Prominenter steigt in Debatte über Tierversuche ein
Der Genetiker Lord Robert Winston, aufgrund seiner Arbeit bei der BBC ein vertrautes Gesicht im VK, ist in die Debatte über Tierversuche eingestiegen, die kürzlich beträchtlich an Dynamik gewonnen hat, indem er sich nachdrücklich für Tierversuche einsetzt. Ein Artikel von Lord Winston wurde am 31. Mai in der Zeitung "The Guardian" veröffentlicht. Obwohl hochkarätige Persönlichkeiten wie der britische Premierminister Tony Blair bereits eine Petition für Tierversuche unterzeichnet haben, ist Lord Winston die erste Person, die sich einmischt, die sowohl in der Öffentlichkeit angesehen ist als auch akademischen Einfluss hat. Die EU verhandelt außerdem ihre Gesetzgebung über die Behandlung von Versuchstieren neu und führt derzeit eine Konsultation zu dem Thema durch. Die Debatte über Tierversuche dauert im VK seit vielen Jahren an, wobei die Lobby der Tierversuchsgegner bei vielen Auseinandersetzungen als Sieger hervorgeht - das VK hat beispielsweise die strengsten Tierversuchsgesetze weltweit. Einige Extremisten der Gegnerlobby haben der Glaubwürdigkeit der Bewegung durch profiliersüchtige, manchmal unsoziale und gelegentlich kriminelle Taktiken jedoch ernsthaft geschadet. Anfang dieses Monats wurden drei britische Demonstranten für zwölf Jahre und ein weiterer für vier Jahre inhaftiert, weil sie an einer Terrorkampagne gegen eine Familie beteiligt waren, die Meerschweinchen für die Verwendung in Tierversuchen züchtete. Mit dem harten Urteil wurde auf die Brutalität der Angriffe reagiert - eine sechs Jahre andauernde Kampagne mit Morddrohungen und Sachbeschädigung, die darin gipfelte, dass die Gruppe den Körper eines toten Familienmitglieds ausgrub und die Familie damit erpresste. Der Fall war so schockierend, dass er unerwartete und kontraproduktive Konsequenzen gehabt zu haben scheint. In seinem Artikel in "The Guardian" erklärt Lord Winston: "Wie peinlich, dass ein 16-jähriger Junge das medizinische und wissenschaftliche Establishment, Pharmaunternehmen und Hochschulen beschämt hat. Laurie Pycroft war empört, als er Tierschutzdemonstranten in Oxford durch die Straßen marschieren sah. Er schrieb sein eigenes Plakat für Tierversuche und schwenkte es wütend. Innerhalb von Tagen hatte Laurie Tausende von Studenten und Akademikern begeistert." Aus diesem einsamen Anfang ist eine Bewegung entstanden, um die bekannteren Proteste gegen Tierversuche widerzuspiegeln. Dies gibt einen Geschmack darauf, wie sich die Debatte verändert hat - vor zwei Jahren wäre eine Demonstration für Tierversuche komisch und mehr als nur etwas geschmacklos gewesen. Heute werden derartige Proteste eindeutig und zunehmend unterstützt. Zuvor wurde die Debatte zwischen aktiven und lautstarken Tierversuchsgegnern und einer passiveren und zurückhaltenderen Lobby für Tierversuche, die größtenteils aus Akademikern besteht, geführt. Jetzt sind die Befürworter zunehmend selbstbewusst. Lord Winston bezeichnet viele der stärksten Bilder der Gegenkampagne einfach als "eine falsche Darstellung". "Tierschutzaktivisten sprechen von Grausamkeit und Folter. Einige stützen ihre Behauptungen durch die Veröffentlichung veralteter Fotos von 'Versuchen', die schon vor langer Zeit verboten wurden", schreibt er. "Die Arbeit, die wir tun, wird mit Mitgefühl, Sorgfalt, Menschlichkeit und Demut erledigt. Ich habe nie gesehen, wie ein Tier Schmerzen erleidet." Dies richtet sich an eines der stärksten Argumente der Tierversuchsgegner - dass ein Großteil der durchgeführten Arbeit unnötig ist. Weiter erörtert Lord Winston das Argument, dass Tierversuche einfach nicht funktionieren. Die kürzlich beinahe tödlichen Zwischenfälle während des Tests der Prüfsubstanz TGN 1412 im März im VK scheinen diese Behauptung zu stützen. Laut Lord Winston weit gefehlt. "Diese Tragödie war ein seltener Fall und der beste Schutz davor wären wahrscheinlich mehr Tierversuche vor den Tests am Menschen gewesen. Meiner Ansicht nach sollte auf jeder Medikamentenpackung folgender Vermerk stehen: "Die Sicherheit und Effizienz dieses Produkts konnte nur durch Tierversuche ermöglicht werden", sagt er. Er stellt weiter heraus, dass 70 Prozent der Nobelpreise für Medizin und Physiologie nur durch Tierversuche ermöglicht wurden. Auf der Pro-test-Website wird darauf hingewiesen, dass Tierversuche derzeit auf ein Minimum beschränkt sind - die Forscher sind verpflichtet, wo möglich, andere Mittel anzuwenden, aber dann Tierversuche durchzusetzen, wenn Tests ohne Verwendung von Tieren nicht möglich sind. "Es gibt Alternativen zu Tierversuchen, die die Wissenschaftler bereits verwenden. Tatsächlich sind sie gesetzlich hierzu verpflichtet, wo immer dies möglich ist", heißt es in einer Erklärung. Die EU ist weltweit führend bei der Suche nach Alternativen zu Tierversuchen. Es wurden Mittel unter dem Sechsten Rahmenprogramm (RP6) für die Suche nach mehr alternativen Forschungsmethoden zugewiesen. Projekte wie das von der Universität Oulu in Finnland verwaltete Projekt "A-CUTE-TOX" verringern zusammen mit laufender Forschung der GFS den Umfang von Tierversuchen durch die Entwicklung alternativer Methoden für Toxizitätstests. "A-CUTE-TOX" ist ein umfangreiches integriertes Projekt, an dem 34 einzelne Partner im VK, in Belgien, Spanien, Polen, der Schweiz, Schweden, der Tschechischen Republik, Deutschland, Frankreich, den Niederlanden, Italien und Irland beteiligt sind. Das Projekt mit einem Budget von 12,15 Millionen Euro wird bis 2010 laufen und zielt laut Projekt-Website darauf ab, "eine einfache und stabile In-vitro-Teststrategie zu entwickeln, mit der eine akute systemische Toxizität beim Menschen nachgewiesen werden kann und die die heute durchgeführten Tierversuche zur akuten Toxizität ersetzen könnte". Unterdessen wird die EU-Gesetzgebung zu Tierversuchen geprüft. Die am 24. November 1986 unterzeichnete Richtlinie 86/609/EWG zielte auf die Beseitigung der Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten in ihrer Gesetzgebung zu Tierversuchen ab. Das Wohlergehen der Tiere ist im Wortlaut der Gesetzgebung von größter Wichtigkeit. Beispielsweise sollten alle Versuche unter Narkose durchgeführt werden, es sei denn, die Narkose wird als stressiger für das Tier erachtet als der Versuch. Die Verwendung von Tieren ist auf die Entwicklung von Medikamenten, Lebensmitteln oder anderen Produkten für die Behandlung von Krankheiten, für die Ermittlung möglicher Nebenwirkungen und für Forschung zum Schutz der natürlichen Umwelt beschränkt. Die Überprüfung der Gesetzgebung erfolgt aufgrund der Fortschritte bei alternativen Testmethoden ohne Tiere und wird auf dem von William Russell in dem Papier "The Principles of Humane Experimental Technique" aus dem Jahr 1959 vorgeschlagenen 3R-Konzept basieren. Die drei "Rs" stehen für: Replacement, Reduction und Refinement (Ersatz, Verminderung und Verbesserung). Viele Ziele des 3R-Konzepts sind bereits umgesetzt. Beispielsweise ist der verrufene "LD50"-Test abgeschafft worden. Er verlangte die Verabreichung tödlicher Dosen von Chemikalien an 200 Tiere, um zu ermitteln, bei welcher Dosis die Hälfte der Tiere überlebt. Am anderen Ende des Spektrums gibt es jedoch unzählige Tests, für die es noch keine angemessenen Alternativen ohne Tiere gibt. Diese letzte Tatsache bietet nur die Alternative, die Tierversuche fortzusetzen, bis zuverlässige andere Mittel gefunden sind. Wenn das Wohlergehen des Tieres höchste Priorität hat, dann muss natürlich grausame Behandlung beseitigt werden, aber die Grenzen zwischen grausam und freundlich werden zwischenzeitlich Gegenstand anhaltender Debatten sein. "Es ist Zeit, dass meine Kollegen realistisch werden", sagt Lord Winston. "Alle britischen Hochschulen, die lohnende Forschung durchführen, verwenden Tiere und anstatt ihre Errungenschaften zu verbergen, sollten sie sich ihrer rühmen. Die Pharmaunternehmen könnten weitaus mehr tun, um Untersuchungen zu fördern, die human, ethisch und legal sind. Die Wissenschaftler sollten die bei ihrer Forschung angewandte Sorgfalt und die Vorteile für die Gesellschaft demonstrieren. Und die Regierung? Schockierenderweise ist meine Familie beunruhigt, weil ich über die Forschung an Tieren spreche. Daher haben die Politiker die Pflicht, Tierschutzextremisten entschlossen zu verfolgen", sagt er.
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