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Interview
Inhalt archiviert am 2024-04-18

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Mit dem Klimawandel vor Augen wurden weitere Geheimnisse der Tiefen des Atlantiks aufgedeckt

ATLAS zählt zu den Projekten, denen man auf nur einer Seite nicht gerecht werden kann. Seit nunmehr dreieinhalb Jahren fährt ein Konsortium aus multinationalen Industrieunternehmen, KMU, Regierungsvertretern und Akademikern über den Atlantik, um dessen Tiefseeökosysteme zu erforschen. Dabei gelang es ihm, unser Verständnis der Auswirkungen des Klimawandels wesentlich zu vertiefen sowie zur Entwicklung besserer Bewirtschaftungsrichtlinien und -praktiken beizutragen.

Lebensmittel und natürliche Ressourcen icon Lebensmittel und natürliche Ressourcen

ATLAS (A Trans-AtLantic Assessment and deep-water ecosystem-based Spatial management plan for Europe) entsprang der Erkenntnis, dass der Atlantik immer noch viele Geheimnisse birgt, obwohl er zu den am umfassendsten erforschten Ozeanen der Welt zählt. Darüber hinaus verändert er sich zurzeit schneller, als je zuvor in den letzten sechs Millionen Jahren. Wie genau er sich wandelt, welche Veränderungen wir in der Zukunft erwarten können und wie wir unser Verhalten verbessern können, um dramatische Folgen zu vermeiden – das sind einige der Fragen, die das zentrale Anliegen des Projekts ausmachen. Mit 34 Tiefseemissionen ist ATLAS verschiedene Fragen angegangen, wie die Vernetzung der Lebensräume von Tiefseekorallen, die Meerespolitik, die Identifizierung gefährdeter Ökosysteme und das Schicksal der Atlantischen Meridionalen Umwälzzirkulation (AMOC). Prof. Murray Roberts, der Koordinator von ATLAS, bespricht den Ansatz des Projekts sowie seine Ergebnisse und erwarteten Auswirkungen.

Welche Wissenslücken wollten Sie mit diesem Projekt schließen?

ATLAS konzentriert sich darauf, die Ökosysteme des Atlantischen Tiefseebodens zu verstehen. Sie gehören zu den am wenigsten erforschten Ökosystemen, doch gleichzeitig sind diese am stärksten durch den zunehmenden menschlichen Einfluss durch Fischerei und die Öl- und Gasproduktion in der Tiefsee gefährdet. Auch die allgemeineren Folgen des Klimawandels, wie die Versauerung, die Erwärmung und der Sauerstoffmangel der Ozeane, wirken sich auf diese Ökosysteme aus und die Situation könnte sich sogar noch verschlimmern, wenn es tatsächlich zu Tiefseebergbau kommt. Heutzutage ist die Realität, dass die Bewirtschaftung von Tiefseeökosystemen sehr branchenspezifisch ist. Jede Interessengruppe handhabt dies anders, von den Fischern bis hin zu Öl- und Gasunternehmen. Außerdem wurden diese Pläne mit einem rudimentären ökologischen Verständnis entwickelt. Beispielsweise nimmt die Bestimmung von Meeresschutzgebieten nur wenig oder sogar gar keine Rücksicht auf die Vernetztheit der Ökosysteme. ATLAS arbeitet zurzeit an mathematischen Modellen, um zu bestimmen, wie wichtige Gebiete miteinander verbunden sind, und wie sich Larven durch den Atlantik bewegen würden.

Was sind die innovativsten Aspekte Ihres Ansatzes?

Unsere gesamte Arbeit beruht auf der Physik des Atlantiks. Wir greifen dann auf verlässliche Kenntnisse über die Ozeanströmungen zurück, um die Funktionsweise der Ökosysteme, die biologische Vielfalt und Biogeografie sowie die Vernetztheit zu untersuchen. Darüber hinaus beziehen wir sozioökonomische Analysen und die Wahrnehmung der Menschen von Tiefseeökosystemen in unsere Arbeit ein. Die Rolle der Menschen und ihrer persönlichen Meinungen wird zu oft außer Acht gelassen oder nicht ernst genommen. Die Sozialwissenschaften und die Politik sind für die Arbeit von ATLAS äußerst wichtig.

Erzählen Sie uns bitte mehr über die Expeditionen, die Sie organisiert haben. Welchen Umfang hatten die Missionen und wie haben Sie sich auf bestimmte Fallstudien festgelegt?

Bislang hat ATLAS an 34 Offshore-Expeditionen entweder leitend oder in einer begleitenden Rolle teilgenommen. Wenn ich zwei davon besonders hervorheben müsste, wären das die MEDWAVES-Expedition von 2016 unter der Führung des spanischen Instituts für Ozeanografie und unsere zweijährige Zusammenarbeit mit den Kanadiern, um Schwammbänke in der Davisstraße zu studieren. Die erste Expedition hatte das Ziel, zu ergründen, wie sich Ausflusswasser im Mittelmeer auf die biologische Vielfalt und Biogeografie von Tiefseebergen von Spanien bis zu den Azoren auswirkt. Das MEDWAVES-Team geht wichtigen wissenschaftlichen Konzepten nach, wie das Mittelmeer und der Atlantik ökologisch miteinander verbunden sind. Im Rahmen der zweiten Expedition musste ATLAS an Bord des Eisbrechers „Amundsen“ der kanadischen Küstenwache arbeiten, um die Gegend zu vermessen, die Nahrungsmittelversorgung der Schwämme zu untersuchen und dort Langzeit-Lander unserer Partner in den USA zu platzieren, die im vergangenen Sommer wieder eingesammelt wurden. Die „Amundsen“-Expedition ist ein fantastisches Beispiel dafür, wie ATLAS transatlantische Partnerschaften initiieren konnte, um Ergebnisse zu liefern, die wir sonst niemals hätten erreichen können.

Worin sehen Sie Ihre wichtigsten Erkenntnisse? Können Sie zwei konkrete Beispiele nennen?

Da kommen viele infrage. Wir haben 59 von Fachleuten begutachtete Artikel veröffentlicht und weitere 74 sind noch in Arbeit. Ich könnte wohl auf die Artikel in der „Nature“ und der „Science“ aus dem Physik-Arbeitspaket verweisen. Der Artikel in der „Nature“ von Thornalley et al. ist von besonderer Bedeutung, da er zeigt, dass die Hauptumwälzzirkulation des Atlantiks – welche das Klima reguliert, indem Wärme um die Erde transportiert wird, und deren potenzielles Ausbleiben den Erfolgsfilm „The Day after Tomorrow“ aus dem Jahr 2004 inspirierte – bereits langsamer vonstattengeht, als man bisher annahm. Prognosen zufolge wird sie sich aufgrund des globalen Klimawandels noch weiter verlangsamen. Wir könnten auch noch über viele weitere Themen reden, von Mikrokunststoffen bis hin zur Meerespolitik und Wirtschaft, die im Rahmen des Projekts behandelt wurden.

Welches sind die wichtigsten Empfehlungen für blaues Wachstum, die aus diesem Projekt hervorgehen?

Die wichtigsten Ratschläge hängen damit zusammen, wie wichtig es ist, ein besseres Verständnis der Ökosysteme zu erlangen. Wir müssen wissen, wie sie auf veränderte Bedingungen in den Ozeanen reagieren, BEVOR wir Bewirtschaftungspläne entwickeln. Zum Beispiel hat ATLAS Beiträge zu wichtigen Verhandlungen der Vereinten Nationen geliefert, die ein neues rechtliches Instrument für die Erhaltung und nachhaltige Nutzung von Gebieten mit ausgeprägter biologischer Vielfalt schaffen, die außerhalb nationaler Hoheitsgewalten liegen – der sogenannte BBNJ-Prozess. Wir nahmen ebenfalls an den Vorbereitungskommissionen und fortwährenden Regierungskonferenzen teil. Die 3. Regierungskonferenz fand im August im Hauptquartier der Vereinten Nationen statt, und unser Team leistete dort wichtige Arbeit. Es gibt noch mehrere weitere Beispiele, wie unsere Arbeit auf der Messe Ocean Business, deren Ergebnisse noch in Arbeit sind. Wir haben uns dort zum Beispiel angeschaut, wie die Ölindustrie ihren Betrieb angesichts der Ergebnisse von ATLAS anpassen könnte.

Welche langfristigen Auswirkungen erhoffen Sie sich von ATLAS, insbesondere angesichts des zuletzt immer häufiger auftretenden, durch den Klimawandel bedingten Katastrophen sowie der zunehmenden öffentlichen Aufmerksamkeit?

Wir hoffen, dass dieses Projekt zu einer besseren Bewirtschaftung der Ozeane führt und wir haben uns intensiv in den wissenschaftlichen und politischen Prozess eingebracht, um dies zu erreichen. Für uns stehen außerdem die Menschen im Mittelpunkt, daher sollte es uns gelingen, langfristig etwas zu verändern. Beispielsweise haben wir in Zusammenarbeit mit unserem Bildungsbeauftragten bei Dynamic Earth – eine der größten geowissenschaftlichen Besucherattraktionen Europas – neue Schulungsmaterialien sowie eine neue Galerie der Ozeane entwickelt, um die Arbeit von ATLAS zur Schau zu stellen.

Haben Sie irgendwelche Folgepläne?

Ja, es gibt da zahlreiche Pläne. Das größte Vorhaben ist ein neues H2020-Projekt: „iAtlantic; an integrated assessment of Atlantic marine ecosystems in space and time“. Dieses Projekt koordiniere ich ebenfalls. Wir haben ein Konsortium gebildet, das dem gleichen Ansatz wie ATLAS folgt und einige Aspekte seiner Arbeit auf den gesamten Tiefseebereich des Atlantiks sowie den offenen Ozean ausweitet, indem wir mit Partnern in Argentinien, Brasilien, Kanada, Südafrika und den USA zusammenarbeiten.

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