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Inhalt archiviert am 2023-03-09

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Forscher bezeichnen Gehirn als "Aufgabenmaschine"

Der Bereich des Gehirns, der für das visuelle Lesen zuständig ist, braucht laut einer neuen Forschung gar keinen visuellen Reiz. Die Studie wurde in der Fachzeitschrift Current Biology vorgestellt und teilweise durch das EU-finanzierte Projekt SEEING WITH SOUNDS ("Neural and b...

Der Bereich des Gehirns, der für das visuelle Lesen zuständig ist, braucht laut einer neuen Forschung gar keinen visuellen Reiz. Die Studie wurde in der Fachzeitschrift Current Biology vorgestellt und teilweise durch das EU-finanzierte Projekt SEEING WITH SOUNDS ("Neural and behavioural correlates of seeing without visual input using auditory-to-visual sensory substitution in blind and sighted") finanziert. SEEING WIH SOUNDS erhielt unter dem Siebten Rahmenprogramm (RP7) ein Marie Curie International Reintegrationsstipendium in Höhe von 100.000 EUR. Die Wissenschaftler kamen zu diesem Schluss, nachdem Hirntomographien an Blinden beim Lesen von Worten in Braille Aktivitäten in exakt denselben Bereichen des Gehirns zeigten, die auch aufleuchten, wenn sehende Leser lesen. Diese Erkenntnisse widersprechen dem Wissen aus Lehrbüchern, nach dem das Gehirn in Bereiche unterteilt ist, die jeweils auf die Verarbeitung von Informationen eines Sinnesorganes zuständig sind. "Das Gehirn ist keine Sensormaschine, auch wenn es oft den Anschein hat; es ist eine Aufgabenmaschine", sagt Dr. Amir Amedi, Hauptdozent an der Hebräischen Universität Jerusalem und Leiter der Studie. "Ein Gehirnbereich kann unabhängig von der Form des Sinnesreizes eine spezifische Funktion erfüllen, in diesem Fall Lesen." Im Gegensatz zu anderen Aufgaben, die das Gehirn erfüllt, ist das Lesen eine recht neue Erfindung - erst rund 5.400 Jahre alt - und Braille wird sogar erst seit weniger als 200 Jahren verwendet. "Das ist nicht genug Zeit für die Evolution, um ein Gehirnmodul speziell für das Lesen zu bilden", erklärt Dr. Amedi. Bisherige Studien des Co-Autoren Laurent Cohen von der Pierre und Marie Curie Universität in Frankreich haben gezeigt, dass bei sehenden Leser ein ganz bestimmter Bereich des Gehirns, bekannt als visuelles Wortformareal (VWFA), für diesen Zweck ausgewählt wurde. Niemand jedoch wusste, was im Gehirn blinder Menschen passiert, die ohne jedwede visuelle Erfahrung lesen lernen. Mithilfe der funktionalen Magnetresonanztomographie (fMRT) ist es dem Team um Dr. Amedi gelungen, die neurale Aktivität bei acht geburtsblinden Personen zu messen, während sie Wörter oder Unsinn in Braille lasen. Wäre das Gehirn so organisiert, dass bestimmte Bereiche nur Informationen bestimmter Sinnesorgane verarbeiten, würde das Lesen von Braille die Bereiche beanspruchen, die für die Verarbeitung der Informationen des Tastsinns zuständig sind, so Dr. Amedi. Wäre das Gehirn hingegen aufgabenorientiert, müsste die höchste Aktivität im VWFA zu finden sein, genau wie bei sehenden Lesern. Und genau das haben die Forscher festgestellt. Weitere Vergleiche der Gehirnaktivität bei blinden und sehenden Lesern zeigten, dass sich die Muster im VWFA bei beiden Gruppen nicht voneinander unterscheiden. "Die funktionalen Haupteigenschaften des VWFA bei Sehenden sind dieselben wie bei Blinden und somit unabhängig von der sensorischen Modalität des Lesens und, was noch viel überraschender ist, sie benötigen keine visuelle Erfahrung", schreiben die Forscher. "Soweit wir beurteilen können, ist dies der bisher stärkste Beleg für die metamodale Theorie [der Gehirnfunktion]", was impliziert, dass die Gehirnregionen durch die Aufgaben, die sie durchführen, definiert werden. "Somit könnte das visuelle Wortformareal auch taktiles Wortformareal, oder, allgemeiner, (metamodales) Wortformareal genannt werden." Nach Ansicht der Forscher ist das VWFA ein multi-sensorisches Integrationsareal, das einfache Funktionen in kompliziertere Formbeschreibungen einbindet, was es für die relativ neue Aufgabe des Lesens ideal macht. "Dank seiner speziellen anatomischen Lage sowie der starken Verbundenheit mit dem Bereich für die Sprache kann es eine Brücke schlagen zwischen der wahrgenommenen Wortdarstellung und sprachbezogenen Komponenten des Lesens" schreiben sie. "Deshalb ist diese Region für das Lesen am besten geeignet, auch wenn durch Tasten und ohne vorherige visuelle Erfahrung gelesen wird." Laut Dr. Amedi planen die Forscher nur die Untersuchung der Gehirnaktivität von Menschen, die das erste Mal das Lesen der Braille-Schrift lernen, um herauszufinden, wie schnell diese Gehirnregion aktiviert wird. "Wie verändert sich das Gehirn, um Informationen in Wörter zu verarbeiten?" fragt er. "Geschieht das sofort?"Für weitere Informationen: Marie Curie International Reintegrationsstipendium: http://cordis.europa.eu/mariecurie-actions/irg/home.html Forschungen im RP7: http://ec.europa.eu/research/fp7/index_en.cfm Current Biology: http://www.cell.com/current-biology/

Länder

Frankreich, Israel

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