Zwei Herzen - ein Rhythmus
Wissenschaftler in Deutschland und dem Vereinigten Königreich haben herausgefunden, dass die Atemfrequenz einer Mutter die Synchronisation ihres Herzschlags mit dem ihres ungeborenen Kindes beeinflusst. Die Grundlage für die in der Fachzeitschrift Proceedings of the National Academy of Sciences verkündeten Ergebnisse bildete ein neuartiger mathematischer Ansatz, der schon im Frühstadium einer Schwangerschaft zur Erkennung von Komplikationen eingesetzt werden könnte. Häufig wird die leicht zu messende Herzfrequenz eines Fötus verwendet, um die motorischen Aktivitäten eines Babys im zweiten und im letzten Schwangerschaftsdrittel nachzuweisen. Vorherige Studien deuteten schon darauf hin, dass zwischen der Verfassung der Mutter und der ihres Babys ein Zusammenhang besteht, was bei der Überwachung der Herzfrequenz des Kindes beobachtet wurde. "Das häufiger beschriebene Gefühl einer Mutter für den Zustand ihres ungeborenen Kindes könnte zum Teil auf der Synchronisation des Herzschlags beruhen", meint Jürgen Kurths vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung in Deutschland. Eines der Ziele im Rahmen dieser Studie war die Frage, ob die Wahrnehmung des Kindeswohls durch die werdende Mutter physiologisch nachgewiesen werden kann. Hierfür wurde geprüft, ob Synchronisationsphasen der Herzfrequenz von Mutter und Kind durch das Atemtempo der Mutter beeinflusst werden können. Sechs gesunde Frauen, die in der 34. bis 40. Woche mit einem Einzelkind schwanger waren, wurden gebeten, in liegender Position 5 Minuten lang einem vorgegebenen Atemrhythmus zu folgen (10, 12, 15 oder 20 Atemzüge pro Minute). Zwischen diesen Sitzungen wurde den Schwangeren eine Pause von zwei bis drei Minuten gewährt. Mithilfe eines Magnetokardiografen wurde sowohl die Herztätigkeit der Mutter als auch die des Fötus aufgezeichnet. Mit diesem nichtinvasiven Gerät werden die durch die Aktivierung des Herzmuskels erzeugten Magnetfelder erfasst, was weder für die Mutter noch für das Kind mit irgendeiner Belastung verbunden ist. Aus den Daten ging hervor, dass schnelles Atmen im Vergleich zur Atmung mit normaler oder langsamer Frequenz zu mehr Abschnitten führte, in der die Herzen von Mutter und Kind synchron schlugen. "Wir konnten nachweisen, dass sich das Herzsystem der Mutter und das ihres ungeborenen Kindes gegenseitig beeinflussen", erklärt Dr. Kurths. Bei dem von den Autoren erwähnten synchronen Verhalten handelt es sich aber nicht um die gleiche Frequenz (1:1). Vielmehr schlagen die Herzen von Mutter und Baby in einem festen Verhältnis zueinander. Beispielsweise könnte eine synchrone Phase so aussehen, dass über einen Zeitraum von mehreren Minuten auf drei Herzschläge des Fötus immer zwei der Mutter kommen. Nachweisen konnten die Forscher diese gegenseitige Beeinflussung des Herzsystems von Mutter und Kind mit dem innovativen mathematischen Verfahren "Twin Surrogates". Bei diesem Verfahren werden zunächst unabhängige Kopien des zugrunde liegenden Systems erzeugt und diese "Ersatzdaten" anschließend zur statistischen Ermittlung der Synchronisationsphasen eingesetzt. "Mit diesem Verfahren erhalten wir einen besseren Einblick in die vorgeburtliche Entwicklung des Herzsystems und möglicherweise auch in die des Nervensystems", hofft Peter van Leeuwen von der Universität Witten/Herdecke (UWH) in Deutschland. "Dieses spannende Ergebnis veranschaulicht die Bedeutung von interdisziplinären Teams in der Medizin", fügt Dietrich Grönemeyer, ebenfalls von der UWH, hinzu. Die Studienergebnisse sind aus einer Zusammenarbeit zwischen Ärzten, Ingenieuren, Mathematikern und Wissenschaftlern hervorgegangen. Doch auch über den medizinischen Bereich hinaus könnten die von dem Team verwendeten Verfahren weitere praktische Anwendungen finden. "Auch für die Untersuchung der sogenannten 'Teleconnections' im Klimasystem kann das Verfahren zum Einsatz kommen", weiß Dr. Kurths. Diese Televerbindungen sind schwache, aber weitreichende Wechselwirkungen, wie sie zum Beispiel zwischen dem Klimaphänomen El Niño im östlichen Pazifik und dem Monsun in Indien auftreten. Synchronisation, so erklärt er weiter, bestimmt die Art und Weise, wie die beiden Systeme aufeinander und auf äußere Einflüsse reagieren. Sie könne überall auftreten, wo zwei komplexe Systeme miteinander verbunden sind. Das wichtigste Ergebnis der Studie war, dass das Herzsystem eines Fötus anscheinend seine Aktivierungsfrequenz in Reaktion auf einen externen Reiz ändern kann. "Wenn wir besser verstehen, wie sich diese beiden unabhängigen Herzsysteme unter verschiedenen physiologischen Bedingungen gegenseitig beeinflussen, werden wir einen besseren Einblick in die normale vorgeburtliche Entwicklung und in die wechselseitige Wahrnehmung zwischen Mutter und Kind erhalten", heißt es abschließend in der Studie. "Dies wiederum kann für die Beobachtung des Fötus und für die Erkennung von Krankheiten während der Schwangerschaft von Vorteil sein."
Länder
Deutschland, Vereinigtes Königreich