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Potocnik spricht mit CORDIS-Nachrichten über seinen klar strukturierten Ansatz für die Forschungspolitik der EU

"Es stimmt, dass ich Menschen mit einem freien Geist mag", meint EU-Kommissar für Wissenschaft und Forschung Janez Potocnik in einem Interview mit CORDIS-Nachrichten. Dabei bezieht er sich auf Bob Marley - er wird wegen des schönen gemalten Porträts des jamaikanischen Sängers ...

"Es stimmt, dass ich Menschen mit einem freien Geist mag", meint EU-Kommissar für Wissenschaft und Forschung Janez Potocnik in einem Interview mit CORDIS-Nachrichten. Dabei bezieht er sich auf Bob Marley - er wird wegen des schönen gemalten Porträts des jamaikanischen Sängers an seiner Wand oft für einen Fan gehalten. Tatsächlich war das Bild ein Geschenk seines Sohnes, der es gemalt hat und ein echter Marley-Fan ist. Kommissar Potocniks Bewunderung für freies und klar strukturiertes Denken durchzieht seinen Ansatz für das Rahmenprogramm, mit dessen Verwaltung er betraut ist. Das bevorstehende Siebte Rahmenprogramm (RP7) wird eine längere Laufzeit haben und über wesentlich mehr Haushaltsmittel verfügen als seine Vorgänger. Das RP7 wird außerdem eine wichtige Rolle bei der Festlegung der europäischen Agenda für Forschung und Innovation spielen. Hinsichtlich der künftigen Herausforderung ist er jedoch realistisch. "Wenn ich die Gegebenheiten einer Realitätsprüfung unterziehe, so stelle ich hauptsächlich fest, dass alles miteinander verbunden und komplex ist und dass es keine schnellen Lösungen gibt", sagt er. Der 1958 im ehemaligen Jugoslawien geborene Kommissar war Stellvertretender Direktor und anschließend Direktor des Instituts für Makroökonomische Analyse und Entwicklung in Ljubljana. Er machte seinen Doktor im Bereich Wirtschaftswissenschaften und wurde gleichzeitig leitender Forscher am Institut für Wirtschaftsforschung in Ljubljana. Slowenien wurde 1991 unabhängig, und er ging in die Politik. Er verhandelte den Beitritt Sloweniens zur EU und wurde von 2001 bis 2002 zum Ministerberater im Kabinett des slowenischen Ministerpräsidenten und von 2002 bis 2004 zum Minister für europäische Angelegenheiten ernannt. Seinen derzeitigen Posten als Kommissar seines Landes hat er im Jahr 2004 übernommen. Er ist sich über die Bedeutung der Forschung und des Rahmenprogramms völlig im Klaren. Die Forschung ist in den vergangenen Jahren auf der Agenda schnell nach oben geklettert und nun ist er bestrebt, sie ins Rollen zu bringen. Das RP7 hat das parlamentarische Verfahren nach beinahe zwei Jahren fast durchlaufen. Dies ist seinen Worten zufolge "der erste notwendige Schritt, jetzt muss die Realität direkt folgen". Der Kommissar möchte, dass das RP7 das Leben der Menschen "direkt" berührt. Aber wie? "Die Idee besteht darin, die Dinge anders und besser zu machen. Aber wenn es eine umfassende Vision des Rahmenprogramms gibt, dann dadurch, dass man sagt, 'dies sind öffentliche Gelder'. Öffentliche Gelder sollten für die größten Herausforderungen und die größten Marktdefizite aufgewendet werden. Wer außer uns würde beispielsweise Fusionsforschung betreiben? Diese ist in jeder Hinsicht sehr stark mit dem Leben der Menschen und seiner Qualität verbunden. Bei manchen Forschungsprojekten ist dies direkter, bei anderen impliziter der Fall. Aber mir fällt nichts ein, das aus diesem Rahmen herausfallen würde." Eine Möglichkeit, das gesetzte Ziel zu erreichen, besteht darin, zu vereinfachen, d. h. das RP7 zugänglicher zu machen. "Die Struktur des RP6 war nicht so einfach zu verstehen. Die erste Entscheidung, die wir treffen wollten, war 'das Programm so einfach zu gestalten, dass sogar der Kommissar es erklären kann'", sagt er mit einem Lächeln. Ein weiterer Bereich, der unter dem RP7 beträchtlich gefördert wird, ist die Einbindung von Unternehmen. Einige Unternehmen, darunter kleine und mittlere Unternehmen (KMU), hatten sich unter dem RP6 ein wenig ausgeschlossen gefühlt. Im RP7 musste die Präsenz der Unternehmen erhöht werden, um eine solide Nutzung der Ergebnisse sicherzustellen. "[...] aus den vergangenen Beschwerden der Unternehmen haben wir herausgehört, dass wir ihnen nicht genug zuhören. Den Unternehmen wird im RP7 meiner Meinung nach daher wesentlich mehr Aufmerksamkeit geschenkt. Wir haben die Technologieplattformen, die eine bemerkenswerte neue Bewegung darstellen, da wir erstmals auf Ebene der Europäischen Union eine Wirtschaftsinitiative zusammen mit Mitgliedstaaten, Regulierungsbehörden und Finanzinstitutionen haben, die ihre Vision und ihre Forschungsagenden diskutieren. Dies ist eine enorme Grundlage, die uns bei der Ausrichtung unserer Bemühungen unterstützt. Und das macht zufrieden. Die Wirtschaft ist heute sehr zufrieden mit unserem Ansatz." Dies geht jedoch nicht zu Lasten der Grenzforschung, da im Rahmen des RP7 auch der neue Europäische Forschungsrat (EFR) eingerichtet wird. "Wir haben erstmals die Möglichkeit einer 'Champions League' von Forschern auf EU-Ebene [...]. Dies könnte uns auch künftig bei der Entwicklung der europäischen Forschungsagenda behilflich sein." Für die Forscher war die Vereinfachung des RP7 von entscheidender Bedeutung, und es wurden beträchtliche Anstrengungen hierzu unternommen. "Wenn man sieht, wie viele Anstrengungen unternommen werden müssen, um einen Vertrag zu erzielen, und wie viel Berichterstattung erforderlich ist, versucht man wirklich, in die Gegenrichtung zu drängen. Dies ist nicht nur meine politische Botschaft, sondern ich versuche auch, sie soweit wie möglich zu realisieren. All unsere Anstrengungen gehen in diese Richtung. Am Ende des Mandats wird es nur zwei mögliche Stellungnahmen geben: Entweder haben wir eine Vereinfachung erzielt oder eine Vereinfachung ist bloße Fiktion." Aber die Vorbereitungen für das RP7 sind nicht völlig reibungslos verlaufen. Das Europäische Parlament war der Auffassung, dass nach nur einem Jahr eine Überprüfung des Europäischen Forschungsrats erfolgen müsse. Der Kommissar plädierte für einen längeren Zeitraum, aber hielt die Begründung des Europäischen Parlaments - den Wunsch, den Europäischen Forschungsrat sowohl während der Amtszeit dieses Europäischen Parlaments als auch der Amtszeit des Kommissars zu diskutieren - für "ziemlich vernünftig". Die Lobbyisten waren außerdem enttäuscht über die weiterhin fehlende Zweckbindung für Bereiche wie erneuerbare Energie oder Behindertenforschung. Hier verbuchte der Kommissar einen Erfolg, indem er herausstellte, wofür das Geld wirklich benötigt wird - nämlich für Kreativität. "Wir haben Programme im Haushalt, die sich klar auf Kohäsion und auch klar auf andere Aufgaben beziehen, aber in erster Linie orientieren wir uns bei unserem Handeln und unserer Mission auf die Unterstützung von Kreativität, um Spitzenleistungen in der Europäischen Union sowie Zusammenarbeit zu fördern und die uns zur Verfügung stehenden Mittel optimal zu nutzen. Eine Zweckbindung wäre bei diesem Ansatz nicht sehr hilfreich. Aber dies bedeutet nicht, dass wir nicht zum Beispiel erneuerbare Energiequellen unterstützen. Natürlich gehören erneuerbare Energiequellen dazu. Ihnen muss Aufmerksamkeit geschenkt werden, weil wir in dieser Welt, in der die Energie knapp ist, nach allen möglichen Lösungen suchen müssen. Erneuerbare Energiequellen sind eine der herausforderndsten und effektivsten Lösungen, die wir kennen. Sie sind umweltfreundlich und liegen mir am Herzen", sagt er. Wie oben beschrieben, wird das RP7 als wesentlicher Bestandteil der laufenden Bemühungen um Innovation in Europa angesehen. Kommissar Potocnik unterstützt nachdrücklich den Bericht der Expertengruppe von Esko Aho zu Innovation für Europa. Dieser liefert ein klares wirtschaftliches Argument und einen Entwurf für Investitionen in die Forschung zur Förderung der Innovation. "Es ist eine kritische Masse von politischen Botschaften erforderlich, bevor diese umgesetzt werden können. Esko Aho ist nicht allein mit dieser Art von Idee. Wir haben schon vorher darüber nachgedacht und dies ist auch in dem aktuellen Papier zu Innovation enthalten. Man braucht solche ernsthaften Politiker und jemanden, der wie Aho über Erfahrung mit der praktischen Umsetzung verfügt - er hat schließlich die Situation in Finnland geändert. Seine Aussagen sind sehr glaubwürdig und das hilft. Auch andere Politiker hören genau zu. Dies ist eine nachdrückliche und klare Botschaft an alle. Wir brauchen nachdrückliche und klare Botschaften. Eine seiner Ideen sind führende Märkte, bei denen natürlich nicht nur Gewinner ausgewählt werden. Dies ist meiner Meinung nach völlig im Einklang mit der Logik einer Marktwirtschaft", erklärt er. Der Kommissar führt als Beispiel das GSM an - ein Mobilfunkstandard, der in Europa entwickelt wurde und umfassend genutzt wird, und jetzt internationale Gültigkeit besitzt. "Dies hat uns und beispielsweise Nokia und anderen Unternehmen eine Menge Vorteile und Nutzungsmöglichkeiten verschafft. Wir reden von solchen Beispielen", betont er. Wenn andere europäische Standards entwickelt werden, dann könnte Europa einen klaren Vorteil in diesen Bereichen haben. "Dies muss als Möglichkeit angesehen werden, in einige der offenen Debatten einzugreifen [...]. Wenn man sich einig darüber wäre, wie die Dinge auszusehen haben und welchen Standard man entwickeln könnte, wäre es viel einfacher für die Industrie, wirklich in die Entwicklung einzusteigen und ihre gesamte Energie in diese zu investieren", sagt er. Eine andere Möglichkeit für Innovation ist das Europäische Institut für Technologie (EIT), das umstrittener ist. Akademiker und Denkfabriken sind entweder völlig dafür oder dagegen, sodass es keinen Konsens gibt. Ist das Institut eine gute Idee? "Ich hoffe zweifellos, dass es ins Leben gerufen wird", so Potocnik. Die Rolle des EIT ist seinen Aussagen zufolge ziemlich spezifisch. "Das Problem ist, dass die Verbindung der drei Grundlagen des Wissens - Bildung, F&E [Forschung und Entwicklung] und Innovation - in Europa nicht gut funktioniert [...]. Die Einrichtung des EIT soll prinzipiell diese Art von Problem beheben oder zu seiner Behebung beitragen. Daher sollten wir es nicht in einem Atemzug mit dem Europäischen Forschungsrat nennen - dies ist eine ganz andere Geschichte. Der Europäische Forschungsrat ist eine Wissensquelle und sollte es bleiben." Der Kommissar war auch bestrebt, einige Irrtümer zu beseitigen. Einer ist, dass die Technologieplattformen gewissermaßen ein Versuchsfeld für Projekte seien, die zu Gemeinsamen Technologieinitiativen aufsteigen sollen. Es wird eine begrenzte Zahl von Gemeinsamen Technologieinitiativen geben. Werden daher einige Sektoren enttäuscht sein, den Sprung nicht zu schaffen? "Das Problem liegt eher im Namen als in der Substanz", sagt er. Er lehnt außerdem den Gedanken ab, dass Technologieplattformprojekte zu Enttäuschungen führen könnten, "weil sie wesentlich weiter sind und ihr Potenzial tatsächlich viel größer ist, als wir uns bei ihrer Entwicklung vorstellen konnten. Sie haben wirklich bewiesen, dass sie über riesiges Potenzial im Zusammenhang mit führenden Märkten, im Zusammenhang mit dem Europäischen Institut für Technologie und im Zusammenhang mit all diesen Debatten, die tatsächlich nicht viel mit der Forschung selbst zu tun haben, verfügen. Sie gehen über die Forschung hinaus. Wenn sie also verstehen, wie wichtig und ernsthaft ihre Arbeit ist und welches Potenzial sie haben, dann wird diese Enttäuschung definitiv verschwinden." Ein weiterer Irrtum sei, dass der Europäische Forschungsraum (EFR) überarbeitet werde. "Er wird nicht überarbeitet, 'überarbeitet' ist das falsche Wort", so Potocnik. Der Kommissar ist der Meinung, dass er sich nach dem Start des RP7 und der Beendigung des politischen Prozesses auf die Entwicklung des EFR konzentrieren wird. "Die Aufmerksamkeit für die Forschung und das Wissen um ihre Bedeutung sind jetzt wesentlich größer als früher. Wir haben diese Energie und wir wollen sie nutzen. Weil es wichtig ist, dass dies ein heißes Thema bleibt. Es ist außerdem wichtig, dass wir über die künftigen Richtungen für Europa debattieren und uns darüber im Klaren sind, was wir tun wollen. Genau das haben wir uns für das Jahr 2007 vorgenommen." Der Kommissar möchte, dass die Mitgliedstaaten ihre nationalen Fördermittel auch für EFR-Projekte bereitstellen. "Wir brauchen ein klares politisches Engagement. Es gibt Fragen im Zusammenhang mit der Verbesserung der Mobilität und der Koordinierung des Ganzen. Außerdem müssen wir ebenso klare Resultate erzielen wie bereits beim RP7. Wir haben bereits die Kofinanzierung eingeführt. Wir sind somit zur Kofinanzierung bereit, wenn die Mitgliedstaaten dies akzeptieren." Die Idee des EFR reicht jedoch über die bloße Forschung hinaus. Er könnte ein Instrument zur Verbreitung der Idee der Union selbst sein. "Slowenien trat der EU im Jahr 2004 bei. Wir haben uns seit dem RP4, seit 1994, an der Forschung beteiligt. Dies ist eine Tatsache. Die Realität ist also, dass auch heute noch die Beteiligung an F&E in gewisser Weise eine Vorstufe darstellt. Die Forschung reißt normalerweise Mauern ein, bevor die politischen Dinge folgen", sagt er. "Ehrlich gesagt, wenn wir es ernst meinen und eine mögliche EU-Erweiterung durch Aufnahme der Westbalkanländer und der Türkei berücksichtigen, dann ist es meiner Meinung nach an der Zeit, diese Länder zu unterstützen und sie so bald wie möglich zu assoziierten Mitgliedern zu machen, damit sie einfach besser mit uns zusammenarbeiten können, als dies in der Vergangenheit der Fall war. Ich bin sehr entschlossen, in diese Richtung zu gehen, d. h. ihnen einerseits ausreichend attraktive Bedingungen zu verschaffen, damit sie ernsthaft daran interessiert sind, assoziierte Mitglieder zu werden, und andererseits Verbindungen zwischen dem herzustellen, was sie zuhause tun würden, und ihrer Arbeit im Rahmen des RP." Während die Ausweitung des EFR durch die Verstärkung der Zusammenarbeit bedeutende Auswirkungen auf die Zukunft der europäischen Forschung haben könnte, könnte ein anderes Projekt, der internationale thermonukleare Versuchsreaktor ITER, sein Erbe antreten. Dieser wird in Cadarache, Frankreich, gebaut. "Etwas, was ich natürlich nie vergessen werde, ist der ITER, der von historischer Bedeutung und wichtiger ist, als wir derzeit absehen können. Dies wird ein erfolgreiches Projekt sein. Natürlich ist es eine langfristige, geopolitische Realität." Sobald er in Betrieb ist, könnte die Fusionsenergie die Antwort auf viele Probleme nicht nur in Europa, sondern weltweit, wie beispielsweise die Verbrennung fossiler Brennstoffe, bereithalten. In der Zwischenzeit zielt das RP7 auf die Förderung der Forschung in denjenigen Bereichen ab, die sie wirklich benötigen, von KMU über Spitzenforschungsbereiche und Stärkung des Europäischen Forschungsraums bis hin zur Suche nach Alternativen, bis die Fusionsenergie Realität wird. Wenn Europa dank dieser Bemühungen um Innovation zu einer stärkeren Kraft wird, dann sei es so.