CERN startet bahnbrechendes Neutrinoexperiment
Die moderne Physik hat am 11. September einen gigantischen Fortschritt erzielt, als Wissenschaftler der Europäischen Organisation für Kernforschung (CERN) einen Neutrinostrahl durch die Erde in das 730 km entfernte Labor Gran Sasso in der Nähe von Rom, Italien, schickten. Das Experiment erfolgt im Rahmen einer globalen Anstrengung zum Verständnis dieser Partikel, die zwar nie direkt beobachtet wurden, aber die Geheimnisse des Ursprungs und der Entwicklung unseres Universums in sich tragen sollen. Neutrinos sind unsichtbare Elementarteilchen, die bei Kernreaktionen innerhalb von Sternen entstehen. Sie sind der zweithäufigste Teilchentyp im Universum nach Photonen. Da sie so wenig mit anderen Teilchen interagieren, können Neutrinos Materie durchdringen. Hierbei hinterlassen sie nur wenige oder gar keine Spuren, wodurch sie sehr schwer zu entdecken sind. Zu jeder Tages- und Nachtzeit durchdringen Trillionen von Neutrinos pro Sekunde die Erde. Wissenschaftler sind der Meinung, dass Neutrinos dank dieser schwachen Interaktion mit anderen Teilchen neutrale Informationen über Supernovae enthalten könnten. Das Verständnis dieser Informationen ist das Schlüsselelement zum Verstehen unseres Universums. Es wird davon ausgegangen, dass Neutrinos zwischen drei verschiedenen "Typen" oszillieren: Elektron, Myon und Tau. Die Forscher hoffen, dass das Labor Gran Sasso in der Lage sein wird, die Umwandlung von Myon-Neutrinos in Tau-Neutrinos zu entdecken. Dieses Phänomen konnte bisher nicht beobachtet werden. Am CERN-Forschungszentrum werden Myon-Neutrinos durch die Kollision zwischen einem beschleunigten Protonenstrahl und einem speziellen Ziel generiert. Die bei dieser Kollision generierten Myon-Neutrinos legen die Strecke von 730 km nach Gran Sasso in 2,5 Millisekunden mit nahezu Lichtgeschwindigkeit zurück. Die Forscher hoffen, in Gran Sasso eine kleine Zahl von Tau-Neutrinos entdecken zu können, die sich während der Reise aus Myon-Neutrinos entwickelt haben. Berechnungen zufolge sollen unter den vielen Milliarden Myon-Neutrinos, die in Gran Sasso ankommen, etwa 15 Tau-Neutrinos zu entdecken sein. Die Entdeckung dieser Tau-Neutrinos durch die Einrichtung in Gran Sasso unterscheidet diese von anderen Neutrino-Experimenten in den USA und Japan, bei denen üblicherweise die Zahl der Myon-Neutrinos, die verschwinden, anstatt der Zahl der Tau-Neutrinos, die entstehen, gemessen wird. Gran Sasso besitzt zwei Neutrino-Detektoren, Opera und Icarus. Nur der 1 800 Tonnen schwere Opera ist derzeit betriebsbereit - er "sieht" Neutrinos durch die Verwendung von Fotogläsern zur Erkennung von Interaktionen zwischen Blei und Neutrinos. Icarus wird 600 Tonnen flüssiges Argon für die Erkennung der Neutrinos verwenden. "Neutrinos werden jetzt zu einem der zentralen Themen in der Elementarphysik", sagt Atsuto Suzuki, Generaldirektor der High Energy Accelerator Research Organization (KEK) und ehemaliger Sprecher von KamLAND, einem anderen Neutrinodetektor, der Neutrinos gefunden hat, die im Mittelpunkt der Erde generiert wurden. "Es gibt viele aufregende Herausforderungen in diesem Bereich. Einer der wichtigsten Meilensteine für die Entwicklung der Neutrinophysik wäre der experimentelle Nachweis, dass die Oszillation von Myon-Neutrinos zu Tau-Neutrinos in atmosphärischen Neutrino-Beobachtungen entdeckt wurde. Ich bin sehr erfreut darüber, dass die Versuche von CERN und Gran Sasso diese wichtige Frage bald beantworten werden." Die Wissenschaftler werden diese Experimente nutzen, um zu entscheiden, ob Neutrinos eine Masse besitzen, und falls ja, ob diese Masse sich abhängig vom Neutrino-Typ unterscheidet. Die derzeitige Theorie besagt, dass Neutrinos keine Masse besitzen, da sie kaum mit anderer Materie interagieren. "Das Vorhandensein von Masse für diese Teilchen beleuchtet einige der wichtigsten Probleme der modernen Physik", erklärt Roberto Petronzio, Präsident des Nationalen Instituts für Kernphysik (INFN) in Italien, wo sich der Standort des Labors Gran Sasso befindet. "Beispielsweise könnte das Vorhandensein von Neutrinomasse bei der Erklärung der so genannten Asymmetrie zwischen Materie und Antimaterie behilflich sein, das heißt der Verbreitung von Materie im Universum trotz der fast perfekten Ähnlichkeit ihrer grundlegenden Interaktionen."
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