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Writing and editing of memories from acquisition to long-term consolidation

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Plastizität des Gehirns: Voraussetzung für Gedächtnis und psychische Gesundheit

Neben Zusammenhängen zwischen neuronaler Plastizität und Erinnerungsbildung enthüllte das Projekt MemoryDynamics auch neue therapeutische Möglichkeiten bei kognitiven Störungen mit mutmaßlich genetischer Komponente, etwa Schizophrenie und Autismus.

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Um sich an spezifische Ereignisse erinnern zu können, speichern neuronale Netze im Gehirn Informationen ab. Diese „neuronale Plastizität“ bestimmt, welche Art von Erinnerungen bestehen bleibt. Wie Pico Caroni, Koordinator des vom Europäischen Forschungsrat finanzierten Projekts MemoryDynamics erklärt, „laufen viele Prozesse jedoch unbewusst ab, und eine Methode, die wenigen eindeutigen Messgrößen zu untersuchen, ist die Echtzeit-Bildgebung.“ An Mausmodellen untersuchte MemoryDynamics, welche zellulären Komponenten an der Langzeitbildung von Erinnerungen beteiligt sind und wie sich diese über längere Zeit verändern. Dabei zeigte sich, dass neuronale Plastizität noch zwölf Stunden nach einem Ereignis stattfindet, also deutlich nach dem ersten Anlegen der Erinnerung. Dies wurde im infralimbischen Kortex der Mäuse über sogenanntes Umkehrlernen nachgewiesen, das Reaktionen auf ein bestimmtes Ereignis (z. B. Angst) verändern kann, wenn es später erinnert wird. „Erstaunlich war, dass neuronale Netze während der Konsolidierung von Langzeiterinnerungen stimuliert oder modifiziert werden können. So sind Erinnerungen offenbar auch nach ihrer Bildung noch veränderbar“, erläutert Caroni vom koordinierenden Friedrich-Miescher-Institut für biomedizinische Forschung, Schweiz. Offenbar folgt auf das Lernen ein Zeitraum von fünf bis sechs Stunden, in dem zwischen dem neu Erlernten und nachfolgenden Erfahrungen eine Verbindung hergestellt werden kann. Auf diese Weise werden Erinnerungen effektiv kombiniert: „Der Zweck ist wahrscheinlich, Erinnerungen in einen breiteren Erfahrungskontext einzubetten“, ergänzt Caroni. Dies bestätigen auch Laborversuche, in denen spezifische Transkriptionsfaktoren cFos, die Gene kontrollieren, auch weiterhin in relevanten neuronalen Netzen exprimiert wurden, was ein aussagefähiger Indikator für länger anhaltende zelluläre Plastizität ist.

Veränderung von Erinnerungen im Lauf der Zeit

Physiologisch gesehen bezeichnet Plastizität die Fähigkeit des Gehirns zur strukturellen Modifikation bereits bestehender Synapsen, d. h., synaptische Verbindungen werden verstärkt, abgeschwächt, neu gebildet und/oder abgebaut. Solche Veränderungen der Leistung eines neuronalen Netzes bewirken, dass das Gedächtnis nicht nur „Erinnerungen“ speichern kann, sondern auch aktiv Reaktionen auf künftige Ereignisse vorbereitet. „Meist funktionieren solche Gedächtniskonsolidierungsprozesse wie Kaskaden und dauern noch Stunden oder gar Tage nach dem Erstereignis an“, erklärt Caroni. Im Kurzzeitgedächtnis hingegen ist Plastizität, wenn Signale durch Synapsen und Ionenkanäle verarbeitet werden, auf Sekunden oder Minuten begrenzt. Über längere Zeiträume (Stunden) wiederholt das Gehirn in schnelleren Durchläufen neuronale Aktivitätsmuster, die beim ursprünglichen Ereignis stattfanden. Bei der langfristigen Gedächtniskonsolidierung, d. h. 12 bis 15 Stunden nach dem Ereignis, werden diese Aktivitäten in der Regel vermischt. Ein solcher zellulärer Prozess ist etwa die Expression von Genen in neuronalen Netzen, die dafür sorgen, dass Signal- in längerfristige zelluläre Veränderungen übergehen, die dann die Erinnerungen verändern. Mittels genetischer Manipulation beeinflusste MemoryDynamics neuronale Funktionen in spezifischen Hirnarealen der Mausmodelle. Diese Gedächtniskonsolidierung ließ sich in Unterabschnitten des Hippocampus beobachten: präfrontalen kortikalen Bereichen wie prä- und infralimbischem Kortex sowie kortikalen Arealen des Hippocampus wie retrosplenialem Kortex und auch in Netzwerken, die für Lernflexibilität sorgen.

Zusammenhang mit psychischen Erkrankungen

Ein unerwartetes Ergebnis lieferte das Projekt zu Veränderungen der Genexpression in speziellen Neuronen, sogenannten PV+-Interneuronen. Obwohl sie entscheidend am Lernprozess mitwirken, entdeckte die Arbeitsgruppe dort bereits wenige Stunden nach dem Lernprozess Veränderungen, was auf einen Zeitraum hindeutet, in dem Neuronen offenbar besonders formbar sind.

Daraus ergeben sich wichtige Rückschlüsse für die Humanmedizin.

In einem kurzen Zeitfenster von zehn Tagen ist die funktionelle neuronale Verbindung zwischen ventralem Hippocampus und prälimbischem Kortex entscheidend für die Ausbildung des präfrontalen Kortex. Wurden die PV+-Interneuronen am genetisch veränderten Mausmodell für Schizophrenie in der Spätphase der Adoleszenz so manipuliert, dass sich Synapsen entlang dieser Gehirnachse bildeten, blieb die schizophrenieähnliche Symptomatik aus. Auch am Mausmodell für Autismus war diese Technik erfolgreich. „Wir hatten nicht erwartet, dass Gehirnprozesse, die an der Bildung von Langzeiterinnerungen beteiligt sind, in solchem Maße die Funktionalität neuronaler Netze beeinflussen können, die für die geistige Gesundheit wichtig sind. Dies wird nun ein weiterer Forschungsschwerpunkt für uns sein“, schließt Caroni.

Schlüsselbegriffe

MemoryDynamics, Neuron, Gehirn, Plastizität, Gedächtnis, Synapse, psychische Gesundheit, Autismus, Schizophrenie, Genetik

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