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Chamäleon-Neutrino auf frischer Tat ertappt

Physiker des Istituto Nazionale di Fisica Nucleare (INFN) in Italien haben ein seit Jahren bestehendes Rätsel der Teilchenphysik gelöst. Drei Jahre lang haben sie mit einem intensiven Myon-Neutrino-Strahl experimentiert, bevor sie jetzt ein Elementarteilchen eingefangen haben,...

Physiker des Istituto Nazionale di Fisica Nucleare (INFN) in Italien haben ein seit Jahren bestehendes Rätsel der Teilchenphysik gelöst. Drei Jahre lang haben sie mit einem intensiven Myon-Neutrino-Strahl experimentiert, bevor sie jetzt ein Elementarteilchen eingefangen haben, das sich von einer Art in eine andere umwandelt. Mit ihrer Entdeckung kann besser erklärt werden, wieso Neutrinos auf ihrem Weg zur und durch die Erde scheinbar verschwinden. Neutrino bedeutet "das Kleine". Es handelt sich dabei um ein Elementarteilchen (ähnlich einem Elektron), das eine extrem kleine Masse besitzt und sich nahezu mit Lichtgeschwindigkeit bewegen kann. Neutrinos interagieren schwach mit Materie und durchdringen die Erde fast ungestört. Es gibt drei Arten von Neutrinos - Elektronen, Myonen und Taus - und sie sind recht schwierig aufzuspüren. Die meisten die Erde durchdringenden Neutrinos kommen von der Sonne, aber schon in den 1960er Jahren stellte der amerikanische Forscher Ray Davis fest, dass es weit weniger Neutrinos von der Sonne bis zur Erde schafften, als es Solar-Modelle vorhersagten. Seitdem haben Physiker versucht zu erklären, warum so viele von ihnen auf dem Weg scheinbar verloren gehen. Im Jahr 1969 schlugen die in Russland arbeitenden Theoretiker Bruno Pontecorvo und Vladimir Gribow eine mögliche Erklärung vor, der zufolge Neutrinos zwischen verschiedenen Arten hin und her wechseln können. Seitdem wurde in mehreren Experimenten das Verschwinden von Myon-Neutrinos beobachtet, aber das spontane Auftreten von Tau-Neutrinos konnte dabei nicht nachgewiesen werden. 2006 begannen Physiker der Europäischen Organisation für Kernforschung (CERN) in Genf, Schweiz, mit einem intensiven Myon-Neutrino-Strahl zu experimentieren. Forscher des OPERA-Experiments ("Oscillation project with emulsion-tracking apparatus") am INFN suchten in diesem Strahl nach Tau-Teilchen. Ihr Erscheinen würde bedeuten, dass sich Myon-Neutrinos in der Tat in Tau-Neutrinos verwandelt hätten. Endlich wurden die Wissenschaftler für ihre Geduld belohnt: Die OPERA-Forscher haben zum ersten Mal ein "Chamäleon-Neutrino" erwischt, als es sich gerade von einem Myon- in ein Tau-Teilchen verwandelte. Diese Entdeckung war das Ergebnis von sieben Jahren Vorbereitung und über drei Jahren Experimentieren mit dem CERN-Strahl. Während dieser Zeit wurden abermilliarden Myon-Neutrinos auf die 2,4 Millisekunden lange, unterirdische Reise vom CERN zum 730 km entfernten Gran Sasso geschickt. "Dieser Erfolg ist der Zähigkeit und dem Einfallsreichtum der Physiker der internationalen Gemeinschaft zu verdanken, die einen Teilchenstrahl speziell für dieses Experiment konzipiert haben", erklärte INFN-Präsident Roberto Petronzio. "Auf diese Weise wurde der ursprüngliche Entwurf des Gran Sasso mit Erfolg gekrönt. In der Tat wurden die Labors beim Bau bereits so ausgerichtet, dass sie Teilchenstrahlen vom CERN empfangen könnten." "Wir sind zuversichtlich, dass diesem ersten Ereignis weitere folgen werden, sodass wir das Phänomen der Neutrino-Oszillation demonstrieren können", fügte der Sprecher der OPERA-Kooperation, Antonio Ereditato, hinzu. CERN-Generaldirektor Rolf Heuer begrüßte das Ergebnis mit den Worten: "Dies ist ein wichtiger Schritt für die Neutrinophysik. Meine Glückwünsche gehen an das OPERA-Experiment und das Gran Sasso Labor, sowie an die Beschleuniger-Abteilungen am CERN. Wir freuen uns alle auf die Enthüllungen der neuen Physik, die dieses Ergebnis prophezeit." Die Beobachtung der Neutrino-Oszillationen ebnet den Weg für weitere wichtige Entdeckungen in der Astrophysik. Folgt man dem derzeitigen Standardmodell, mit dem die Physiker das Verhalten von Elementarteilchen erklären, haben Neutrinos keine Masse. Allerdings zeigt die Demonstration der Neutrino-Oszillation, dass sie eine Masse haben müssen. Eine Überarbeitung des Standardmodells könnte den Wissenschaftlern dabei helfen, neue Arten von Neutrinos zu entdecken sowie neue Erkenntnisse über die Theorie der Dunklen Materie und letztlich über die Natur des Universums zu gewinnen.

Länder

Schweiz, Italien

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