Zusammenhang zwischen Schwerhörigkeit und Tastsinn in neuem Licht
Ein europäisches Forscherteam hat entdeckt, dass Menschen mit einer bestimmten Form der erblichen Schwerhörigkeit niederfrequente Vibrationen empfindlicher wahrnehmen. Die im Fachblatt Nature Neuroscience veröffentlichten Ergebnisse bieten einen Einblick in den Zusammenhang zwischen Schwerhörigkeit und Berührungsempfindlichkeit. Damit der Mensch fühlen kann, müssen spezialisierte Hautzellen gestimmt sein. Unter der Leitung eines Forscherteams des Leibniz-Instituts für Molekulare Pharmakologie (FMP) und des Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin (MDC) Berlin-Buch wurden Menschen mit einer erblich bedingten Schwerhörigkeit vom Typ DFNA2 untersucht. Dabei interessierten sich die Forscher aber mehr für ihren Tastsinn als für ihre Fähigkeit zu hören. Bei den Schwerhörigen ist durch eine Mutation die Funktion mancher Haarzellen im Ohr gestört. Diese Mutation, so vermuteten die Forscher, könnte sich auch auf den Tastsinn auswirken. In unserem Ohr schwingen feinste Härchen im Rhythmus der Schallwellen. Die Schwingungen bewirken einen Einstrom positiv geladener Kalium-Ionen in die Haarzellen. Dieser elektrische Strom erzeugt ein Nervensignal, das zum Gehirn weitergeleitet wird und - wir hören. Die Kalium-Ionen fließen durch einen Kanal in der Zellmembran wieder aus den Haarzellen hinaus. Und eben dieser Kalium-Kanal, ein Eiweißmolekül namens KCNQ4, ist durch die Mutation bei den Schwerhörigen zerstört. Die Sinneszellen sterben nach und nach durch Überlastung ab. "Wir haben aber herausgefunden, dass KCNQ4 nicht nur im Ohr vorkommt, sondern auch in bestimmten Sinneszellen der Haut", erklärt Prof. Thomas Jentsch vom FMP. "Das hat uns auf die Idee gebracht, dass die Mutation sich auch auf den Tastsinn auswirken könnte. Dies konnten wir dann in einer engen Zusammenarbeit mit dem Labor von Gary Lewin, einem auf Tastsinn spezialisierten Kollegen vom MDC, in der Tat zeigen." Wir unterscheiden zwischen einer rauen und einer glatten Oberfläche anhand der Vibrationen, die beim Darüberstreichen in der Haut entstehen. Diese Informationen helfen uns unsere Umwelt zu verstehen. Das Team, zu dem auch Experten aus Spanien und den Niederlanden gehörten, stellte fest, dass die tauben Patienten sehr langsame Schwingungen empfinden konnten, die die gesunde Kontrollgruppe nicht wahrnehmen konnte. Aufgrund einer Mutation des Kanalgens KCNQ4 veränderten sich die Mechanorezeptoren für normalen Tastsinn. Prof. Jentsch und sein Kollege Prof. Gary Lewin vom MDC meinten DFNA2-Patienten seien eine Art Super-Fühler in Sachen Vibration: "Die Haut hat mehrere unterschiedliche Typen von Mechanorezeptoren, die auf verschiedene Reizqualitäten ansprechen, insbesondere auch auf verschiedene Frequenzbereiche. Das Zusammenspiel verschiedener Rezeptorklassen ist für den Tastsinn wichtig. Obwohl die von uns untersuchten Rezeptoren durch Verlust des Kalium-Kanals insgesamt empfindlicher werden, überwiegt möglicherweise der Nachteil der falschen Stimmung auf andere Frequenzen. Mit KCNQ4 haben wir zum ersten Mal ein menschliches Gen identifiziert, das die Eigenschaften des Tastsinns verändert."Weitere Informationen erhalten Sie hier: Nature Neuroscience: http://www.nature.com/neuro/index.html(öffnet in neuem Fenster)
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