Genetische Veränderungen bei geistiger Behinderung folgen einem Schema
Niederländische und britische Forscher haben neue Erkenntnisse über die Verbindung zwischen Genen und einer geistigen Behinderung gewonnen. Dank ihrer Arbeit konnten sie die Liste mit den potenziellen, für die Auslösung dieser Störung verantwortlichen Gene von einigen Tausend auf mehrere Dutzend Kandidaten einschränken. Die Forschungsergebnisse wurden im Open-Access-Magazin Public Library of Science (PLoS) Genetics veröffentlicht. Sie sind im Rahmen des ANEUPLOIDY-Projekts ("Understanding the importance of gene dosage imbalance in human health using genetics, functional genomics and systems biology") entstanden, das unter dem Themenbereich "Biowissenschaften, Genomik und Biotechnologie im Dienste der Gesundheit" des Sechsten Rahmenprogramms (RP6) finanziert wird. Dem ANEUPLOIDY-Projekt, das im November 2010 abgeschlossen sein wird, sind bisher 12 Mio. EUR zur Verfügung gestellt worden. Bei dem Projekt geht es darum, mehr über die molekulare Basis und die pathogenetischen Mechanismen von Aneuploidien (Zellen, bei denen einzelne Chromosomen zusätzlich zum üblichen Chromosomensatz vorhanden sind oder aber fehlen) zu erfahren. Die Forscher vom Nijmegen Medical Centre der Universität Radboud in den Niederlanden und dem Medical Research Council der Universität Oxford im Vereinigten Königreich geben an, dass zwischen 1% und 3% der Bevölkerung von einer geistigen Behinderung betroffen sind (dieses auch als Entwicklungsstörung bezeichnete Leiden ist durch eine unterdurchschnittliche Ausprägung der intellektuellen Funktion und durch eine Beeinträchtigung des adaptiven Verhaltens in den Entwicklungsjahren gekennzeichnet). Ausgelöst wird diese Krankheit durch verschiedene, jedoch individuell selten auftretende DNA-Unregelmäßigkeiten (Desoxyribonukleinsäure), wie fehlende bzw. doppelte Chromosomen. "Von einer geistigen Behinderung spricht man bei einem Gesamtintelligenzquotienten von unter 70. Begleitet wird die Störung von Funktionsdefiziten im adaptiven Verhalten, wie in der Fähigkeit zur Bewältigung des Alltags, in sozialen Kompetenzen und in der Kommunikation", schreiben die Autoren in ihrem Artikel. "Die Ursachen für diesen Defekt liegen in außergewöhnlich heterogenen umfeldbedingten und genetischen Faktoren. Die einer geistigen Behinderung zugrunde liegenden genetischen Veränderungen sind noch immer wenig erforscht, insbesondere diejenigen der Autosomen, die die häufigsten Auslöser von Krankheiten sind." Dem Team zufolge sind mikroskopisch sichtbare, im Rahmen von Routineanalysen der Chromosomen entdeckte Chromosomenveränderungen in 5% bis 10% der Fälle für die geistige Behinderung von Patienten verantwortlich. Derartige Veränderungen "repräsentieren den Zugewinn oder den Verlust von über 5 [bis] 10 Mb DNA und betreffen viele Gene, so dass sie beinahe unausweichlich zu Entwicklungsanomalien in der Embryogenese [Bildung und Entwicklung des Embryos] führen", geht es aus der Forschungsarbeit hervor. Die Wissenschaftler sind sich einig, dass die häufigste Folge dieser Varianten eine kognitive Beeinträchtigung ist. Aber auch andere Anomalien wie dysmorphe Merkmale und Herzfehler stehen mit den Varianten in Zusammenhang. Herauszufinden, welche DNA-Veränderungen für geistige Behinderungen verantwortlich sind, war keine leichte Aufgabe. Schließlich sind diese Veränderungen nicht in einigen wenigen Genen konzentriert. Für ihre Untersuchung verglichen die Forscher die DNA von über 150 Menschen mit geistiger Behinderung mit den Beschreibungen von 5.000 Mäusen, die jeweils ein gestörtes Gen im Erbgut hatten. Die mit geistiger Behinderung in Zusammenhang stehenden DNA-Veränderungen gingen mit viel mehr Genen einher, deren Fehlen sich bei Mäusen auch auf das Nervensystem auswirkte. Den Forschern zufolge waren die ausführlichen Daten von Menschen und Mäusen der Schlüssel zur Entdeckung einer verhältnismäßig kleinen Anzahl von Genen, die maßgeblich an einer geistigen Behinderung beim Menschen beteiligt sind. Letztlich liefern die Ergebnisse konkrete Hinweise darauf, dass fehlende bzw. doppelte Chromosomen die Ursache für die Auslösung einer geistigen Behinderung sind. "Abschließend lässt sich sagen, dass wir mit unserer Methode wohl zahlreiche interessante und plausible neuartige Kandidatengene sowohl für das Phänomen der geistigen Behinderung als auch für damit verknüpfte klinische Phänotypen gefunden haben", heißt es in dem Artikel der Forscher.