologie zur Verhinderung von Autodiebstählen ein unerwartetes Ergebnis. Der Zugang zum Wagen wurde nur freigegeben, wenn der Besitzer seinen Fingerabdruck auf dem Auto hinterließ. Nur so konnte er das Schloss entriegeln und den Wagen starten - was dazu führte, dass die Diebe den Besitzern einen Finger abschnitten, um an die Autos zu gelangen. "Diese Technologie kann man als schlechte Technologie betrachten. Wir müssen die Gefühle und die Sorgen ernst nehmen", sagte Professor Mordini. Der BITE-Koordinator ist davon überzeugt, dass der öffentliche Sektor in der Biometrie-Debatte eine zentrale Rolle spielt, insbesondere bei der Vertrauensbildung. Keine einfache Aufgabe: "Auch wenn man dem öffentlichen Sektor mehr vertraut als dem privaten, so werden die Menschen doch sofort misstrauisch, sobald es um Sicherheitsfragen geht." Dennoch erwartet Professor Mordini, dass der öffentliche Sektor Vorreiter bei der Einführung der Biometrie-Technologie sein wird. Der kommerzielle Bereich werde dann schon folgen. Auf die Frage, ob er einem kürzlich veröffentlichten Bericht der Gemeinsamen Forschungsstelle (GFS) der Europäischen Kommission zustimme, in dem es hieß, die Einführung der Biometrie sei sowohl "unvermeidlich als auch notwendig", antwortete Professor Mordini, unvermeidlich sei sie schon, aber ob sie notwendig sei, das sei durchaus fraglich. "Aus der Industrieperspektive ist sie notwendig, aus der Sicherheitsperspektive nicht", meinte er gegenüber CORDIS-Nachrichten. Das BITE-Projekt markiert nur den Beginn der Biometrie-Debatte. Wenn das Projekt beendet ist, so hoffen Professor Mordini und sein Team, haben sie "den Kern eines künftigen und weiteren Netzwerks geschaffen, eine Bestandsaufnahme der aktuellen Themen erstellt und die zukünftigen Fragen in ein klareres Licht gerückt".