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Inhalt archiviert am 2023-03-07

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Studie enthüllt Zusammenhänge zwischen Gehirnregionen und Spiritualität

Neue Forschungsergebnisse aus Italien zeigen, wie sich durch Gehirnoperationen spirituelle und religiöse Einstellungen verändern können. Die Forscher hoffen, dass ihre im Fachjournal Neuron veröffentlichte Studie den Weg für neue Wirkstoffe zur Behandlung von Persönlichkeitsst...

Neue Forschungsergebnisse aus Italien zeigen, wie sich durch Gehirnoperationen spirituelle und religiöse Einstellungen verändern können. Die Forscher hoffen, dass ihre im Fachjournal Neuron veröffentlichte Studie den Weg für neue Wirkstoffe zur Behandlung von Persönlichkeitsstörungen ebnet. Wo genau im Gehirn sich das Erleben von Spiritualität abspielt, war den Forschern lange Zeit ein Rätsel. Mit den Fortschritten in der Neurowissenschaft und Computertomographie gelang den Forschern jedoch nun ein Blick auf den Sitz der Spiritualität im Gehirn. Untersuchungen an religiös orientierten Menschen wie katholischen Nonnen und buddhistischen Mönchen, die in den verschiedenen Arten der Meditation bewandert sind, machten deutlich, dass in einigen Gehirnarealen Veränderungen stattfanden. "Mittels Computertomographie haben wir einen Zusammenhang zwischen spirituellem Erleben und Aktivitäten innerhalb eines großen Netzwerks nachgewiesen, das den frontalen, parietalen und temporalen Cortex verbindet, allerdings weiß man noch nicht viel über den ursächlichen Zusammenhang zwischen diesem Netzwerk und Spiritualität", erklärte Studienleiter Dr. Cosimo Urgesi von der Universität Udine in Italien. Dr. Urgesi und seine Kollegen wandten sich in einem neuen Ansatz dem Problem zu. Sie untersuchten Persönlichkeitsveränderungen bei 88 Patienten, denen operativ ein Gehirntumor entfernt worden war. Dabei variierten sowohl die Art der Tumore als auch die betroffenen Gehirnregionen. Das Team legte den Teilnehmern der Studie Fragebögen zum spirituellen Erleben vor und nach der Operation vor und ermittelte so die Neigung der Patienten zur so genannten "Selbsttranszendenz" (ST), d.h. der Fähigkeit, spirituell zu fühlen, zu denken und zu handeln. Menschen mit hoher Selbsttranszendenz haben meist ein weniger ausgeprägtes "Ich"-Gefühl, empfinden sich stattdessen als Teil eines größeren Universums bzw. erfahren eine kosmische Verbundenheit. Nach Ermittlung der ST dokumentierten die Forscher nach der Operation mit bildgebenden Verfahren, welche Hirnregionen genau geschädigt worden waren. "Auf diese Weise stellten wir einen Zusammenhang zwischen Sitz des Tumors und Veränderung der ST her. Die unterschiedliche hohe Ausprägung der Selbsttranszendenz hängt offenbar davon ab, ob frontale, temporale oder parietale Strukturen geschädigt wurden", sagte Dr. Franco Fabbro von der Universität Udine. Wie die Wissenschaftler herausfanden, verzeichneten Patienten, die an der hinteren Großhirnrinde operiert worden waren, eine Verstärkung der spirituellen Weltsicht, was bei Operationen am Frontallappen nicht der Fall war. Der Zusammenhang zwischen Lage des Tumors und Ausprägung der ST verdeutlicht, dass die Ursache für die veränderte Spiritualität nicht in einer allgemeinen Bewusstseinserweiterung aufgrund einer Tumorerkrankung zu suchen ist. "Unsere Studie erweitert das aktuelle Wissen über die neuronalen Mechanismen, die der kognitiven und emotionalen Konstitution zugrunde liegen und so die individuelle Spiritualität ausmachen", schreiben die Forscher. "Die von uns aufgezeigte Verbindung zwischen Ort der Schädigung und Symptom stellt erstmals einen ursächlichen Zusammenhang zwischen Gehirnfunktion und Selbsttranszendenz her", erklärte Dr. Urgesi. "Schädigungen der hinteren Parietallappen bewirkten ungewöhnlich schnelle Veränderungen einer ansonsten stabilen Persönlichkeitsstruktur - der transzendentalen Selbstwahrnehmung. Störungen der neuronalen Aktivität der Parietallappen könnten daher Veränderungen im spirituellen und religiösen Erleben und Handeln untermauern." Den Forschern zufolge sei die Ausprägung der Selbsttranszendenz zwar teilweise genetisch veranlagt, könnte sich durch psychische Erkrankungen wie Schizophrenie allerdings verändern. "Wenn wir mehr darüber wissen, wie sich Gehirnschäden auf komplexe Persönlichkeitsmerkmale wie Selbsttranszendenz auswirken, verstehen wir auch besser, wie das Zusammenspiel erblicher und umweltbedingter Faktoren unsere Spiritualität beeinflusst und warum sich psychische Störungen bei jedem Menschen anders ausdrücken", meinen die Forscher. Die Ergebnisse der Studie könnten neue Wege zur Therapie bestimmter psychischer Störungen eröffnen. "Wenn ein so tief verankertes Persönlichkeitsmerkmal wie ST sich so schnell durch einen Tumor verändern kann, dann könnte man durch die neuronale Stimulation bestimmter Hirnregionen auch andere Persönlichkeitsmerkmale verändern", spekuliert Salvatore M. Aglioti von der Sapienza-Universität in Rom, Italien. "Vielleicht könnten neue Ansätze zur Modulierung neuronaler Aktivitäten sogar den Weg für neuartige Therapien bei Persönlichkeitsstörungen ebnen."

Länder

Italien

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