Nacktmull erweitert unser Verständnis von Schmerzen
Mit seiner faltigen, unbehaarten Haut, den langen krummen Zähnen und winzigen Augen ist der Nacktmull (Heterocephalus glaber) gewiss keine Schönheit. Sein Lebensstil ist genauso wenig beneidenswert: Diese zehn bis fünfzehn Zentimeter langen Tierchen leben in Kolonien in schlecht belüfteten Erdhöhlen. Was diesem Tier jedoch an Schönheit fehlt, gleicht es durch andere bizarre Merkmale aus: Kaltblütigkeit, ein ungewöhnlich langes Leben und eine soziale Struktur, die der von sozialen Insekten wie Bienen und Wespen gleicht. Das macht den Nacktmull zu einem faszinierenden Objekt für viele Forscher und bedeutet, dass er regelmäßig in den internationalen Schlagzeilen erscheint. Erst kürzlich standen diese eigenartigen Wesen wieder in den Nachrichten dank der Entdeckung, dass sie gegen Säure und Capsaicin, der Substanz in Chilischoten, die Hautbrennen verursacht, unempfindlich sind. In ihrem in der Zeitschrift PLoS Biology veröffentlichten Artikel erklären deutsche und amerikanische Wissenschaftler, dass die Schmerzrezeptoren des Nacktmulls auf Säure einfach nicht reagieren - eine einzigartige Eigenschaft unter den Wirbeltieren. Bei Capsaicin sieht die Lage ein wenig anders aus. Hier reagieren die Schmerzrezeptoren zwar ganz normal, sie aktivieren allerdings eine andere Hirnregion als bei "normalen" Säugetieren, die auf Capsaicin empfindlich reagieren. Die Forscher spekulieren nun, dass die Bedingungen in den gewundenen Gängen der Erdhöhle des Nacktmulls zur Entwicklung der Unempfindlichkeit gegen diese giftigen Substanzen geführt haben. Die Kohlendioxidkonzentrationen in den Erdhöhlen sind extrem hoch. Normalerweise wandelt sich CO2 in hohen Konzentrationen bei Hautkontakt in Säure um und führt zu einem schmerzhaften beißenden Gefühl. Die Wissenschaftler glauben, dass der Nacktmull wegen seiner Unempfindlichkeit gegen Säuren besser mit den harten Umweltbedingungen umgehen kann, unter denen er lebt. Diese Entdeckung könnte auch zur Entwicklung neuer Schmerzbehandlungsmethoden für den Menschen führen. "Wir lernen gerade, welche Nervenfasern für welche Schmerzarten zuständig sind, sodass wir neue Strategien und Ziele entwickeln können", erklärt Thomas Park von der Universität Illinois, Hauptautor der Studie. Ein weiterer Bereich, in dem der bescheidene Nacktmull einen wichtigen Beitrag leistet, ist das Altern. Im Gegensatz zu Mäusen, die eine ähnliche Größe wie der Nacktmull aber eine durchschnittliche Lebenserwartung von nur drei Jahren haben, lebt der Nacktmull fasst 30 Jahre. Der Vergleich der beiden Spezies stellt die Theorie in Frage, dass nur der oxidative Stress allein für den Alterungsprozess verantwortlich ist. Oxidativer Stress tritt auf, wenn Sauerstoffmoleküle (O2) in ein einziges Sauerstoffatom, freies Radikal genannt, aufgespalten werden. Diese kombinieren sich mit anderen Atomen und Molekülen, um reaktive Sauerstoffspezies (reactive oxygen species, ROS) zu bilden, die DNA, Lipiden und Proteinen schaden und dabei die normale Zellfunktion behindern. Vergleiche zwischen Nacktmullen und Mäusen zeigten, dass das Gewebe der Nacktmulle sehr viel größere oxidative Schäden aufwies, als das Gewebe ihrer kurzlebigeren Verwandten. Jetzt untersuchen die Wissenschaftler, wie Nacktmulle mit den durch oxidativen Stress hervorgerufenen Schäden leben. Eine Theorie ist, dass sie sich gegen akute Anfälle von oxidativem Stress wehren können, die durch ungewöhnliche Ereignisse ausgelöst werden. "Der Nacktmull mit seiner ungewöhnlich hohen Lebenserwartung und erstaunlich verzögerten Alterung scheint das perfekte Modell zu sein, um Antworten auf die Fragen, wie wir altern und wie der Alterungsprozess verzögert werden kann, geben zu können", kommentiert Rochelle Buffenstein vom City College New York, Expertin für Alterungsprozesse und Nacktmulle. "Dieses Tier könnte uns eines Tages die Lösung liefern, wie wir Leben maßgeblich verlängern können." Derweil benutzen andere Forscher den Nacktmull, um stressbedingte Unfruchtbarkeit zu untersuchen. In Nacktmullkolonien darf sich nur die "Königin" vermehren. Sie setzt dieses Gesetz durch, indem sie die Fruchtbarkeit ihrer Untertanen unterdrückt. Dazu scheucht sie diese herum, um ihnen zu zeigen, wer das Sagen hat. Der dadurch erzeugte Stress unterdrückt den Eisprung bei den Weibchen und reduziert die Spermienanzahl der Männchen. Durch das Studium dieser extremen Fälle von stressinduzierter Unfruchtbarkeit hoffen die Forscher, neues Licht auf diese Erkrankung beim Menschen zu werfen. "Die soziale Unterdrückung bei Seidenäffchen gleicht der bei Nacktmullen, und da es sich um Primaten handelt, sind die Anwendungen für das Verständnis der stressbedingten Unfruchtbarkeit beim Menschen gar nicht so weit hergeholt", sagt Dr. Chris Faulkes von der Universität London. Obwohl die Nacktmulle im Tierreich vielleicht nicht zu den niedlichsten Wesen gehören, sollten wir über ihr hässliches Aussehen hinwegsehen und für ihren Beitrag zur Forschung dankbar sein.
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Deutschland, Vereinigte Staaten