Schröder spricht sich für Stammzellenforschung aus und Oppositionspolitiker mahnen zur Vorsicht
Am selben Tag, als deutsche Politiker sich in Brüssel gegen die Förderung der embryonalen Stammzellenforschung mit EU-Mitteln aussprachen, sprach Bundeskanzler Gerhard Schröder von der "Pflicht", diese Forschung zu nutzen. In einer Rede anlässlich der Verleihung der Ehrendoktorwürde der Universität Göttingen, an der er selbst studiert hat, äußerte Schröder den Wunsch, einige der Barrieren für die Stammzellenforschung in Deutschland zu beseitigen. "Wir dürfen uns in der Bio- und Gentechnik nicht vom Fortschritt in der internationalen Forschung abkoppeln", so der Kanzler. "Dann wären wir von der Mitsprache über die Nutzung und Kontrolle der Verfahren ausgeschlossen. Die Forschung indes würde andernorts weitergehen. Und womöglich in einer Art und Weise vorangetrieben, bei der ethische Überlegungen praktisch gar keine Berücksichtigung finden." Schröder appellierte weiter, dass Deutschland den Anschluss nicht verpassen dürfe, und bezog sich dabei auf die Informationstechnologie. "Was wurde damals mit dem Zaudern, als sich längst abzeichnete, dass sich diese Entwicklung durchsetzt, denn erreicht? Die besten Köpfe wanderten ab, wesentliche Fortschritte wurden anderswo erzielt, wirtschaftliche Potenziale anderswo entwickelt. Diese Entwicklung konnten wir erst in den vergangenen Jahren stoppen und sogar umkehren." Der Europaabgeordnete Peter Liese von der CDU, der wichtigsten deutschen Oppositionspartei, bezeichnete im Europäischen Parlament die Rede des Kanzlers als "Ablenkungsmanöver". Die Meinung des Kanzlers würde keine große Unterstützung finden, selbst in seiner eigenen Partei, der SPD, nicht, fügte Liese hinzu. Die bayrische Gesundheitsstaatssekretärin Emilia Müller nannte Schröders Rede "oberflächlich". Sie selbst rief zu Einschränkungen der EU-Förderung in diesem Bereich auf. "Es darf nicht sein, dass EU-Forschungsmittel, die auch deutsche Steuergelder umfassen, dafür eingesetzt werden, Maßnahmen und Projekte zu unterstützen, die in Deutschland gesetzlich verboten sind. Wir brauchen klare Spielregeln für die EU-Förderung", meinte sie. "Mit vagen Versprechen auf zukünftige Heilungschancen wird immer wieder versucht, die Tötung menschlicher Embryonen für die Gewinnung von Stammzellen zu rechtfertigen. Aber auch das ungeborene menschliche Leben hat Anspruch auf Schutz und Menschenwürde und darf unter keinen Umständen zum bloßen Ersatzteillager oder Forschungsobjekt degradiert werden", so Müller. Die Staatssekretärin rief zur weiteren Erforschung des Potenzials adulter Stammzellen auf. Schröder ging in seiner Rede auch auf den Widerstand gegen die embryonale Stammzellenforschung ein. "Gefahren und Ängste auf der einen, Chancen und Hoffnungen auf der anderen Seite: wohl selten liegen beide Pole so nah beieinander wie bei der Gentechnik", meinte er. Der Kanzler erklärte, er wisse um die Ängste und Bedenken und deren Ursachen, aber man dürfe sich den Chancen nicht verschließen, nur weil es auch mögliche Risiken gibt. "Solange das große medizinische Potenzial der Stammzellenforschung nicht ausgelotet ist [...] solange die Chance besteht, Leiden lindern und heute noch unheilbare Krankheiten bekämpfen zu können, haben wir die Pflicht, diese Forschung zu nutzen. Wir müssen der Chance eine Chance geben." Der Kanzler rief auch dazu auf, die Verunglimpfung von Wissenschaftlern zu beenden, die sich für die Forschung an embryonalen Stammzellen ausgesprochen haben, und erinnerte seine Zuhörer daran, dass die Freiheit der Wissenschaft aus gutem Grund geschützt sei. "Und ich finde es anmaßend, die Motive dieser Biologen und Mediziner in Zweifel zu ziehen. Sie stellen ihre Forschungen in den Dienst ihrer Mitmenschen. Sie wollen anderen helfen und Krankheiten heilen. Kann es überhaupt eine großartigere Aufgabe geben?" Schröder schloss seine Rede mit einer persönlichen Verpflichtung: "Ich will mich weiter für eine Kultur der Wissenschaft im Sinne von Verständnis und Verständigung einsetzen. Und ich will erreichen, dass wir bei neuen Technologien die Chancen, die sich ergeben, verantwortungsvoll nutzen. Und zwar nicht, weil ich glaube, dass alles, was gemacht werden kann, auch gemacht werden muss. Sondern damit alles, was gemacht werden muss, auch gemacht werden kann."
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