Skip to main content
European Commission logo print header

The Social Anthropology of Rabies Epidemiology and Elimination

Article Category

Article available in the following languages:

Einfluss von Kultur und Religion auf Maßnahmen zur Tollwutbekämpfung

Die Voraussetzungen für eine wirksame Tollwutbekämpfung sind bekannt: eine 70 %ige Durchimpfung der Hundepopulation und Zugang zu sofortiger medizinischer Versorgung für Menschen. Damit Bekämpfungsmaßnahmen langfristig Erfolg haben, müssen sie aber auch auf die Bedingungen vor Ort zugeschnitten sein, wie das Projekt SAREE im ländlichen Indien zeigte.

Grundlagenforschung icon Grundlagenforschung

Tollwut ist eine progressive Erkrankung des Nervensystems, die durch Viren und in der Regel durch den Biss infizierter Tiere übertragen wird, zumeist von Hunden. Tollwut ist die gefährlichste Viruserkrankung mit der vergleichsweise höchsten Sterblichkeitsrate, sobald die Symptome einsetzen. Schätzungen zufolge werden jährlich mindestens 30 Millionen Menschen von mutmaßlich tollwütigen Tieren gebissen, einhergehend mit geschätzten 60 000 Todesfällen in mehrheitlich armen und ländlichen Regionen Afrikas und Asiens. Nach dem Biss schließt sich das Zeitfenster für eine medizinische Versorgung nach nur 24 Stunden. „Obwohl seit fast 150 Jahren Tollwutimpfstoffe zur Verfügung stehen, ist die medizinische Versorgungslage in den am stärksten betroffenen Regionen noch immer schlecht, da entsprechende politische Strategien fehlen, sowohl für Menschen als auch für Tiere“, sagt Projektleiterin Sarah Cleaveland. Das über die Marie-Skłodowska-Curie-Maßnahmen finanzierte Projekt SAREE untersuchte in Indien, das die mutmaßlich höchste Zahl an Todesfällen weltweit (rund 21 000 pro Jahr) hat, den Einfluss soziokultureller Faktoren auf Maßnahmen zur Tollwutbekämpfung. Im Mittelpunkt standen interdisziplinäre Ansätze im Rahmen von One Health, „da Kultur und Religion maßgeblich den menschlichen Umgang mit Hunden beeinflussen“, erklärt Projektkoordinatorin Deborah Nadal. „Wir zeigten, dass Strategien zur Tollwutbekämpfung nur dann greifen, wenn die Einstellung und Akzeptanz der Menschen vor Ort mitberücksichtigt wird und kommunale Einrichtungen aktiv mitwirken.“

Überraschende Erkenntnisse durch kombinierte Methodik

Die qualitative und quantitative Studie von SAREE wurde in den Bundesstaaten Gujarat und Maharashtra durchgeführt. In Gujarat ist die einzige tollwutspezifische Gottheit (Hadkai Mata, „Mutter der Tollwut“) Indiens zu finden. In Maharashtra wiederum befindet sich Kuttarwadi, der „Brunnen des Hundes“, dessen Wasser Menschen nach einem Hundebiss trinken, um nicht zu erkranken. In den Tempeln von Hadkai Mata gilt, wie die Forschenden erfuhren, Tollwut als „soziale“ Krankheit. Da nur wenige Heiler erklären, dass es sich um eine Viruserkrankung handelt, glaubt die Mehrheit der Bevölkerung, dass Hadkai Mata einen tollwütigen Hund als Strafe für menschliches Fehlverhalten schickt. Diese Hunde spielen also eine wichtige Rolle, sodass Impfungen abgelehnt werden. Der Kuttarwadi-Studie zufolge wissen die meisten Bissopfer, dass sofortige medizinische Versorgung unerlässlich ist. Daher trinken 85 % der Betroffenen das Wasser in Kuttarwadi erst nach der Postexpositionsprophylaxe. Alarmierend ist jedoch, dass 70 % derjenigen, die zuerst das Wasser in Kuttarwadi tranken, die Postexpositionsprophylaxe ablehnten. Hier spielen verschiedene Faktoren zusammen: dass zum Beispiel eher traditionellen Heilmethoden als der Schulmedizin vertraut oder das Risiko unterschätzt wird. In einem Pilotvorhaben wurde auch die Kontaktverfolgung analysiert, die in Indien bei Tollwut bislang unüblich war. Neben der Erhebung spezifischer Daten zu Vorkommnissen mit tollwütigen Tieren befragte SAREE Betroffene in Fragebögen auch nach den Gründen für ihre Entscheidung („Warum“-Fragen), etwa, warum eine Behandlung angenommen oder abgelehnt wird. Aus den Krankenakten war die Kontaktverfolgung wegen mangelnder Datenlage kaum nachvollziehbar. Allerdings waren die Heiler in den Tempeln von Hadkai Mata bereit, über Tollwut zu sprechen, wollten aber keinen Kontakt zu den Opfern vermitteln. „Voraussetzung für effizientere Präventionsprogramme ist Aufklärung und eine bessere Einbindung Betroffener, damit Vorfälle in Eigenverantwortung gemeldet werden statt auf Kontaktaufnahme durch medizinische Einrichtungen zu warten“, so Nadal.

Wichtige Bedeutung von One Health

Trotz langjähriger institutioneller Vernachlässigung des Themas wird Tollwut nominell auch von europäischen Regierungsbehörden noch immer als Zoonose mit hoher Priorität eingestuft. „Viele der weltweit dringlichsten medizinischen Herausforderungen lassen sich nur mit One-Health-Ansätzen lösen, indem Erkenntnisse aus der Medizin mit Erkenntnissen aus den Natur- und Sozialwissenschaften zusammengeführt werden“, schließt Nadal. Das Team entwickelt zusammen mit lokalen Interessengruppen Tollwutbekämpfungsmaßnahmen, die auf ländliche und lokale Kontexte zugeschnitten sind.

Schlüsselbegriffe

SAREE, Tollwut, Religion, Impfung, Viruserkrankung, Indien, One Health, Tempel, Biss, Kontaktverfolgung, infiziert

Entdecken Sie Artikel in demselben Anwendungsbereich