Gremium: Fernsehen braucht mehr Wissenschaftssendungen
Laut einer Eurobarometer-Umfrage ist das Fernsehen die bevorzugte Informationsquelle der Europäer, um sich über die jüngsten wissenschaftlichen Entwicklungen zu informieren. Es ist daher etwas beunruhigend festzustellen, dass die Wissenschaft immer seltener auf den Programmplänen der Fernsehsender steht. Bei einer von der Europäischen Kommission am 11. Juni in Paris organisierten Debatte wurde ein Gremium, das europäische Beamte und Wissenschaftsjournalisten zusammenbringt, gebeten, über die Bedeutung der Wissenschaft im Fernsehen und darüber, was getan werden muss, um sie zurück auf die Sendepläne zu bekommen, zu diskutieren. Im Jahr 2001 veröffentlichte die Europäische Kommission die Ergebnisse einer Sonder-Eurobarometer-Umfrage mit dem Titel "Europäer, Wissenschaft und Technologie", die ergeben hat, dass zwar das Interesse an allen Fragen im Zusammenhang mit Wissenschaft und Technologie (W&T) hoch war, aber zwei Drittel der europäischen Bürger sich schlecht informiert fühlten und ein beträchtlicher Anteil daran interessiert war, mehr Informationen zu erhalten. Über 60 Prozent der Befragten, die gebeten wurden, ihre bevorzugte Quelle für derartige Informationen anzugeben, nannten das Fernsehen, das tatsächlich in allen Mitgliedstaaten an erster Stelle steht. "Ich denke, diese Studie zeigt, dass die europäischen Bürger W&T [Wissenschaft und Technologie] besser verstehen, als wir dachten", sagte Michel Claessens, Informations- und Kommunikationsbeamter in der GD Forschung. Alain Hubert ist Mitbegründer und Vorsitzender der Internationalen Polarstiftung sowie ein Bergsteiger und Entdecker, der für seine Expeditionen durch die Antarktis bekannt ist. "Durch das Fernsehen kann ich meine Überzeugungen durch die Expeditionen, die ich durchgeführt habe, und die wissenschaftlichen Projekte, an denen ich beteiligt war, mit der Öffentlichkeit teilen", sagte er. "Es ist sehr wichtig, zu erklären, wie die Wissenschaft funktioniert und uns betrifft, weil die von uns geschaffene Welt immer komplexer wird." "Ich habe den Eindruck, dass, wenn wir uns ihre Entwicklung nicht aneignen, die Menschen in zehn bis 15 Jahren vollständig überfordert sein und von diesem Punkt an das Interesse verlieren werden", warnte er. Hubert beklagte die Tatsache, dass es so wenige Programme im Fernsehen gibt, die sich an die allgemeine Öffentlichkeit richten. Eine Ausnahme sei "C'est pas Sorcier", ein Wissenschaftsprogramm für Jugendliche im französischen Fernsehen: "Ich bewundere dieses Programm, aber es ist eine Ausnahme, und das ist nicht richtig." Frédéric Courant, der Produzent des Programms und ein Mitglied des Gremiums, ist optimistischer: "Vor zwölf Jahren hätte ich niemals gedacht, dass diese Show so erfolgreich sein würde, wie sie es heute ist." Das Programm hat bis zu zwei Millionen Zuschauer pro Sendung. "Dies bedeutet, dass die Leute interessiert sind und zu verstehen versuchen, was passiert", sagte er. Während die anfängliche Zielgruppe junge Menschen waren, scheint die Sendung jetzt ein wesentlich breiteres Publikum anzusprechen: "Ich habe kürzlich einen Brief von einer 100 Jahre alten Frau erhalten, die meinem Team dafür dankte, dass es ihr beim Verstehen der Probleme des 21. Jahrhunderts behilflich war", sagte Courant. Auf die Frage, wo sich das Fernsehen seiner Meinung nach falsch verhält, unterstrich er die Notwendigkeit für die Journalisten, zuerst die Fakten zu liefern, bevor sie eine Debatte einleiten: "Wenn ich mir eine Menge Nachrichtenberichte im Fernsehen anschaue, beginnen sie im Allgemeinen eine Debatte, ohne alle Fakten zu liefern. Es ist entscheidend, zuerst die Mechanismen zu zeigen, damit die Leute wissen, worum es geht", sagte er weiter. "Dann können sie sich eine Meinung bilden und die angeführten Argumente akzeptieren oder ablehnen." Courant führte auch die Tendenz der Sender an, nur die kontroverse Seite von Themen wie Kernenergie und gentechnisch veränderte Organismen (GVO) zu behandeln. Courants Programm beweise, dass es bestimmte Formeln gebe, die funktionieren, sagte Jean-Michel Baer, der Direktor des Programms "Wissenschaft und Gesellschaft" der GD Forschung und frühere Programmberater des deutsch-französischen Fernsehsenders ARTE. Er bezog sich auf andere erfolgreiche Wissenschaftsprogramme wie "Horizon" im VK und "Matière-Grise" in Belgien. Mit der Einführung des digitalen und Satellitenfernsehens konkurrieren die Sendeanstalten jedoch um wertvolle Sendezeiten. Dies führt dazu, dass Programme nach Bewertungen ausgewählt werden. "Wissenschaftsprogramme werden nicht ausgewählt, weil sie nicht attraktiv genug erscheinen", sagte er. Um diesem Trend entgegenzuwirken, verwenden einige national finanzierte Sender einen gewissen Prozentsatz des Budgets für Wissenschaftsmagazine. Damit sich dieses Konzept weiter ausbreite, sei weitere politische Unterstützung erforderlich, so Baer. Die Programmmacher könnten auch dazu beitragen sicherzustellen, dass der Wissenschaft angemessene Sendezeit eingeräumt werde, indem sie einfach die Verwendung des Worts "Wissenschaft" zur Beschreibung ihrer Arbeit vermeiden, meinte Courant. "Sobald ein Programm die Bezeichnung 'Wissenschaft' hat, erhält es keine Sendezeit", sagte er. Stattdessen sollten sie Courant zufolge bei der Vermarktung ihrer Arbeit hervorheben, wie sie dazu beiträgt, dass die Menschen verstehen, wie die Dinge funktionieren. "Dies ist der Begriff 'Wissen', der für die Wissenschaft völlig anders ist", sagte er. Eine andere Möglichkeit wäre die Nutzung großer Veranstaltungen wie der Weltmeisterschaft, um über damit verbundene wissenschaftliche Themen zu berichten, schlug ein Teilnehmer im Publikum vor: "Gibt es keine wissenschaftliche Dimension für die Debatte über Doping im Sport?", fragte er. Hierauf bemerkte Baer, dass dieser Ansatz bereits populär sei, und führte das Beispiel der USA und des VK an, wo Fernsehberichte über die Funktionsweise des Herzens und von Gefühlen um den Valentinstag herum gesendet würden. "Es geht außerdem darum, die richtigen Leute einzubeziehen und den geeigneten Zeitpunkt zu erwischen", sagte Baer. In diesem Zusammenhang führte er das Beispiel der BBC-Serie "Walking With Dinosaurs" an, die prähistorische Tiere porträtiert, wobei Fakten und informierte Spekulation mit herausragenden Computergrafiken und Animatronikeffekten kombiniert werden. "Der Erfolg dieses Programms ist hauptsächlich auf Filme wie Jurassic Park zurückzuführen." Aber es ist Courant zufolge auch eine Frage des Budgets: "Wenn Sie Programme wie dieses produzieren wollen, brauchen Sie eine Menge Geld: Die Engländer haben schon immer mehr in Wissenschaftsprogramme investiert." Patrice Lanoy, Wissenschaftsjournalist bei der französischen Zeitung "Le Figaro", erkannte das Problem des Mangels an europäischen Wissenschaftsprogrammen, als er seinen Fernsehsender "Planète Futur" einrichtete. Er sah, dass die einzigen verfügbaren Programme aus Japan und den USA kamen, und war der Meinung, dass sie nicht gut in einen französischen Kontext passten. "Sie behandelten die Wissenschaft nicht auf eine Art, die unseren Zuschauern zugänglich war." Baer zufolge ist das Problem nicht so sehr der Mangel an Programmen, sondern eher der mangelnde Austausch zwischen Fernsehprogrammproduzenten in Europa. Zur Überwindung dieses Problems schlug er vor, dass neben der Einrichtung eines Europäischen Forschungsraums (EFR) auch ein europäischer Raum für das Fernsehen geschaffen werden könnte. Dies würde vielleicht zu einer größeren Zahl koproduzierter Wissenschaftsprogramme führen. Im Hinblick auf dieses Ziel hat die Europäische Kommission im Jahr 2005 Athenaweb, ein professionelles Portal für audiovisuelle Wissenschaftsinformationen, eingerichtet. Bisher haben sich insgesamt 6.600 unabhängige Filmproduzenten registriert, die potenziellen Käufern Ausschnitte ihres Films zur Verfügung stellen. Das Portal erhält täglich bis zu 100 Besuche. Bear sagte abschließend, der Erfolg der Plattform beweise den Wunsch der Fernsehsender, auf europäischer Ebene zu arbeiten. Dies sollte durch das Siebte Rahmenprogramm weiter unterstützt werden.
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