Meereszensus sorgt weiterhin für Überraschungen
Krabben mit Fell, riesige Mikroben und ein Fischschwarm in der Größe von Manhattan Island - dies waren nur einige der Ergebnisse des Census of Marine Life im Jahr 2006. Neben der Entdeckung neuer Arten wurden im Rahmen der Initiative auch Verhaltensweisen von Tieren enthüllt und neue, effizientere Forschungstechniken entwickelt. Der Census of Marine Life, der jetzt im sechsten Jahr ist, zielt darauf ab, die Vielfalt, die Verteilung und den Reichtum des Meereslebens bis zum Jahr 2010 aufzuzeichnen. Eine Reihe EU-finanzierter Forschungsprojekte leistet einen Beitrag zu dem Zensus, der rund 2 000 Forscher aus 80 Ländern zusammenbringt. Die Riesenmikrobe wurde von Forschern vor der Küste Portugals entdeckt. Während die meisten Protozoen nur mit einem Mikroskop sichtbar sind, hat die neue Art einen Durchmesser von 1 cm und besitzt eine Schale aus Mineralkörnchen. Zu den anderen neuen Arten, die im Rahmen des Zensus entdeckt wurden, gehören eine Krabbe mit einer ungewöhnlich pelzigen Erscheinung und eine riesige 1,7 kg schwere Languste. Im Südlichen Ozean fanden die Forscher, die untersuchten, was unter einer 700 m dicken und 200 km von der nächsten offenen Wasserfläche entfernten Eisschicht vorgeht, mehr neue als bekannte Arten. Die Forscher entdeckten Leben an den außergewöhnlichsten Orten. Die Bereiche um Meeresöffnungen herum wimmeln nur so vor Leben, was die Wissenschaftler zu der Frage veranlasste, wie die verschiedenen Garnelen und Muscheln, die dort leben, mit einem derart extremen Umfeld zurechtkommen. Die Temperatur um die Öffnungen herum kann sich von kurz vor dem Gefrierpunkt bis beinahe kochend innerhalb von ein paar Zentimetern verändern. Außerdem sind die Tiere hohen Schwermetallkonzentrationen aus den Öffnungsflüssigkeiten ausgesetzt. Bis zu diesem Jahr waren die Wissenschaftler der Meinung, die Garnelenart Neoglyphea Neocaledonica sei vor etwa 50 Millionen Jahren ausgestorben. Die Zensusforscher entdeckten sie lebend und in gutem Zustand auf einem Seamount in der Coral Sea. Sie halten diese Entdeckung für ebenso bedeutsam wie die des Coelacanth, eine Fischart, die seit Ende der Kreidezeit als ausgestorben galt, bis im Jahr 1938 ein lebendes Exemplar vor der südafrikanischen Küste gefunden wurde. Bei dem Zensus geht es aber nicht nur um die Identifikation und das Zählen von Tieren, sondern die Forscher untersuchen auch das Verhalten der Tiere. Im Jahr 2006 verfolgten die Forscher die abenteuerliche, 70 000 km weite Reise des Dunklen Sturmtauchers, der den Pazifik auf der Suche nach Nahrung durchquerte. Außerdem verfolgten die Forscher auch Lachse, Haie und Tintenfische. "Jede Expedition offenbart neue Wunder des Ozeans - und mit der Rückkehr jedes Schiffes wird zunehmend klar, dass die Meeresforscher in den kommenden Jahren noch viele weitere Entdeckungen machen werden", so Dr. Fred Grassle, Vorsitzender des Wissenschaftlichen Lenkungsausschusses des Zensus. Die Untersuchung dieser Meeresvielfalt hat die Entwicklung neuer Forschungstechniken erforderlich gemacht. Die Forscher verwendeten erstmals DNA-Barcodetechniken an Bord des Schiffes, um die Bandbreite und Fülle mikroskopischer Planktonarten zu bestimmen. Der 20 Millionen Tiere umfassende Fischschwarm in der Größe von Manhattan wurde dank einer neuen Schiffstechnologie entdeckt, bei der Schall für die Entdeckung von Leben in einem riesigen Bereich des Ozeans verwendet wird. Die Forscher verwenden außerdem historische Aufzeichnungen für die Kartierung von Veränderungen im Meeresleben in der Vergangenheit. Durch die Verwendung von Archiven wie beispielsweise Steuern auf Salz, das zum Räuchern von Fisch genutzt wurde, konnten Historiker die Veränderungen in Bezug auf den Reichtum des Meereslebens in zwölf Mündungen und Küstengewässern weltweit bestimmen. Diese Forschung bestätigt, dass die Bewirtschaftung und die Zerstörung der Lebensräume 90 Prozent der wichtigen Arten dezimiert haben. "Die historischen Studien des CoML stimmen mit aktuellen Studien überein, aus denen ein starker Rückgang der meisten Wildpopulationen von Meerestieren, die von Menschen verzehrt werden, hervorgeht", sagte Dr. Grassle. "Die Menschen können sich heute den vergangenen Reichtum der Ozeane in vielen küstennahen Regionen kaum noch vorstellen." Die intensivste Feldarbeit des Zensus wird vom jetzigen Zeitpunkt an bis Ende 2008 erfolgen. Ab 2009 werden die Ergebnisse analysiert und zusammengestellt.