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Warum sind manche Sprachen wortreicher als andere?

Kennen die Inuit wirklich ein Dutzend Wörter für Schnee? Und wenn ja, warum gibt es das bei anderen Sprachen nicht? Darüber haben wir mit dem Sprachwissenschaftler Kenny Smith gesprochen.

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Lassen Sie uns jedoch zwei Dinge klarstellen: Erstens ist es keine einfach Sache, die Anzahl der Wörter einer Sprache zu zählen (obwohl wir Ihnen am Ende dieses Artikels genau sagen werden, wie viele jede Sprache hat). Und zweitens steht Smith der landläufigen Behauptung, dass das Englische einen viel größeren Wortschatz als andere vergleichbare europäische Sprachen ausweist, recht skeptisch gegenüber. „Ich bin mir nicht sicher, ob man diese Schlussfolgerung überhaupt ziehen kann, schon gar nicht, wenn man sich nur die Dicke der jeweiligen Wörterbücher ansieht“, bekräftigt Smith, Professor am Centre for Language Evolution der Universität Edinburgh im Vereinigten Königreich. „Ein Wörterbuch ist ein von Menschen und Institutionen geschaffenes Objekt, und die Wörter werden keineswegs in allen Ländern nach denselben Methoden erfasst.“ Auch die gängige Meinung, dass die Inuit viel mehr Wörter für Schnee als andere Kulturen kennen, relativiert er schnell. Er argumentiert, dass dies alles auf den Nutzungsdruck zurückzuführen sei. Wenn sehr spezifische Unterscheidungen notwendig seien, werde sich die Sprache genau zu diesem Zweck weiterentwickeln. Das passiert in jeder Sprache: Auch eine professionell skifahrende Person aus Europa würde in der Lage sein, so detailreich über Schnee zu sprechen, wie sie es für nötig hält. „Eine aktuelle Studie untersuchte außerdem zwei englische Wörter: ‚snow‘ (Schnee) und ‚ice‘ (Eis)“, so Smith weiter. „Die Forschenden stellten fest, dass Sprachen mit nur einem Wort für beide Dinge eher in heißen Ländern gesprochen werden. Dies wiederum weist auf die Tatsache hin, dass die Bedürfnisse der Nutzenden die Anzahl der Wörter in einem bestimmten Gebiet bestimmen.“ Die Fachleute der Sprachwissenschaft neigen dazu, sich viel mehr für die Sprachstruktur zu begeistern. „Grammatikregeln und die verwendeten Lautsysteme sind für uns weitaus interessanter“, erklärt er. „Hier sind zweifelsfrei Unterschiede zwischen den Sprachen erkennbar.“

Wie sich das Englische vereinfachte

Smith stellt zum Beispiel fest, dass Englisch grammatikalisch relativ einfach strukturiert ist. Viele andere Sprachen sind nach komplizierteren Regeln organisiert, sei es mit geschlechtsspezifischen Substantiven oder mit der Vergabe von Fällen je nach situationsbezogenem Kontext. Die Frage, warum das so ist, steht offen im Raum. Auch ein historischer Zufall ist denkbar. Eine eher umstrittene Theorie lautet, dass das Englische im Laufe seiner Entwicklung gerade deshalb vereinfacht wurde, weil es so weit verbreitet ist (und vor allem, weil es so häufig als Fremdsprache gesprochen wird). Dieser Theorie zufolge erzeugte die Notwendigkeit, mit Menschen zu kommunizieren, welche die Komplexität der Sprache nicht wirklich gut beherrschen, den Druck zur Vereinfachung. Also wurde das Englische über die Jahrhunderte immer einfacher. „Sprachen werden dadurch geprägt, wie sie gelernt und wie sie verwendet werden“, fügt Smith hinzu. „Dinge, die leichter zu erlernen sind, bleiben erhalten und werden über Generationen weitergegeben, während Dinge, die schwerer zu erlernen oder nicht nützlich sind, einfach verschwinden.“ Das Überraschende daran ist, dass dies ständig und bei jeder Sprache geschieht. „Wir verfeinern täglich die Dinge, die wir sagen“, betont Smith. „Wenn Sie zum Beispiel heimwerken und nicht wissen, wie das von Ihnen benötigte Werkzeug heißt, dann bitten Sie vielleicht jemanden, Ihnen das ‚korkenzieherartige‘ Ding zu reichen.“ Wird so etwas stetig wiederholt, dann wird dieser „Fehler“ Teil der Sprache. Im Rahmen des ERC-finanzierten Projekts ELC haben Smith und sein Team untersucht, wie Menschen, deren Muttersprache nicht die betrachtete Sprache ist, deren Komplexität beeinflussen können. Anhand von Modellen konnten sie erkennen, wie sich Wörter auf der Ebene persönlicher Interaktionen weiterentwickeln können, wobei immer noch unklar bleibt, wie sich dies in Form von Veränderungen innerhalb der weiter gefassten Sprachgemeinschaft auswirkt. Im Endeffekt erfüllen alle Sprachen dieselbe Aufgabe: Wir können uns mit ihrer Hilfe ausdrücken und kommunizieren. Zufälligerweise sind sie einfach unterschiedlich organisiert. „Es gibt keine Menschengruppe auf der Erde, die sich nicht vollständig ausdrücken kann“, ist Smith sich sicher. „Jede Sprache hat genügend Wörter.“ Hier erfahren Sie mehr über die Forschung von Smith: Wie Sprache so komplex wurde

Schlüsselbegriffe

ELC, Sprache, Wörter, Sprachwissenschaft, Vokabular, Wörterbuch, Inuit, Englisch